Klimawandel: Was, wenn der Motor des Ozeans versagt?

Im Jahr 1751 machte der Kapitän eines englischen Sklavenschiffs eine historische Entdeckung. Während er auf 25 Grad nördlicher Breite im subtropischen Nordatlantik segelte, ließ Kapitän Henry Ellis ein vom britischen Geistlichen Stephen Hales entwickeltes und ihm zur Verfügung gestelltes Messinstrument durch das warme Oberflächenwasser in die Tiefe hinabgleiten. Mit dem Gerät konnte er Wasser aus verschiedenen Tiefen an Deck holen und die jeweilige Temperatur mit einem eingebauten Thermometer ablesen. Zu seiner Überraschung stellte Kapitän Ellis fest, dass das Wasser in der Tiefe eiskalt war.
Er berichtete Hales in einem Brief von seinen Erkenntnissen: »Die Temperatur nahm kontinuierlich ab, hinunter bis etwa 3900 Fuß; von da an blieb das Quecksilber im Thermometer auf 53 Grad (Fahrenheit) stehen; und obwohl ich das Gerät anschließend bis in eine Tiefe von 5346 Fuß versenkte, veränderte sich die Quecksilbersäule nicht mehr.«
Es waren die ersten jemals aufgezeichneten Temperaturmessungen in der Tiefsee. Sie enthüllten ein grundlegendes und auffälliges physikalisches Merkmal der Weltmeere: Tiefes Wasser ist immer kalt. Das warme Wasser ist auch in den Ozeanen der Tropen und Subtropen auf eine dünne Schicht an der Oberfläche beschränkt; die Sonnenstrahlung erwärmt die Tiefe nicht etwa langsam über Jahrhunderte oder Jahrtausende, wie man vielleicht erwarten könnte. Damit war Ellis womöglich als Erster auf die große Umwälzzirkulation des Ozeans gestoßen, jenes System der Tiefseeströmungen, das kaltes Wasser polaren Ursprungs um den Planeten herumzirkulieren lässt.
Aber erst im Jahr 1797 veröffentlichte ein anderer Engländer, Graf Rumford, eine korrekte Erklärung für Ellis' Entdeckung: »Es scheint äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich zu sein, diese Kälte am tropischen Meeresgrund durch eine andere Annahme zu erklären als die der kalten Strömungen von den Polen; die Bedeutung der Strömungen dafür, die übermäßige Hitze dieser Klimazonen abzumildern, ist zu offensichtlich, als dass sie einer Erläuterung bedürfte«, schrieb der britische Offizier und Experimentalphysiker in sein Notizbuch.
Transport von gigantischen Wärmemengen
Heute, mehr als 200 Jahre später, haben wir zwar ein recht gutes Verständnis vom komplexen System der Tiefseezirkulation sowie auch davon, welche Rolle diese für das Klima spielt. Einige verbliebene Unklarheiten könnten jedoch künftig noch bedeutsam werden. In diesem Artikel befasse ich mich mit dem atlantischen Teil der globalen Umwälzzirkulation. Sie ist einer der Hauptakteure des vergangenen und wahrscheinlich auch des zukünftigen Klimawandels und wird AMOC genannt (kurz für »Atlantic meridional overturning circulation«). Die nordwärts gerichtete Strömung des warmen Oberflächenwassers und die tiefe, kalte Rückströmung machen den Südatlantik zu einem Kuriosum: Er transportiert Wärme aus den südlichen hohen Breiten in Richtung Äquator, von kalt nach warm (siehe »Wichtige Rolle im Klimasystem«). Alle anderen Ozeanbecken verhalten sich dagegen »normal«, indem sie überschüssige Wärme von den sonnenverwöhnten Tropen wegleiten.
Im Nordatlantik befördert die Umwälzzirkulation Wärme mit einer durchschnittlichen Leistung von gut einem Petawatt (1015 Watt). Sie ist also in der Lage, das 50-Fache der Energiemenge zu transportieren, die die Menschheit im Jahr 2021 verbraucht hat. Der Nordatlantik liefert die Wärme bis in die Region vor Grönland und Island und teils noch weiter nördlich an Island vorbei in das Europäische Nordmeer. Dort gibt er seine Wärme großzügig an die kalten Luftschichten über ihm ab, bis das Wasser so kalt und dicht ist, dass es in die Tiefe sinkt, und zwar auf 2000 bis 3000 Meter hinab.

Dort »fließt das Wasser wie ein großer Fluss die gesamte Länge des Atlantiks hinunter«, schreibt Wallace Broecker in einem 1987 erschienenen Artikel im Fachmagazin »Nature«. Die an die Atmosphäre abgegebene Wärme macht die nordatlantische Region für ihren Breitengrad viel zu warm, besonders dort, wo Luft vom Meer zum Land weht. Dies ist auch der Hauptgrund dafür, dass die Nordhalbkugel im Durchschnitt 1,4 Grad Celsius wärmer ist als die Südhalbkugel und dass der thermische Äquator, der Breitengrad, an dem es auf der Erde am wärmsten ist, etwa zehn Grad nördlich des geografischen Äquators liegt.
