Paläogenetik: Steinzeiterbgut zeigt Evolution europäischer Gene
Während und nach der Jungsteinzeit veränderte sich die Lebensweise der Europäer durch eine Flut neuer Ideen – und zudem nach und nach auch der Genpool des alten Kontinents. Dies hatten Genetiker zwar nach Modellrechnungen längst angenommen, können es nun aber anhand einer Vielzahl gründlich sequenzierter Genproben aus der Steinzeit in allerlei Details nachvollziehen. Schritt für Schritt sorgte der Nachschub von Erbgut etwa dafür, dass sich Hautfarbe und Körpergröße, Verdauung und Immunsystem unserer Vorfahren veränderten, wie aus den unterschiedlichen Genproben herauszulesen ist.
Die Evolution des europäischen Erbguts konnten David Reich und ein internationaler Kollegenkreis anhand des alten Erbguts von insgesamt 230 Menschen nachvollziehen, die vor 8500 bis 2300 Jahren an verschiedenen Orten und in verschiedenen Kulturen in Europa gelebt hatten. Die ältesten Sequenzen sammelten die Wissenschaftler dabei in den Knochen von 21 Jungsteinzeitfarmern aus Anatolien. Aus der Verwandtschaft dieser Menschen entstammten die Bauern, die Agrarinnovationen und Erbgut dann sehr erfolgreich in ganz Europa verbreiteten.
Allgemein bestätigte sich zunächst, dass sich der heutige europäische Genpool aus drei größeren Quellen speist: Zunächst aus den frühen Wildbeutern, die schon die Eiszeit in Rückzugsräumen ausgesessen hatten und dann Europa seit 35 000 Jahren besiedeln, dann den neolithischen Bauern aus Anatolien und schließlich Menschen, die vor 4500 Jahren aus der Jamnaja-Kultur der südrussischen Steppe heraus nach Mitteleuropa vordrangen.
Die große Menge an zusammengetragenen Daten erlaubte es nun aber, die Entwicklungen im Genpool viel detailreicher nachzuzeichnen. So zeigt sich etwa die zunehmende Verbreitung der Laktasepersistenzmutation, also einer wichtigen Veränderung im LCT- oder Laktase-Gen, die bei den älteren Jägern und Sammlern fehlt und es auch Erwachsenen erlaubt, Milch problemlos zu verdauen. Überraschenderweise setze sich diese Mutation aber nicht mit Beginn der Landwirtschaft durch, sondern erst deutlich später, vor vielleicht rund 4000 Jahren.
Stattdessen war eine andere Mutation im Gen SLC22A4 schon bei den frühen Bauern erfolgreich: Sie sorgt für ein effizienteres Transportprotein für Ergothionein, einer zum Beispiel von Pilzen produzierten Aminosäure, die nun besser verwertet werden konnte. Vielleicht war das nötig, weil die neue getreidereiche Ernährung weniger dieser vitaminähnlichen Aminosäure enthält, spekulieren die Paläogenetiker. Derselbe veränderte Genabschnitt bringt jedoch auch Nachteile mit sich – etwa eine erhöhte Gefahr, an Darmreizungen zu leiden.
Die Erbgutvergleiche belegen zudem, wie die Hautfarbengene sich veränderten: Die frühen Wildbeuter waren vor 9000 Jahren noch deutlich dunkelhäutiger, erst die Beimengung der anatolischen Gene hellte die Haut der Europäer dann insgesamt auf. Älteren Hypothesen zufolge hätten gerade die im Norden noch in der Eiszeit lebenden Menschen hellere Haut haben sollen, weil sie dann trotz wenig Sonneneinstrahlung noch genug Vitamin D produziert hätten. Offenbar sorgten die Jägervölker aber mit fleischreicher Kost für eine ausreichende Vitaminzufuhr. Und erst im Zuge der Agrarrevolution verschaffte die Getreidekost dann heller Haut im Norden einen echten Vorteil, vermuten Reich und Kollegen.
Die Körpergröße der Europäer veränderte sich ebenfalls allmählich, wie die Genforscher anhand von 169 für den Körperwuchs relevanten Erbgutabschnitten auswerteten: Die anatolischen Bauern waren größer als die älteren Jäger und die Jamnaja-Abkömmlinge dann noch einmal größer als die Farmer vor ihnen. Nordeuropäer mit ihrem höheren Steppenvolk-Genanteil sind wohl auch deswegen eher größer als Südeuropäer.
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