Stammzellforschung: Chimärer Affe lebend auf die Welt gekommen
Einem chinesischen Forschungsteam ist es offenbar gelungen, chimäre Affenembryonen hervorzubringen. Das Team um die Neurobiologin und Genetikerin Jing Cao erzeugte die Embryonen aus einem Gemisch embryonaler Zellen und naiver »Alleskönner-Stammzellen« von Javaneraffen. Von 206 derart entstandenen Embryonen erwiesen sich zwei als lebensfähig. Die Forschungsergebnisse samt Infografiken zum Ablauf des Experiments lassen sich im Fachjournal »Cell« nachlesen. Demzufolge soll es zu einer Fehl- sowie einer Lebendgeburt gekommen sein. Das lebend geborene Äffchen sei nach zehn Tagen verstorben.
Dabei handelt es sich noch nicht um die Erschaffung eines Mischwesens aus zwei unterschiedlichen Arten; vielmehr sollen die entstehenden Primaten ein zelluläres Mosaik bilden, bei dem ein Großteil der Körperzellen einem zweiten Individuum entstammt. »Als Chimären werden in der Biologie solche Lebewesen bezeichnet, die Zellen enthalten, die zwei oder mehr unterschiedlichen Befruchtungen entstammen«, erklärt Rüdiger Behr vom Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen. Behr leitet dort die Abteilung Degenerative Erkrankungen.
Ein Ziel des chinesischen Forschungsprojekts lautet, Krankheiten besser zu verstehen. Beispielsweise ließen sich in Stammzellen genetische Mutationen erzeugen und in frühe Embryonen einbringen, deren molekulare Wirkung sich dann im heranwachsenden Affen untersuchen lässt. Dafür müsste allerdings zunächst die Erfolgsrate der Methode, chimäre Affen zu erzeugen, weiter erhöht werden.
Auch Natur kennt Chimären
Behr zufolge kommen Chimären in manchen Tierarten natürlicherweise vor. So weisen Weißbüschelaffen einen natürlichen Blutzell-Chimärismus auf, da Zwillingsschwangerschaften bei ihnen häufig auftreten und die Embryonen dann über eine gemeinsame Plazenta Blutstammzellen austauschen. Bei Menschen nennt der Fachmann die Blutstammzelltransplantation als Beispiel. Dabei würden im Zuge einer Stammzelltherapie »menschliche Chimären erzeugt«.
Bei der vorgelegten Studie gehe es allerdings nicht um Blutstammzellen, sondern um »Alleskönner-Stammzellen«, so genannte pluripotente Stammzellen, und deren Fähigkeit, Chimären in einem Primaten zu bilden. Von pluripotenten Stammzellen der Maus wisse man schon seit Jahrzehnten, dass sie chimäre Tiere hervorbringen könnten, sagt Behr. Für Primaten sei das bis jetzt noch nicht überzeugend gelungen. Das Ziel der Studie sei gewesen, kultivierte pluripotente Stammzellen eines Primaten in einen derart ursprünglichen, frühembryonalen Zustand zurückzuversetzen, dass sie mit den Zellen eines Primatenembryos kurz nach der Befruchtung in engsten Kontakt gebracht werden und gemeinsam eine funktionale Einheit bilden können. Der entstehende chimäre Embryo könne sich nach Übertragung auf eine Leihmutter dann zu einem chimären Affen entwickeln.
Biomedizinische Primatenforschung erbringt auch im Grundlagenbereich immer Erkenntnisse über den Menschen
»Dies ist hier erstmals überzeugend gelungen: Die in den Embryo übertragenen Stammzellen haben wesentlich zur Bildung aller überprüften Organe des geborenen Affen einschließlich Gehirn, Herz und Hoden beigetragen«, schließt Behr seine Einschätzung. Bei dem erst lebend geborenen, dann rasch verstorbenen Tier hatte es sich um einen männlichen Affen gehandelt. Die Relevanz für die Primatenforschung schätzt der Wissenschaftler als hoch ein.
»Menschen gehören zu den Primaten. Primaten sind sich untereinander sehr viel ähnlicher als eine Primaten- und eine Nagetierart.« Insofern erbringe biomedizinische Primatenforschung auch im Grundlagenbereich wichtige Erkenntnisse über den Menschen sowie oftmals neue Ideen für die Behandlung von Krankheiten. Auf die Frage, was konkret neu sei an den nun veröffentlichten Forschungsergebnissen, hebt Behr den Erkenntnisgewinn hervor: »Dass pluripotente Stammzellen der Primaten in einen so ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden können, dass sie eine Chimäre bilden können.« Auch in Deutschland sei solche Forschung erlaubt und werde derzeit betrieben.