Die Temperatur ist allerdings nicht der einzige Einflussfaktor auf die AMOC – der zweite ist der Salzgehalt: Je salziger das Wasser, desto dichter ist es. Die Salinität bestimmt daher, wie stark das Wasser absinkt. Aus diesem Grund wird die Umwälzströmung auch als thermohaline Zirkulation bezeichnet: Sie wird durch Temperatur- und Salzgehaltsunterschiede angetrieben. Während die Temperatur jedoch einen stabilisierenden Einfluss auf die AMOC hat, kann der Salzgehalt sie destabilisieren.
1961 erkannte der US-Ozeanograf Henry Stommel anhand eines ganz simplen Box-Modells (siehe »Stommels Box-Modell«) aus zwei hypothetischen, miteinander verbundenen Kästen, wie eine Veränderung des Salzgehalts der atlantischen Gewässer zu einem Kipppunkt führen kann. Damit wird der Punkt bezeichnet, ab dem ein System durch eine selbstverstärkende Eigendynamik in einen anderen Zustand übergeht. Im Fall der AMOC ist es so: Im Nordatlantik sinkt das Wasser in die Tiefe, weil es kalt und sehr salzig ist. Das Wasser ist so salzig, weil in den Subtropen Wasser verdunstet, das Salz im Meer zurückbleibt und dann mit der AMOC in die sonst salzärmeren hohen Breiten strömt. Mit anderen Worten: Die AMOC fließt, weil der Nordatlantik salzig ist, und der Nordatlantik ist salzig, weil die AMOC fließt. Das ist ein sich selbst erhaltender Rückkopplungseffekt.
Das funktioniert auch andersherum: Wenn der nördliche Atlantik durch den Zufluss von Regen- oder Schmelzwasser weniger salzig wird, ist das Wasser weniger dicht, sinkt entsprechend weniger ab und die AMOC verlangsamt sich. Dadurch transportiert sie weniger Salz in die Region, was die AMOC weiter verlangsamt. Dieser Prozess wird als Salztransportrückkopplung bezeichnet. Jenseits einer kritischen Schwelle wird der Prozess zu einem sich selbst verstärkenden Teufelskreis, und die AMOC kommt zum Erliegen. Dieser Schwellenwert ist der Kipppunkt der AMOC und wird auch als Stommel-Bifurkation bezeichnet.
Stommels Box-Modell, das diese Prozesse abbildet, besteht lediglich aus einem Kasten für die hohen Breiten und einem Kasten für die Subtropen, die durch eine Umwälzströmung verbunden sind. Diese ist proportional zum Dichteunterschied. Das Modell sagt die Strömung sowie die Temperatur, den Salzgehalt und die Dichte in beiden Kästen voraus.

Für Modelle wie das von Stommel kann man die Gleichgewichtskurven einfach berechnen – die Lösung für die grüne Kurve ist eine Parabel. Um die Gleichgewichtszustände eines komplexeren Modells nachzuvollziehen, führt man im Modell dem Nordatlantik Süßwasser mit einer sehr langsam ansteigenden Rate zu. Man bleibt so in der Nähe des Gleichgewichts und kann sehen, wo interne Rückkopplungen die Abschwächung zu dominieren beginnen.
In einem monostabilen Regime (in dem es nur einen Gleichgewichtszustand gibt) kann eine AMOC-Abschaltung zwar erzwungen werden, indem kurzzeitig sehr viel Süßwasser zugegeben wird; die AMOC erholt sich jedoch schnell wieder. Im bistabilen Regime kann sich das System dauerhaft in einem von zwei stabilen Zuständen befinden, wobei die AMOC je nach Anfangsbedingungen »an« oder »aus« ist. Unterbricht man die AMOC-Strömung durch eine vorübergehende Süßwasserzugabe, erholt sie sich nicht, sondern bleibt im stabilen Aus-Zustand. Experimente zeigen, dass sich in vielen, wenn nicht gar den meisten Klimamodellen die AMOC in einem monostabilen Zustand befindet. Das heißt, sie sind vergleichsweise weit vom Kipppunkt entfernt. Solche Modelle können trotzdem ein bistabiles Regime mit Kipppunkt haben; nur eben unter den gegenwärtigen Klimabedingungen nicht.
Der Klimawandel kann die AMOC von der Gleichgewichtslinie wegtreiben, weil die derzeitige globale Erwärmung zu schnell voranschreitet, als dass sich der Ozean vollständig anpassen könnte
Dass ein solcher Kipppunkt und das bistabile Regime existieren und nicht nur ein Artefakt von Stommels einfachem Modell sind, wurde seit dessen Arbeit von 1961 auf verschiedenste Weise bestätigt, etwa mit hoch entwickelten dreidimensionalen Ozeanzirkulationsmodellen, mit Erdsystemmodellen mittlerer Komplexität und vollwertigen gekoppelten Klimamodellen wie dem Community Earth System Model (CESM). Ein früher Modellvergleich ergab, dass alle elf darin betrachteten Modelle ein bistabiles Regime haben. Mir ist darüber hinaus kein Modell bekannt, das darauf getestet wurde und diese Eigenschaft nicht aufweist.
