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Geotektonik: Startschuss für die Erdkernmaschine

Weit außerhalb unserer Reichweite zieht der Erdkern seine Kreise. Nun sollen zwei rotierende Stahlkugeln mit flüssigem Natrium im Dienste der Forschung seinen Geheimnissen näher kommen.
Erdmagnetfeld (simuliert)

Die drei Meter hohe, gerippte Kugel sieht aus wie ein Raumfahrtzeug aus einer anderen Welt – zumindest unter Flutlicht in ihrem robusten Stahlkäfig betrachtet. Tatsächlich soll die gigantische Hohlform, die in einer Lagerhalle der University of Maryland in College Park steht, das Innerste der Erde simulieren – zumindest näherungsweise.

Nach zehnjähriger Entwicklungszeit steht das zwei Millionen US-Dollar teure Projekt nun vor seiner Premiere: Ab Anfang 2012 soll sich die Kugel um ihre Achse rotieren und dabei ihre Füllung aus 13 000 Kilogramm geschmolzenem, 105 Grad Celsius heißen Natrium bewegen.Die beteiligten Wissenschaftler hoffen, dass die sich drehende, elektrisch leitfähige Flüssigkeit dann ein sich selbst erhaltendes elektromagnetisches Feld erzeugen wird, das die Forscher dann schubsen, stupsen und blockieren können. Dadurch wollen sie mehr über unseren Erddynamo erfahren, der durch Bewegungen des flüssigen Eisens im äußeren Erdkern angetrieben wird. Sollte dies funktionieren, wäre zum ersten Mal ein Experiment erfolgreich, das den Aufbau und Charakter des Erdkerns widerspiegelt.

Erdkern und Erdkernsimulator | Die Erde baut sich aus verschiedenen "Schalen" auf, von denen die Erdkruste die mit Abstand dünnste ist. Der Erdkern hat dagegen einen Durchmesser von mehr als 4800 Kilometer und besteht aus einem zähflüssigen äußeren und einem soliden inneren Kern. Die Dynamik des äußeren Kerns verursacht das Erdmagnetfeld und soll mit dem Erdkernsimulator im Labor nachgestellt werden.

"In der Natur entstehen Dynamos recht einfach", erzählt der Projektleiter und Geophysiker Daniel Lathrop, "sie im Labor nachzubauen ist es dagegen nicht." Diese Prozess künstlich zu simulieren, würde jedoch unser Verständnis von den Vorgängen in 3000 Kilometer Tiefe beträchtlich voranbringen. Denn die ablaufenden Prozesse in dieser Tiefe lassen sich ansonsten nur indirekt untersuchen – etwa über seismische Wellen, die durch das Erdinnere laufen. "Wir verfügen über keine Möglichkeit, irgendetwas in der Nähe des Erdkerns unmittelbar zu messen. Selbst die tiefste Bohrung der Menschheit erreichte nur ein Hundertstel der Gesamtstrecke bis zum Zentrum des Planeten", so Lathrop.

Der Versuchsaufbau seiner Arbeitsgruppe besteht aus zwei konzentrischen Kugeln: Die Innere, mit einem Durchmesser von einem Meter, steht für den festen inneren Erdkern, die Äußere stellt den unteren Rand des Erdmantels dar. Der Raum zwischen beiden wird mit flüssigem Natrium gefüllt, was den flüssigen äußeren Erdkern simulieren soll. Jede Kugel wird von einem eigenen Motor angetrieben, so dass sie sich unabhängig voneinander drehen können. Geplant ist, dass sich die Kugeln je nach Versuch teils mit denselben, teils mit jeweils unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen, wobei die äußere bis zu vier und die innere bis zu 12 Umdrehungen pro Sekunde schaffen sollen. Lathrop und sein Team wollen dmait herausfinden, wie Hitze und Rotation die Bewegungen des flüssigen Eisens im Erdkern beeinflussen könnten.

Eine Premiere steht an

Die größte Schwierigkeit liegt wohl darin, ob das kreisende Natrium den Geodynamo nachahmt und ein sich selbst erhaltendes Magnetfeld erzeugt. Das Experiment nutzt den natürlichen Erdmagnetismus als eine Art Kickstarter, um diesen Prozess in den Kugeln anzustoßen. Sobald das entstehende Feld durch die Drehbewegung der leitfähigen Flüssigkeit mitgeschleift und gedehnt wird, erzeugt es elektrische Ströme, die wiederum zusätzliche Magnetfelder generieren. Werden sie ausreichend weit verdreht und verwickelt, könnten sie sich selbst verstärken und so den Dynamoprozess weiter antreiben – zumindest lautet so der Plan. Niemand weiß, ob dieser Rückkopplungsmechanismus funktionieren werde, sagt Lathrop, "da dies bislang weder in Theorie noch Praxis probiert wurde."

© DPL Nonlinear Dynamics Lab
Erdkernsimulator bei der Arbeit

Der Enthusiasmus der Forschergemeinde wächst jedenfalls – auch außerhalb von Lathrops Team. "Alle halten gespannt den Atem an", meint Andrew Jackson, der als Geophysiker an der ETH Zürich arbeitet. "Lathrop stellt Fragen, die noch keiner beantworten kann."

