Evolution des Menschen: Stammbaum von Homo sapiens wird noch komplizierter
Der klare und übersichtliche Stammbaum des Homo sapiens, wie man ihn vielleicht noch aus dem Biologiebuch kennt, verwandelt sich zusehends in einen Stammbusch – so auch dank einer aktuellen Studie von Forschern um Maeve Leakey von der Stony Brook University im US-Bundesstaat New York.
Darin beschreibt das Team insgesamt drei neue Fossilien, die in den Jahren 2007 bis 2009 in Koobi Fora, einer wichtigen Fossilienlagerstätte nahe des Turkana-Sees in Kenia, gefunden wurden: ein Gesichtsschädel samt Oberkiefer (KNM-ER 62000) und zwei Unterkiefer (KNM-ER 60000 und 62003). Alle drei Skelettteile stammen aus der Zeit von vor 1,78 bis 1,95 Millionen Jahren und damit aus einer Phase der menschlichen Evolution, die vor allem durch das Auftreten von Homo erectus gekennzeichnet ist. Diese Art gilt als eindeutiger Vorfahr des anatomisch modernen Menschen.
Insbesondere das erste der jetzt beschriebenen Fundstücke, der Gesichtsschädel, hilft den Anthropologen, einen bisher rätselhaften Schädel einzuordnen, der Anfang der 1970er Jahre in derselben Gegend entdeckt wurde. Ursprünglich hatten ihn einige Forscher der Art Homo habilis zugeschlagen, einer noch ursprünglicheren Art, die die ersten Vertreter der Gattung Homo stellt. Wegen seiner stark von der typischen Habilis-Gesichtsmorphologie abweichenden Züge wurde das KNM-ER 1470 genannte Fossil dann allerdings von einigen Wissenschaftlern einer neuen Art, Homo rudolfensis, zugeordnet. Es fehlten jedoch vergleichbare Funde, die diese Einordnung rechtfertigen würden – bis jetzt.
Wie Leakey und Kollegen demonstrieren, ähnelt insbesondere der neu gefundene Gesichtsschädel, aber auch die Unterkiefer in ihrem Aufbau stark dem Fossil 1470. Demnach scheint es sich dabei tatsächlich um eine eigenständige Gruppe früher Vertreter der Gattung Homo gehandelt haben. Ob diese tatsächlich den Status einer eigenen Art verdient, lassen die Forscher offen.
Sicher ist nur, dass diese Zuordnung auch die Bestimmungen anderer Fossilfunde durcheinanderwirbelt. So ist nun nicht mehr klar, zu welcher Art fortan diejenigen Unterkiefer gezählt werden sollten, die bislang fälschlicherweise als zum H. rudolfensis gehörig betrachtet wurden. Möglicherweise gab es also noch weitere Gruppen oder Unterarten, die in dieser Phase auftraten und parallel mit H. habilis/H. rudolfensis und dem frühen H. erectus existierten.
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