Der Klimawandel kann die AMOC von der Gleichgewichtslinie wegtreiben, weil die derzeitige globale Erwärmung zu schnell voranschreitet, als dass sich der Ozean vollständig anpassen könnte. Ist der Kipppunkt einmal überschritten, wird die AMOC auch ohne weiteren Antrieb in den Aus-Zustand gezogen. Die AMOC ist anfälliger für schnelle Klimaveränderungen als für langsamere. Deswegen sagen die oben beschriebenen Experimente letztlich zu wenig darüber aus, wie kurz der Kipppunkt in einer raschen globalen Erwärmungsphase wie der unseren tatsächlich bevorsteht.
Eine zweite Art von Kipppunkt kann sich ebenfalls auf die AMOC auswirken. Dem Absinken des Wassers im Nordatlantik geht eine tiefe vertikale Wasserdurchmischung (Konvektion) voraus. Sie findet statt, wenn dichteres Wasser über weniger dichtem Wasser liegt, die Wassersäule ist dann instabil und durchmischt sich. Der schwedische Ozeanograf Pierre Welander zeigte 1982, dass auch die Konvektion wie ein Schalter umgelegt werden kann – wiederum auf Grund der destabilisierenden Wirkung des Salzgehalts.
In den hohen Breitengraden wird der Ozean in der Regel durch Regen mit Süßwasser verdünnt. Wenn die Konvektion pausiert, kann sich Süßwasser ansammeln und eine Oberflächenschicht mit geringer Dichte bilden. Dadurch wird es immer schwieriger, die Konvektion wieder in Gang zu bringen, bis sie sich schließlich dauerhaft abschaltet. In weiteren Arbeiten haben wir gezeigt, dass dieser Kipppunkt selbst dann existiert, wenn die Konvektion auf Grund der zufälligen Wetterschwankungen nur gelegentlich stattfindet.
Innerhalb der heutigen AMOC gibt es zwei Hauptkonvektionsregionen: eine im nordatlantischen Subpolarwirbel (der die Labrador- und die Irmingersee umfasst) und eine noch weiter nördlich im Nordmeer (siehe »Ozeanbewegungen rund um den subpolaren Wirbel«). In vielen Modellexperimenten hat sich gezeigt, dass die Konvektion besonders in der Labradorsee dazu neigt, zu versiegen. Das verlangsamt nicht nur die AMOC, sondern auch den Subpolarwirbel, eine riesige, gegen den Uhrzeigersinn rotierende Strömung südlich von Grönland und Island.

Wird die Konvektion auf diese Weise gestoppt, geht weniger Wärme über die Meeresoberfläche verloren, und die gesamte Wassersäule verliert an Dichte. Dadurch verlangsamt sich die AMOC, die ja durch das kalte, dichte Wasser in der Tiefe angetrieben wird, das aus den hohen Breiten nach Süden drängt. Da es sich bei der Konvektion um einen kleinräumigen Prozess handelt, erfassen die meisten aktuellen Modelle diesen nur unzureichend, so dass zukünftige Entwicklungen mit großen Unsicherheiten behaftet sind.
Ein Blick zurück ins Paläoklima
Auf der Grundlage dieser AMOC-Instabilitätsmechanismen lassen sich einige dramatische Klimaveränderungen verstehen, die in der jüngeren Vergangenheit stattgefunden haben, das heißt in den zurückliegenden 100 000 Jahren.
In seinem mittlerweile berühmten »Nature«-Artikel mit dem Titel »Unangenehme Überraschungen im Treibhaus?« erörtert Wallace Broecker Daten aus Tiefseesedimentkernen und von Bohrungen in der grönländischen Eiskappe. Ihm zufolge zeigen diese Daten, »dass sich das Klima häufig und in großen Sprüngen« und nicht gleichmäßig und allmählich verändert. Angesichts der regionalen Muster dieser Veränderungen identifizierte er die AMOC (damals als »atlantisches Förderband« bezeichnet) als Schuldigen. Er warnte, dass wir durch die Freisetzung von Treibhausgasen »russisches Roulette mit dem Klima spielen (und) niemand weiß, in welcher Kammer die Patrone liegt«.
Sowohl die Dansgaard-Oeschger- als auch die Heinrich-Ereignisse hatten fernab des Atlantiks erhebliche Auswirkungen auf das globale Klima
In den Jahrzehnten seither haben wir zwei Typen von abrupten Klimaereignissen unterscheiden gelernt, die während der letzten Eiszeit wiederholt auftraten. Sie haben ihren Schwerpunkt im nördlichen Atlantik, aber globale Auswirkungen.
Der erste Typ sind die Dansgaard-Oeschger-Ereignisse, benannt nach dem dänischen Eiskernforscher Willy Dansgaard und seinem Schweizer Kollegen Hans Oeschger. Mehr als 20 dieser Ereignisse treten als abrupte Erwärmungsspitzen von 10 bis 15 Grad Celsius innerhalb von ein oder zwei Jahrzehnten in grönländischen Bohrkerndaten auf. Die Ursache ist wohl, dass in diesen Fällen die Ozeankonvektion im Nordmeer plötzlich einsetzte, während die Konvektion in der Eiszeit sonst nur im offenen Atlantik südlich von Island stattfand. Unter eiszeitlichen Bedingungen war die dadurch ausgelöste warme Strömung in das Nordmeer hinein anscheinend nicht stabil: Sie schwächte sich allmählich wieder ab, bis nach einigen hundert Jahren die Konvektion und die warme Strömung erneut endeten. Es handelt sich also um ein Beispiel für einen konvektiven Flipflop, wie er oben beschrieben wurde, bei dem die Konvektion im Nordmeer ein- und ausgeschaltet wird.
