Bürgerkrieg in Syrien: Sterbende Städte
Als Anfang Oktober der historische Basar in der Altstadt von Aleppo in Flammen stand, fand die Zerstörung des syrischen Kulturerbes endlich ihren Weg in die Schlagzeilen – zwei Tage lang. Inzwischen, so legen es unbestätigte Berichte aus Syrien nahe, sind erneut Feuer im Al-Madina-Souk, so heißt der überdachte Markt, ausgebrochen, doch das Medieninteresse ist gering.
Angesichts der mehr als 30 000 Toten, die der Bürgerkrieg seit seinem Ausbruch im März 2011 gefordert hat, sowie rund 250 000 Flüchtlingen und vieler Millionen Syrer, die ihre Heimat nicht verlassen konnten, mussten oder wollten, mag es nur gerecht erscheinen, wenn ein brennender Markt nicht die Berichterstattung beherrscht. Doch: "Man kann den Brand in Aleppo nicht mit der menschlichen Tragödie im Land vergleichen und die beiden Auswirkungen des Konflikts nicht gegeneinander aufwiegen", sagt Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin. Man dürfe den immensen Verlust des syrischen Kulturerbes nicht klein reden oder relativieren. "Die Schäden in Aleppo und in anderen Städten sind eine Katastrophe."
Syriens Kulturschätze sind seit Beginn des Konflikts im Frühjahr 2011 akut gefährdet oder bereits zerstört. Sie lodern im Feuer des Schlachtengetümmels, zerbersten unter Artilleriebeschuss, werden von Panzerketten zermalmt, achtlos gesprengt, in Schützengräben gestürzt. Was nicht den unmittelbaren Kampfhandlungen zum Opfer fällt, wird zur Beute organisierter Plünderer und des illegalen Kunst- und Antikenhandels. Jahrtausende alte Zeugen nicht nur der syrischen, sondern der Menschheitsgeschichte gehen für immer verloren. Für die Syrer ist dies zugleich ein Raub an der Vergangenheit ihres Landes wie auch an seiner Zukunft: Das Land erwirtschaftete vor dem Bürgerkrieg mehr als ein Zehntel seiner Einnahmen aus dem Fremdenverkehr – und da vor allem aus dem Kulturtourismus.
"Die Schäden in Aleppo und in anderen Städten sind eine Katastrophe"
Stefan Weber
Nicht ohne Grund: Sechs Weltkulturerbestätten der Unesco befinden sich in dem Land, und darüber hinaus zehntausende weitere antike und historische Stätten von Weltbedeutung. Hier war über Jahrtausende ein Zentrum der Zivilisation, hier begegneten einander dutzende Kulturen, mal friedlich, mal im Krieg. Die Neolithische Revolution – und mit ihr der Ackerbau – dürfte vor rund 10 000 Jahren unter anderem auf den niederschlagsreichen, fruchtbaren nordsyrischen Hügelketten ihren Anfang genommen haben. Es gibt kaum ein historisches Volk, das hier nicht seine Spuren hinterlassen hätte: Sumerer, Aramäer, Nabatäer, Hethiter, Ägypter, Phönizier, Griechen, Römer, Byzantiner, Perser, Araber und Osmanen. Die Nachfolger Alexanders des Großen errichteten prächtige Städte wie Apamea oder Palmyra. Der einstige Christenhasser und spätere Missionar Paulus von Tarsus bekannte sich in Damaskus zu Jesus, wo bis heute mit der im Jahre 705 eröffneten Umayyaden-Moschee auch eines der ältesten islamischen Gotteshäuser der Welt steht.