Aus dem Tier in die Stammzellkultur
Zwei Forschungsfelder könnten besonders profitieren von chimären Affen: das Herstellen von Organen aus menschlichen Zellen im Tier und die Entwicklung neuer Therapien für Erkrankungen des Menschen. So könnte die genetische Modifikation von Tieren (einschließlich Primaten) hier zu Durchbrüchen führen. Allerdings betont der Forscher auch, dass genetische Modifikation komplex sei und in der Durchführung oft ineffizient. Mit Blick auf die Studie des chinesischen Teams urteilt Behr: »Mit den vorgestellten Daten könnte die Durchführung der genetischen Modifikation möglicherweise aus dem Tier in die Stammzellkultur verlagert werden.« Hierdurch ließe sich Tierleid vermindern und die Forschungsverfahren könnten effizienter werden.
»Immens wichtig für die Grundlagenforschung, aber auch für die Entwicklung neuer Zelltherapien für bisher unheilbare Krankheiten«Wilfried Kues, Stammzellphysiologe
Mensch-Affe-Mischwesen zu erzeugen, sei hingegen kein Ziel solcher Versuche. »Das Ziel ist vielmehr, Organe aus menschlichen Zellen in Schweinen heranzuzüchten.« Das Schwein sei schon wegen der anatomischen Größenverhältnisse als Organspender besser geeignet als die in der Forschung verwendeten kleineren Primatenarten. Auch ethische und emotionale Erwägungen dürften hier eine Rolle spielen. Die aktuelle Studie in einem »Primaten-Modell« habe allerdings »große Aussagekraft im Hinblick auf den Menschen« und zeige, wie Primatenstammzellen für eine erfolgreiche Übertragung auf einen Empfängerembryo zur Bildung eines chimären Tiers vorbereitet werden können.
Pluripotenz, also der Zustand, in dem Zellen das Potenzial haben, sich in alle adulten Zellen zu entwickeln, sei sehr vergänglich, wie Wilfried Kues vom Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit auf der Greifswald-Insel Riems ergänzt. Dem Stammzellphysiologen zufolge ist das Erforschen der pluripotenten Alleskönner-Zellen »immens wichtig für die Grundlagenforschung, aber auch für die Entwicklung neuer Zelltherapien für bisher unheilbare Krankheiten«. Wie Behr betont auch er, dass mit Arten, die dem Menschen näher stehen als Nager, in den letzten Jahren »in Chimärismus-Tests nur extrem begrenzte Ergebnisse erzielt« werden konnten. Der Erfolg der Studie von Cao und Kollegen beruhe auf systematischen Tests verschiedener Kulturmedien, die unterschiedliche Wachstumsfaktoren und Inhibitoren miteinander kombinieren.
Ähnlich wie Behr erwartet Kues, dass die Publikation die einschlägige Forschung befördern wird. »Humane iPS-Zellen (induzierte pluripotente Stammzellen des Menschen, Anm. d. Red.) und daraus abgeleitete adulte Zellen werden zurzeit schon in einer Reihe von klinischen Studien getestet, die durch die verbesserten Kulturbedingungen noch sicherer werden können«, lautet sein Fazit.
»Langsam, aber sicher werden die Rätsel am Anfang des Lebens gelöst«Stefan Schlatt, Reproduktionsmediziner
Stefan Schlatt, Direktor am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie des Universitätsklinikums Münster, weist auf einen weiteren wichtigen Aspekt hin: »Manchmal sind es Fleißpreise bei wissenschaftlichen Durchbrüchen.« Die Arbeit zeige, dass die systematische und mühsame Suche nach optimalen Kulturbedingungen und Versuchsaufbauten notwendig sei, um von einer prinzipiellen Entdeckung zu einer effizienten Anwendung zu kommen. Die Aufbereitung pluripotenter Zellen und ihre Einbringung in einen Embryo bis hin zur Chimärenbildung betrachtet er als grundlegenden wissenschaftlichen Durchbruch. Gleichzeitig zeige das Ergebnis, insbesondere der rasche Tod des lebend geborenen chimären Äffchens, dass die Nachkommen ungesund seien.
»Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass Chimärismus, in welcher Form auch immer, keine Strategie für den menschlichen Gebrauch ist.« Davon abgesehen sei die Arbeit ein spannender Durchbruch in der Stammzelltechnologie und Entwicklungsbiologie: »Langsam, aber sicher werden die Rätsel am Anfang des Lebens gelöst. Gleichzeitig lernen wir, wie entscheidend zelluläre Zustände und Synchronisation bei der Bildung eines Organismus sind.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.