Der zweite Typ sind Heinrich-Ereignisse, benannt nach dem deutschen Wissenschaftler Hartmut Heinrich. Deren Auslöser waren riesige Eismassen, die episodisch vom Laurentidischen Eisschild, der damals das nördliche Amerika bedeckte, ins Meer rutschten. Es gelangte dadurch so viel Eis in den Ozean, dass der globale Meeresspiegel um mehrere Meter anstieg. Diese Eisberg-Armadas drifteten über den Atlantik, hinterließen Schichten von darin transportiertem Geröll auf dem Meeresboden und führten der Meeresoberfläche frisches Schmelzwasser zu. Dies bewirkte noch dramatischere Klimaveränderungen, verbunden mit einem vollständigen Zusammenbruch der AMOC. In diesen Phasen wurde auch die Antarktis wärmer, ein Indiz dafür, dass der enorme Wärmetransport der AMOC vom äußersten Süden über den Äquator in den hohen Norden zum Erliegen gekommen war.
Sowohl die Dansgaard-Oeschger- als auch die Heinrich-Ereignisse hatten fernab des Atlantiks erhebliche Auswirkungen auf das globale Klima. So beeinflussten sie die tropischen Niederschlagsgürtel, die sich aus der aufsteigenden Bewegung warmer Luft über dem »thermischen Äquator« ergeben. Während der warmen Dansgaard-Oeschger-Ereignisse verlagerten sich diese Niederschlagsgürtel nach Norden, was zu warmen und feuchten Bedingungen in den nördlichen Tropen bis hin nach Asien führte. Während der Heinrich-Ereignisse dagegen verlagerten sich die Niederschlagsgürtel nach Süden und führten zu katastrophalen Dürren in der afroasiatischen Monsunregion.
Was sagt uns die Kälteblase im Nordatlantik?
Um einschätzen zu können, ob uns in Zukunft ähnliche Verschiebungen der tropischen Niederschlagsgürtel bevorstehen, muss man sich anschauen, wie die AMOC bereits auf die fortschreitende globale Erwärmung der Gegenwart reagiert.
Leider reichen die AMOC-Messdaten nur wenige Jahrzehnte zurück und stammen von einer Hand voll Forschungsfahrten über den Atlantik seit den 1950er Jahren sowie von einem Messstationsnetz (RAPID), das seit 2004 kontinuierlich Daten zum Salzgehalt und zu den Strömungsgeschwindigkeiten von der Oberfläche bis zum Meeresboden im Atlantik erfasst. Daher müssen wir auf indirekte Belege zurückgreifen, um den Zustand des Strömungssystems in der früheren Vergangenheit zu entschlüsseln.
Beleg Nummer eins ist die »Kälteblase«, im Englischen »Cold Blob« genannt, die sich in den globalen Temperaturveränderungskarten abzeichnet. Während sich der gesamte Planet aufgeheizt hat, hat der subpolare Nordatlantik der Erwärmung widerstanden – und sich sogar abgekühlt. Das ist genau die Region, in der die AMOC einen Großteil ihrer Wärme abgibt, und auch genau die Region, in der Klimamodelle seit Langem eine Abkühlung als Folge der Verlangsamung der AMOC vorhersagen.
In einer Studie aus dem Jahr 2010 analysieren Mihai Dima und Gerrit Lohmann vom Alfred-Wegener-Institut die globalen Muster der Veränderungen der Meeresoberflächentemperatur seit dem 19. Jahrhundert und kommen zu dem Schluss, »dass das globale Förderband seit den späten 1930er Jahren schwächer geworden ist«. Zwei Jahre später bestätigte eine niederländische Gruppe, dass eine Verlangsamung der AMOC dafür verantwortlich ist, dass sich der Nordatlantik abkühlt. Im Jahr 2015 habe ich mich mit dem US-Klimaforscher Michael Mann und anderen Kollegen zusammengetan und Manns paläoklimatische Rekonstruktion der Oberflächentemperaturen analysiert, mit dem Ergebnis, dass die moderne AMOC-Verlangsamung mit großer Wahrscheinlichkeit einzigartig im zurückliegenden Jahrtausend ist. Der Begriff »Cold MBlob« geht auf ein Zitat von Mann in einem Artikel der »Washington Post« über unsere Studie zurück und hat sich seitdem gehalten.