Das Maryland-Experiment baut auf früheren Versuchen auf, wie sie zum Beispiel eine Kooperation zwischen den École Normale Supérieure in Paris und Lyon sowie der französischen Atomenergiebehörde in Saclay entwickelt hatte. Ihr Experiment in Cadarache nutzt wirbelnde Eisenscheiben in einem Zylinder, um Turbulenzen in flüssigem Natrium auszulösen. 2007 berichtete das Team, dass ihre Kombination von Bewegung und einem initialen Magnetfeld dazu führte, dass sie ein Dynamo entwickelte, der demjenigen der Erde ähnelte. Der nächste Schritt sei es, Dynamos zu untersuchen, die sich wirklichkeitsnäheren Experimenten einstellen, sagt Jean-Francois Pinton, der am französischen Projekt mitarbeitet, das immer noch läuft. "Unser Versuchsaufbau ist ein rein physikalischer", fügt Pinton hinzu – denn er ziele einzig darauf ab, einen Dynamo erzeugen, unabhängig davon, wie realitätsnah der Bedingungen sind. "Dan möchte dagegen wissen, was in der Erde tatsächlich geschieht."

Erdmagnetfeld (simuliert) | Die Strömungen im flüssigen Eisen des äußeren Erdkerns wirken wie ein Dynamo und erzeugen dadurch das Erdmagnetfeld, das die Erde gegen geladene Teilchen aus dem All abschirmt. Wie es sich für einen Magneten gehört, teilt er sich in zwei Pole auf – den Süd- und den Nordpol, von dem die Erdmagnetfeldlinien ausgehen.

Andere Forschergruppen haben sich ebenso wie Lathrop an planetenartige Hohlkugeln mit flüssigem Natriuminhalt gewagt, doch gelang es ihnen nicht, sich selbsterhaltende Dynamos zu erzeugen. Eine Forschergruppe an der University of Wisconsin-Madison beispielsweise arbeitet mit einem Apparat, dessen Kugel nicht rotiert, aber in der integrierte Propeller Turbulenzen erzeugen. Ein anderes Team im französischen Grenoble hat eine 40 Zentimeter große, sich drehende Konstruktion erstellt, die ebenfalls aus einer natriumgefüllten äußeren und einer kompakten inneren Kugel besteht. Beide Experimente haben interessante, dynamische Fließeigenschaften leitfähiger Flüssigkeiten aufgedeckt – doch einen Dynamo konnten sie nicht erzeugen.

Ein Loblied dem Erdmagnetfeld

Lathrops jüngste Konstruktion ist nun die vierte und größte einer Serie von künstlichen Erdkernen mit Natriuminhalt, den seine Mannschaft gebaut hat. Noch keine hat bisher einen Dynamo hervorgebracht, doch die Größe des neuesten Exemplars erhöht zumindest die Chancen, dass es klappt. Im Erfolgsfall erhoffen sich Lathrop und Co, dass ihre Arbeit ein wenig erhellt, wie Fliehkräfte im Erdinneren die Ströme leitfähiger Fluide ablenkt, so dass daraus ein Magnetfeld mit Nord- und Südpol entsteht.

Womöglich liefert das Experiment auch Hinweise darauf, was die völlige Umkehrung des Erdmagnetfelds auslöst: Durchschnittlich findet diese Umpolung nach einigen hunderttausend Jahre statt, doch kann das Ereignis auch schon nach wenigen zehntausend oder erst nach mehreren Millionen Jahren eintreten – letztmals geschah dies vor rund 780 000 Jahren. Während der letzten eineinhalb Jahrhunderte hat sich unser Magnetfeld um etwa zehn Prozent abgeschwächt, weshalb manche Geowissenschaftler vermuten, dass sich ein erneuter Polwechsel anbahnt.

Dynamo hin oder her – es wird interessant werden!Daniel Lathrop

Obwohl es unwahrscheinlich ist, dass eine Umpolung der Menschheit größere Probleme beschert, ist die Abschwächung des Erdmagnetfelds zumindest "ein wenig alarmierend", meint Lathrop: Es schirmt die Erde vor geladenen Sonnenteilchen ab, die zum Beispiel Stromnetze stören können. "Das Erdmagnetfeld gehört zu den Schutzmechanismen, die unseren Planeten so lebensfreundlich machen", so der Forscher.

Mittlerweile ist sein Erdsimulator zu drei Viertel gefüllt, und die Forscher warten auf die letzte Flüssignatriumlieferung, die sie im Januar erwarten. Sobald der letzte Tropfen des Metalls eingefüllt ist, wird das Team den Apparat rekonfigurieren, damit das Experiment beginnen kann. "Wir haben alle erdenklichen Maßnahmen getroffen, um Dynamoaktivität erzeugen zu können. Aber wir können natürlich keine detaillierte Vorhersage treffen, ob diese ausreichen oder nicht", erzählt der Postdoc Daniel Zimmerman, der seit Anfang an an dem Projekt mitarbeitet. Doch Lathrop sorgt sich darüber nicht, denn eine große, rotierende Menge einer leitfähigen Flüssigkeit werde sicherlich einige Überraschungen nach oben strudeln: "Dynamo hin oder her – es wird interessant werden!"

  • Quellen
Nature 480, S. 162–163, 2011

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