News: Starke Säure mit sanftem Gemüt
Die Arbeitsgruppe um Christopher Reed von der University of California in Riverside versuchte ihr Glück daher im Trockenen. Und so gelang es ihr tatsächlich, das Molekül dazu zu bringen, das Proton zu behalten. Wie erwartet war die Säure etwa um eine Million Mal stärker als Schwefelsäure, welche die klassische Trennlinie zwischen Säuren und Supersäuren markiert.
Supersäuren zeichnen sich meistens dadurch aus, dass sie sehr stark korrodierend wirken. Das heißt, es genügt ihnen nicht, ein Proton an ein anderes Molekül abzugeben, sondern sie reißen es danach auch noch auseinander. Das Carboran wird dagegen äußerst reaktionsträge, sobald es deprotoniert ist. Reed und seine Mitarbeiter zeigten dies anhand von Fullerenen, die sie mit Hilfe der neuen Säure ionisierten. Bisher hatte noch jeder Versuch, die anorganischen Fußbälle zu protonieren, die Moleküle zerstört. Mit der Carboransäure jedoch gelang es den Wissenschaftlern, aus dem Magenta-farbenen Pulver ein dunkelrotes Salz herzustellen (Science vom 7. Juli 2000).
Auch andere Chemiker halten die neue Säure für eine wahrscheinlich recht nützliche Substanz. "Im Großen und Ganzen betrachtet bedeutet es, dass [Reed] nun alles protonieren kann", erklärt Yves Rubin von der University of California in Los Angeles. Zum Beispiel könnte man die Carboransäure in der Erdölindustrie einsetzen, um den Oktangehalt des Öls weiter zu verbessern. Für diesen Prozess müssen bisher starke Säuren eingesetzt werden, die aber korrodierend wirken. In der Forschung könnte die Verbindung beispielsweise dazu beitragen, kurzlebige Zwischenprodukte von chemischen Reaktionen zu stabilisieren und so eine Momentaufnahme des ganzen Vorgangs zu ermöglichen. Dementsprechend euphorisch äußert sich Rubin über die Zukunft der Carboransäure: "Ich denke, sie wird zum Standard der nichtreaktiven Säuren werden."
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