Der Golfstrom verlagert sich näher an die amerikanische Küste, wenn die AMOC schwächer wird
Theoretisch könnte die Kälteblase auch durch einen Anstieg des Nettowärmeverlustes an der Meeresoberfläche entstanden sein. Die Wetterdaten der vergangenen Jahrzehnte zeigen jedoch, dass seit Mitte des 20. Jahrhunderts der Nettowärmeverlust in der Cold-Blob-Region abgenommen und nicht zugenommen hat. Das entspricht auch genau der Erwartung: Der Ozean bringt weniger Wärme in diese Region und gibt somit weniger Wärme an die Atmosphäre ab. Die Analyse von Klimamodellen, in denen die AMOC-Änderungen bekannt sind, zeigt außerdem, dass die Stärke der AMOC eng mit der Temperaturänderung des Cold Blob korreliert. Dieses Ergebnis bestätigt, dass die AMOC auf längeren Zeitskalen der dominierende Faktor ist, und die Korrelation führt zu dem Schluss, dass der Cold Blob bisher einer etwa 15-prozentigen Schwächung der AMOC entspricht.
Daneben hat die Verlangsamung der AMOC noch eine weitere auffällige Wirkung. In den Jahren 2007 und 2008 wies die AMOC-Forscherin und Physikerin Rong Zhang in zwei Studien nach, dass sich der Golfstrom näher an die amerikanische Küste verlagert, wenn die AMOC schwächer wird. Dadurch erwärmt sich das Meer vor der amerikanischen Atlantikküste nördlich von Cape Hatteras besonders stark. Eine Studie meiner Doktorandin Levke Caesar verglich diesen Befund im Jahr 2018 mit den beobachteten Änderungen der Meeresoberflächentemperatur seit dem späten 19. Jahrhundert und fand eine starke Übereinstimmung. Die Beobachtungsdaten sind allerdings nicht sonderlich detailliert, da sie sich auf relativ spärliche Schiffsmessungen stützen; jüngere Satellitendaten enthalten mehr Details (siehe »Ein Klimamodell im Vergleich zu realen Messdaten«).

Weitere Hinweise auf eine schwächere AMOC ergeben sich aus den Veränderungen des Salzgehalts. Der nordöstliche subpolare Atlantik wird wahrscheinlich durch schmelzendes Eis und mehr Niederschläge »süßer« (siehe »Abnehmender Salzgehalt«), gleichzeitig nimmt der Salzgehalt im subtropischen Südatlantik zu. Der gilt als ein weniger von kurzfristigen Schwankungen betroffener AMOC-Indikator als der Temperaturfingerabdruck des Nordatlantiks. Dies deutet darauf hin, dass die Geschwindigkeit der AMOC seit den 1980er Jahren zunehmend schneller zurückgeht.
Dichte des Meerwassers in Subpolarwirbelregion nimmt ab
Ein weiteres Indiz liefert die Dichte des Meerwassers in den oberen 1000 Metern der Subpolarwirbelregion, die eng mit der AMOC zusammenhängt und in den vergangenen 70 Jahren abgenommen hat. Dieser Rückgang deutet darauf hin, dass sich die AMOC in diesem Zeitraum um etwa 13 Prozent abgeschwächt hat. Das wiederum stimmt mit der Abschwächung um 15 Prozent überein, die sich aus den unabhängigen Daten des Cold Blob ergibt.
Um die Bedingungen vor dem Beginn regelmäßiger Temperaturmessungen zu verstehen, müssen wir auf Proxydaten zurückgreifen: die Spuren vergangener Klimaveränderungen, die in sich langsam ansammelnden Archiven wie Eisschilden oder Meeresbodensedimenten erhalten bleiben (siehe »Blick in die Vergangenheit«). Anhand dieser indirekten Daten lassen sich die Meeresoberflächentemperaturen vergangener Zeiten und andere Parameter rekonstruieren. Das Verhältnis der Sauerstoffisotope in den mikroskopisch kleinen Kalkgehäusen von Plankton, die einen Großteil der Tiefseesedimente ausmachen, gibt Aufschluss über frühere Oberflächentemperaturen, und die Größe der Sedimentkörner auf dem Meeresboden gibt Aufschluss über die Strömungsgeschwindigkeit im darüberliegenden Wasser. Ein Team um Caesar stellte 2021 eine Reihe veröffentlichter Rekonstruktionen der AMOC-Strömung in der Vergangenheit zusammen und kam zu dem Schluss, dass die AMOC derzeit so schwach ist wie nie zuvor während des zurückliegenden Jahrtausends.

Man kann immer hinterfragen, wie belastbar die Proxydaten sind. Doch die Daten, die aus verschiedenen Regionen stammen und von verschiedenen Forscherteams mit sehr unterschiedlichen Methoden analysiert wurden, stimmen insgesamt gut überein. Bei jenen Proxydatenreihen, die bis in die letzten Jahrzehnte heranreichen, ist die Übereinstimmung zwischen beobachtungs- und modellbasierten AMOC-Rekonstruktionen gut.
Angesichts der vielen voneinander unabhängigen Indizien sind die Belege überwältigend, dass sich die AMOC seit dem frühen oder mittleren 20. Jahrhundert abgeschwächt hat. Dabei muss man jedoch beachten, dass es neben dem langfristigen Rückgang der AMOC auch erhebliche Schwankungen über Zeiträume von Jahrzehnten gibt; deswegen ist es entscheidend, immer den genauen Zeitraum anzugeben, wenn man Veränderungen der AMOC diskutiert.
