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Sozialpsychologie: Stalking kann jeden treffen

Eine Befragung von 1051 amerikanischen und britischen Stalking-Opfern durch eine Forschergruppe um Lorraine Sheridan an der Universität in Leicester ergab, dass Personen aller Altersgruppen sowie aller sozialer Schichten von diesem Problem betroffen sind. Neun von zehn Opfern sind Frauen. Gut die Hälfte aller Täter hatte zuvor eine Beziehung mit seinem Opfer, bei einem weiteren Drittel waren es Bekannte, jeder zehnte kannte den Stalker vorher nicht. Die meisten gaben an, sie hätten zwar von der Existenz des Problems gewusst, jedoch nie geglaubt, dass sie selbst zu Opfern werden könnten.

Alle Betroffenen sahen sich verschiedenen Belästigungen ausgesetzt: In zwei Dritteln aller Fälle drangsalierten die Stalker ihre Opfer mit Telefonanrufen, spionierten ihnen nach und drohten mit Selbsttötung. Bei jedem fünften brach der Täter in die Wohnung ein oder griff sein Opfer körperlich an. Bei allen Befragten wirkte sich der Psychoterror negativ auf ihre Gesundheit aus; sie reichten von Schlaf- und Appetitlosigkeit, Angstzuständen bis hin zu ernsthaften Verletzungen durch körperliche Attacken und sexuelle Übergriffe sowie Selbsttötungsversuche.

Die Hälfte der Opfer hatte Bedenken, sich jemandem anzuvertrauen oder zur Polizei zu gehen, weil sie befürchteten, für verrückt gehalten zu werden. Von den Betroffenen, die zur Polizei gegangen waren, fühlte sich über die Hälfte ernst genommen und gut beraten. Viele Betroffene, die keine Unterstützung von ihrer Umwelt erhielten, zweifelten selbst an ihrem Geisteszustand. Jedem sechsten wurde von anderen Personen vorgeworfen, er oder sie solle dankbar für so viel Aufmerksamkeit sein. Der gleiche Prozentsatz von Stalking-Opfern gab an, inzwischen keinem Menschen mehr vertrauen zu können.

Weit reichende Konsequenzen berichteten die Betroffenen auch für ihr soziales Umfeld: Bei fast allen wurden Familienmitglieder, Freunde oder Arbeitskollegen mit in den Konflikt hineingezogen oder bedroht. Alle Befragten schränkten infolge der Verfolgung ihre sozialen Aktivitäten ein. Ein Drittel berichtete davon, Beziehungen, Freunde oder den Arbeitsplatz verloren zu haben; viele waren sogar anonym umgezogen, um den Belästigungen zu entgehen.

Gegen gut ein Fünftel der Täter wurden gerichtliche Maßnahmen erlassen, andere wurden in die Psychiatrie eingewiesen. Kein klares Ergebnis fand Sheridan dazu, unter welchen Umständen die Belästigungen aufhörten: Bei einem Sechstel beendete das Einschreiten der Polizei oder eines Anwalts das Treiben, genau so häufig verfehlten jedoch rechtliche Maßnahmen den Erfolg. Bei einem weiteren Sechstel setzte ein Umzug den Schlusspunkt. Viele Opfer waren sich nicht einmal sicher, ob der Täter tatsächlich aufgehört hatte, ihnen nachzustellen. Ein Drittel war überzeugt, dass die Belästigungen nie aufhören würden.

Die größten Missstände sehen die Befragte darin, dass sie häufig nicht ernst genommen würden, und dass gerade die Justiz nicht immer adäquat auf das Problem reagiere. Mehr Unterstützung wünschten sie sich darüber hinaus bei praktischen Problemen wie dem Wechseln der Wohnung oder der Telefonnummer sowie mehr öffentliche Hilfsangebote durch Psychologen.

Überrascht zeigte sich Sheridan davon, dass die Analysen für Großbritannien und die USA nahezu identische Ergebnisse erbrachten. Im Gegensatz zu der Gesetzeslage in diesen beiden Ländern haben Stalking-Opfer in Deutschland bisher kaum Möglichkeiten, rechtlich gegen die Belästigungen vorzugehen. Ein entsprechender Gesetzentwurf scheiterte letzte Woche im Bundesrat.

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