News: Stechmücken sind Feinschmecker
Ein Atemhauch in 65 Kilometer Entfernung reicht schon aus, um die surrenden Plagegeister anzulocken. Der Cocktail aus Kohlendioxid und Körpergerüchen wirkt wie ein Gong, der zum Essen ruft. Im Zick-Zack-Kurs und immer der Nase nach folgen die kleinen Insekten der Duftwolke direkt an den gedeckten Tisch. Für die letzten Meter nutzen sie dann zur Orientierung die Augen und ihren Temperaturfühler für die abgestrahlte Körperwärme ihres Opfers.
Haben die Mücken ihren edlen Spender entdeckt, suchen sie erstmal einen Landeplatz. Störungen beim Essen lieben sie gar nicht, daher warten sie in einem Versteck auf eine günstige Gelegenheit, um sich auf ihr Abendbrot zu stürzen. Mahlzeit!
Zu den geruhsamen Essern gehören die Quälgeister nicht gerade. Nur acht bis zehn Sekunden, und sie sind wieder weg. Kein Wunder, droht doch immer die Hand von oben, die aus dem Bluttrunk die Henkersmahlzeit macht. Doch kein Kellner serviert ihnen das Gewünschte, Schwerstarbeit ist angesagt: Eine geeignete Stelle für den Einstich muß gefunden werden. Dann bohren sie ihre Lippe durch die Haut, vorbei an Hindernissen, wenn nötig, auch um die Ecke, bis sie endlich den labenden Strom erreichen – ein Blutkapillare. Möchten Sie Ihr Bier in einer Kneipe selber zapfen müssen? Noch dazu, wenn sich der Zapfhahn im Keller hinter Gerümpel versteckt?
Doch wonach duftet denn überhaupt das Leibgericht? Natürliche Körperausdünstungen, der Geruch bestimmter Kosmetika – darauf 'fliegen' Mücken. Schweiß – unter Menschen eher unbeliebt – läßt den Blutsaugern das Wasser im Munde zusammenlaufen. Ebenso verlockend sind die Inhalte mancher Döschen und Tuben des Kosmetikkoffers. Was einen Menschen schön macht, wirkt auch auf die Insekten anziehend. Und so erfolgreich ein Mückenschutz auch für ein paar Stunden ist – der Grillabend dauert meist länger.
Auch Medikamente können die Attraktivität verändern. Das mußte einer der freiwilligen Teilnehmer erfahren, als er während der Testphase wegen eines Gehirntumors behandelt wurde. Wollten die kleinen Vampire noch vor der Operation nichts von ihm wissen, so war er danach ein beliebtes Zielobjekt. Dasselbe gilt für Menschen, die Herz- oder Blutdruck-regulierende Mittel nehmen oder Medikamente gegen zu hohen Cholesterinspiegel. Ein Schlückchen ihres Blutes ist für die Tierchen praktisch ein ausgewogenes Vollwert-Menü – reich an Cholesterin und Vitamin B. Beides lebenswichtig, doch können sie es nicht selbst herstellen.
Die Wissenschaftler sind den Lieblingsdüften der Stechmücken mit einem Olfactometer auf der Spur. Kleine Schälchen mit Tierblut und anderen verlockenden Geruchsproben, abgedeckt mit einer Membran, sollen die heißhungrigen Blutsauger verführen. Haben sich die fliegenden Versuchsteilnehmer in dieser Parfümerie entschieden und zum Einstich niedergelassen, informiert ein elektrisches Signal einen Computer davon, der das Ganze statistisch auswertet.
Den Wissenschaftlern geht es bei ihrer Arbeit weniger um das Wohl von Partygästen als vielmehr um einen besseren Schutz vor der Übertragung von Krankheiten. "Nur eine von tausend Stechmücken trägt Erreger in sich", sagt Butler. "Wenn die Stechquote nur etwas verringert wird, ist die Gefahr einer Ansteckung bereits deutlich reduziert." Immerhin werden manche Menschen ungefähr zwanzigmal häufiger gestochen als andere.
Doch auch für Grillabende sind die Ergebnisse durchaus von Interesse. Wundern Sie sich nicht, wenn ihre Freunde Sie nun häufiger dazu einladen. Aus Ihren beiläufigen Bemerkungen oder vielleicht sogar häufigen Klagen haben sie wohl geschlossen, daß Sie auch zu diesen Menschen gehören, die bevorzugt gestochen werden. Das hebt Ihre Beliebtheit – zumindest für solche Anlässe – ungemein.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 1.9.1998
"Die Dinger aus der Tiefe" - Spektrum Ticker vom 20.3.1998
"Das kleinere Übel"
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