Mehrere Indizien legen nahe, dass der Langzeittrend tatsächlich eine Folge der durch fossile Brennstoffe verursachten globalen Erwärmung ist. Erstens sagen Klimamodelle seit Langem diesen Trend voraus und die physikalischen Zusammenhänge hinter diesen Vorhersagen sind verstanden. Mindestens zwei Studien, in denen modernste Klimamodelle und Beobachtungen analysiert wurden, haben gezeigt, dass der Cold Blob dadurch entsteht, dass im Zusammenhang mit Treibhausgasemissionen weniger ozeanische Wärme nach Norden transportiert wird. Außerdem deuten paläoklimatische Daten ebenfalls stark auf menschliche Aktivitäten als Ursache hin, da die AMOC-Schwächung mit der Periode der Industrialisierung zusammenfällt.

Im 6. IPCC-Bericht aus dem Jahr 2023 kommen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die AMOC selbst in einem Szenario mit geringen Emissionen bis zum Jahr 2100 je nach Modell zwischen 4 Prozent und 46 Prozent schwächer wird. Beim Szenario mit hohen Emissionen liegt der Rückgang zwischen 17 Prozent und 55 Prozent. Der prognostizierte Rückgang der AMOC wird zwar vermutlich nicht zu einem abrupten Zusammenbruch vor dem Jahr 2100 führen. Allerdings kommt die AMOC in vielen neueren Modellsimulationen nach dem Jahr 2100 zum Erliegen, vor allem bei hohen Emissionen. Unerwartet große Mengen Schmelzwasser vom Grönländischen Eisschild könnten aber womöglich den Kollaps beschleunigen.
Wie belastbar sind die Klimamodelle?
Dies bringt uns zu einer wichtigen Frage: Können wir den Klimamodellen in Bezug auf die AMOC vertrauen? Im Allgemeinen haben sie bei der Vorhersage der globalen Durchschnittstemperaturen gute Arbeit geleistet. Selbst relativ einfache Modelle aus den 1980er Jahren haben die globale Erwärmung quantitativ korrekt vorhergesagt – einschließlich der vom Ölkonzern Exxon entwickelten Modelle. Das allerdings ist vergleichsweise simpel, denn es hängt nur von der Energiebilanz der Erde ab.
Wie sich die thermohaline Ozeanzirkulation verändert, ist weitaus schwieriger zu modellieren, da dies von subtilen Temperatur- und Salzgehaltsunterschieden in allen drei Dimensionen des gesamten Ozeans abhängt. Diese Modelle haben die AMOC-Veränderungen der Vergangenheit nicht gut wiedergegeben. Der 6. IPCC-Bericht zeigt, dass die aktuellen Klimamodelle nicht einmal den beobachteten Cold Blob erzeugen.
Tatsächlich gibt es zahlreiche Forschungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass die AMOC in den Klimamodellen generell zu stabil ist. Ein Grund ist womöglich ein bekanntes systematisches Problem bei der Modellentwicklung. Wenn die AMOC in einem Modell zu instabil ist und entgegen den Beobachtungen im gegenwärtigen Klima bereits zusammenbricht, korrigiert man das Modell. Aber wenn die AMOC des Modells umgekehrt zu stabil ist, korrigiert man es nicht – das heutige Klima wird ja korrekt wiedergegeben.
Ein weiteres Problem thematisiert sogar der Hollywood-Blockbuster »The Day After Tomorrow« von 2004, in dem der Wissenschaftler Jack Hall (Dennis Quaid) sagt: »Niemand hat berücksichtigt, wie viel Süßwasser durch das schmelzende Polareis in den Ozean geschüttet wird! Ich glaube, wir haben einen kritischen Punkt der Entsalzung erreicht.« Denn tatsächlich enthalten die meisten Klimamodelle bislang nicht die Veränderungen des Grönländischen Eisschilds – der seinen eigenen Kipppunkt hat – und vernachlässigen deshalb dessen zunehmenden Schmelzwassereintrag. Im November 2024 hat eine Studie gezeigt, dass Modelle die vergangene AMOC-Abschwächung besser wiedergeben, wenn der beobachtete Süßwassereintrag in den Modellen ergänzt wird.
Herauszufinden, wie weit wir tatsächlich vom Kipppunkt entfernt sind, ist ein sehr großes Problem
Dieser »kritische Entsalzungspunkt« ist der bereits erwähnte Kipppunkt von Stommel. Herauszufinden, wie weit wir von diesem Punkt entfernt sind, ist in der Tat ein sehr großes Problem.
Eine Möglichkeit, den Kipppunkt zu finden, sind Experimente und Modellierungen, die die Vorgänge nachempfinden. Solche Simulationen sind jedoch ausgesprochen rechenintensiv, und bei den Modellen, bei denen dieser Ansatz versucht wurde, ist der Abstand zum Kipppunkt sehr unterschiedlich. 1996 habe ich postuliert, dass die Frage, wie weit der Kipppunkt entfernt ist, davon abhängt, ob die AMOC auf der Höhe von Südafrika Süßwasser in den Atlantik hinein- oder aus ihm heraustransportiert. Andere Studien stützen diese Idee. Beobachtungsdaten sprechen dafür, dass sich die reale AMOC im bistabilen Regime befindet, das heißt relativ nah am kritischen Punkt.
Angesichts der Grenzen der derzeitigen Klimamodelle wenden sich manche Fachleute Methoden aus der nichtlinearen Physik zu, um in Beobachtungsdaten nach Frühwarnsignalen für einen nahenden Kipppunkt zu suchen. Diese beruhen darauf, dass in einem »verrauschten« System Parameter wie die AMOC-Stärke unter dem Einfluss zufälliger Schwankungen ein wenig »herumwackeln«. Wenn sich das System jedoch einem Kipppunkt nähert, werden die Kräfte, die es in sein stabiles Gleichgewicht zurücktreiben, immer schwächer, so dass es länger dauert, bis das System zurückschwingt. Dies wird als »critical slowing down« bezeichnet.
Es gibt mehrere Studien über diese kritische Verlangsamung in den AMOC-Daten. Niklas Boers analysierte im Jahr 2021 vier Temperatur- und vier Salzgehaltsdatenreihen, die mit der AMOC-Stärke in Verbindung gebracht werden. Er kam zu dem Schluss, dass es »starke Anzeichen dafür gibt, dass sich die AMOC tatsächlich einem kritischen Kipppunkt nähert«. Im Jahr 2023 machten dänische Forscher Schlagzeilen mit ihrer »Warnung vor einem bevorstehenden Zusammenbruch der AMOC«, der irgendwann zwischen 2025 und 2095 und höchstwahrscheinlich in der Mitte dieses Jahrhunderts eintreten könnte.
Solche Vorhersagen haben ihre Grenzen – zum Beispiel könnten Veränderungen in der Variabilität auch andere Gründe haben als einen nahenden Kipppunkt. Aber die Tatsache, dass all diese Studien trotz der unterschiedlichen Methoden in die gleiche Richtung weisen, gibt Anlass zu großer Sorge. Sie deuten alle in Richtung eines Risikos, das viel größer ist und früher eintritt, als wir bis vor ein paar Jahren dachten. Ich befürchte, zu dem Zeitpunkt, an dem solche Frühwarnsignale eine einigermaßen zuverlässige Warnung liefern können, wird es zu spät sein, den Kollaps der AMOC zu verhindern.
Bis zu einem gewissen Grad kann das Überschreiten des Kipppunkts sogar von den Unwägbarkeiten des Wetters abhängen. In zwei von zehn Simulationen mit dem Klimamodell der NASA kollabiert die AMOC beim »mittleren« Treibhausszenario (SSP2-4.5), in acht Fällen erholt sie sich nach einer deutlichen Abschwächung. Der Unterschied sind lediglich zufällige Abweichungen in den internen Schwankungen. Auch dies ist Teil der Natur von Kipppunkten.
Neben dem vollständigen Zusammenbruch der AMOC gibt es noch eine zweite Art von Kipppunkt. Die Tiefenwasserbildung kann in einer einzelnen Region zum Erliegen kommen. Dies geschieht in einer überraschend hohen Anzahl von Klimamodellen und hat bisher noch nicht die öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, die es verdient. Bei der neuesten Modellgeneration (CMIP6) bricht die Konvektion im Subpolarwirbel südlich von Grönland in 4 der 35 Modelle zusammen. Mehr noch: Dies geschieht in der Regel bereits im Jahr 2040 und für moderate Emissionsszenarien – sogar ohne die Grönlandschmelze angemessen zu berücksichtigen. Dass die Konvektion im Subpolarwirbel zusammenbricht und zu einer raschen Abschwächung der AMOC und einer abrupten regionalen Abkühlung führt, ist demnach ein hohes Risiko. Die britische Regierung hat daher kürzlich ein Forschungsprogramm im Umfang von 81 Millionen Pfund aufgelegt, um dafür ein Frühwarnsystem zu entwickeln.
Was bedeutet das für unsere Zukunft?
Der derzeitige Cold Blob im Atlantik wirkt sich bereits auf unser Wetter aus – allerdings nicht kühlend, wie man vielleicht erwarten würde: Stattdessen korreliert ein kalter subpolarer Nordatlantik mit der Sommerhitze in Europa. Die Abkühlung der Meeresoberfläche beeinflusst die Luftdruckverteilung so, dass sie einen Zustrom warmer Luft aus dem Süden nach Europa begünstigt. So war der subpolare Atlantik im Sommer 2015 kälter als je zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen im 19. Jahrhundert – während Europa unter einer starken Hitzewelle litt. Eine nachfolgende Studie hat gezeigt, dass Hitzewellen in Europa drei- bis viermal häufiger vorkommen als in anderen Regionen der nördlichen Hemisphäre. Das hängt mit Veränderungen im Jetstream zusammen, die möglicherweise ebenfalls vom Cold Blob beeinflusst werden.
Mehrere Studien zeigen, dass bei einer Abschwächung der AMOC der Meeresspiegel an der amerikanischen Nordostküste stärker ansteigen wird als im globalen Mittel
Mehrere Studien machen zudem deutlich, dass bei einer Abschwächung der AMOC der Meeresspiegel an der amerikanischen Nordostküste stärker ansteigen wird als im globalen Mittel. Die Corioliskraft drückt strömendes Wasser, in diesem Fall im Golfstrom, nach rechts, weg von der amerikanischen Küste. Modelle prognostizieren einen Anstieg von 15 bis 20 Zentimetern bis zum Jahr 2100 allein auf Grund dieses Effekts. Das kommt zum Meeresspiegelanstieg durch andere Ursachen noch hinzu. Dadurch werden Überschwemmungen häufiger, die Ufer erodieren schneller und das Ausmaß von Sturmflutschäden nimmt erheblich zu.
Selbst wenn nur die Konvektion im subpolaren Wirbel zusammenbräche, würde das diese Probleme erheblich verschärfen. Die Grafik »Folgen einer AMOC-Schwächung« zeigt die erwartete Temperaturänderung in diesem Fall. Es sind nicht so sehr die absoluten Veränderungen, sondern die Veränderungen des Temperaturkontrastes zwischen benachbarten Regionen – hier der kalte Ozean im Verhältnis zu den angrenzenden warmen Landmassen –, die die Wetterdynamik stark verändern werden. Unterschiede in der Temperatur steuern die Wetteraktivität in einer Weise, die wir im Detail nicht vorhersehen können. Selbst diese begrenzte ozeanische Veränderung wird die tropischen Niederschlagsgürtel merklich verschieben – wenn auch nicht in dem Maß wie ein kompletter Zusammenbruch der AMOC.

Letzteres hätte wirklich verheerende Folgen für die Menschheit und viele Meeres- und Landökosysteme. Die Kälteblase dehnt sich dann aus und erfasst Island, Großbritannien und Skandinavien. Der Temperaturunterschied zwischen Nord- und Südeuropa nimmt um gewaltige vier Grad Celsius zu, was wahrscheinlich erhebliche Auswirkungen auf das Wetter hat – möglicherweise in Form von in Europa bislang nie beobachteten Stürmen.
Die Paläoklimadaten der eiszeitlichen Heinrich-Ereignisse zeigen, dass größere Niederschlagsverschiebungen in den Tropen wahrscheinlich Dürreprobleme in den nördlichen Tropen Amerikas sowie in Asien verursachen würden. Die Veränderungen im Winter werden sogar noch größer sein als diese jährlichen Mittelwerte. Andere Simulationen sagen eine erhebliche Zunahme der Winterstürme in Europa und eine »starke Verringerung der Ernteerträge und des Weidelands« voraus.
Weitere Folgen wären unter anderem, dass der Meeresspiegel noch einmal erheblich ansteigt, insbesondere entlang der amerikanischen Atlantikküste. Der Ozean würde weniger Kohlendioxid aufnehmen, die Tiefsee weniger Sauerstoff bekommen und wahrscheinlich brächen die Ökosysteme im Nordatlantik zusammen.
Ein vollständiger Zusammenbruch der AMOC wäre eine Katastrophe von planetarem Ausmaß
Die Gefahr eines »Umkippens« der AMOC ist real und sehr ernst – auch wenn wir nicht mit Sicherheit vorhersagen können, wann und ob dies geschehen wird. Ebenfalls gefährdet ist das südliche Gegenstück der nordatlantischen Tiefenwasserbildung: die Bildung antarktischen Bodenwassers. In einer Studie aus dem Jahr 2023 kamen australische Fachleute zu dem Ergebnis, dass der zunehmende Schmelzwasserzufluss um die Antarktis die Antarktische Umwälzzirkulation – das Gegenstück der AMOC – dramatisch verlangsamen wird. Auch sie könnte demnach in diesem Jahrhundert zusammenbrechen. Dadurch wird sich die CO2-Aufnahme des Ozeans verlangsamen (so dass sich mehr CO2 in der Atmosphäre ansammelt), und die Sauerstoffversorgung der Tiefsee wird sich verschlechtern.
Ein vollständiger Zusammenbruch der AMOC wäre eine Katastrophe von planetarem Ausmaß. Mit anderen Worten: Es geht um Risikoanalyse und Katastrophenprävention. Es ist nicht das Ziel, etwas mit 100-prozentiger Sicherheit vorherzusagen; vielmehr sollten wir nach Möglichkeit zu 100 Prozent sicherstellen, dass die AMOC in diesem Jahrhundert ihren Kipppunkt nicht überschreitet.
Die einzige Maßnahme, mit der wir das Risiko für die AMOC und andere Kipppunkte minimieren können, ist, schnellstmöglich aus der Nutzung fossiler Brennstoffe auszusteigen. Je früher wir die Netto-null-Emissionen erreichen, desto geringer ist das Risiko, dass verheerende Kipppunkte überschritten werden. Dies würde auch viele andere Verluste, Schäden und menschliches Leid auf Grund der »normalen« Auswirkungen der globalen Erwärmung wie Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürren, Ernteausfälle, Waldbrände und eines Anstiegs des Meeresspiegels minimieren, die bereits ohne überschrittene Kipppunkte weltweit auftreten. Es wäre unverantwortlich, ja sogar leichtsinnig, wenn politische Entscheidungsträger, Wirtschaftsführer und auch die Wählerschaft diese Risiken weiterhin ignorieren würden.
Aus Platzgründen können nur ein paar ausgewählte Quellen aufgeführt werden. Die Originalversion, die im Journal »Oceanography« erschienen ist, enthält das vollständige Quellenverzeichnis.
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