Unsichere Informationen
Viele Zeugnisse dieser einzigartigen Geschichte drohen nun zu verschwinden – für immer zerstört, geraubt, verschoben zu werden. Manches hat dieses Schicksal bereits ereilt. Im Frühjahr veröffentlichte Emma Cunliffe, Archäologin an der englischen Durham University, einen vom Global Heritage Fund präsentierten Bericht über das Ausmaß der Schäden. Da es ausländischen Archäologen und Journalisten derzeit kaum oder gar nicht möglich ist, sich in Syrien selbst ein Bild von der Lage zu machen, war die Wissenschaftlerin auf private Kontakte und auf Informationen im Internet angewiesen. Manche der Quellen sind dabei – wie bei so vielen Nachrichten aus dem Bürgerkriegsgeschehen – schwer einzuschätzen und kaum zu verifizieren, weisen einander doch bei fast jedem bekannt gewordenen Vorfall Regime und Rebellen gegenseitig die Schuld zu. Als relativ unabhängige Quelle erwies sich, so Cunliffe, vor allem die Gruppe "Le patrimoine archéologique syrien en danger" (Das archäologische Erbe Syriens in Gefahr), die aktuelle Berichte, hauptsächlich aber Fotos und Videos aus Syrien auf Facebook veröffentlicht.
Cunliffes Resümee war niederschmetternd: Antike Städte würden durch Artilleriefeuer und Panzer zerstört, historische Burgen von beiden Seiten als Stützpunkte genutzt, Räuber und Plünderer bedienten sich an archäologischen Stätten und in Museen. Moscheen und Kirchen im ganzen Land wurden attackiert oder in Brand gesetzt. Die Lage hat sich inzwischen parallel zum Konflikt verschlimmert. "Wir haben seither nur noch mehr Berichte über Zerstörungen bekommen", sagt Cunliffe. "Raubgrabungen und Plünderungen haben enorm zugenommen." Die Altstädte von Damaskus und Aleppo sind durch die Ausweitung der Kampfhandlungen teilweise massiv in Mitleidenschaft gezogen worden. Die so genannten Toten Städte, antike, dörfliche Siedlungen im Norden Syriens, stehen teils unter Feuer, werden teils ausgeplündert. In der Stadt Palmyra, deren Ursprünge im 2. Jahrtausend v. Chr. liegen, haben Tanks und gepanzerte Fahrzeuge auf antiken Straßen, zwischen Säulen Stellung bezogen und gerieten unter Beschuss. Soldaten hoben teilweise mit Baggern Schützengräben aus. Ähnlich erging es der Kreuzritterburg Crac des Chevalliers, deren Jahrhunderte alten Mauern heute von Granattreffern gezeichnet sind. Das bronzezeitliche Bosra ist ebenfalls umkämpft. "Und das sind nur die Welterbe-Stätten", klagt Cunliffe. An weniger prominenten Orten werde noch weniger Rücksicht genommen.
Plünderungen und Antikenschmuggel
Neben den Schäden durch Kampfhandlungen sind es vor allem die Plünderer, die dem syrischen Kulturerbe massiv zusetzen. Einige unter ihnen, so Cunliffe, werden einfach mangels staatlicher Kontrolle aus Gelegenheit zu Dieben.
"Es gibt Kanäle in der Armee, die Antikenschmuggel betreiben"
Stefan Weber
Manche der Räuber sind sattsam bekannt, meint Museumsdirektor Wagner, der selbst lange Zeit in Syrien gelebt und gearbeitet hat: "Es gibt Kanäle in der Armee, die Antikenschmuggel betreiben." Andere Raubzüge werden derart professionell geplant und durchgeführt, dass es sich dabei nur um das Werk bestens organisierter Banden handeln kann. So setzte ein Team von Plünderern Bagger und Spezialwerkzeuge ein, um in der antiken Stadt Apamea mehrere Mosaike auszugraben und wegzuschaffen.
Ähnliche bandenmäßige Raubzüge kennt man aus dem Irakkrieg von 2003. Damals drängte eine derart große Menge an irakischen Antiquitäten auf den internationalen Markt, dass der Gesetzgeber sich genötigt sah zu reagieren. Das geschah aber nur halbherzig, resümiert der Archäologe Michael Müller-Karpe, der sich seit Langem gegen den illegalen Antikenhandel engagiert, bitter: "Vor zehn Jahren hat man den Handel mit Antiken zweifelhafter Herkunft in der Europäischen Union verboten, nannte in dem Gesetz aber nur Kulturgut aus dem Irak." Die Anwälte von Händlern, die auch weiterhin mit geplündertem Kulturgut Geschäfte machen wollten, argumentierten nun, aus dem expliziten Handelsverbot für irakisches Kulturgut sei zu schließen, dass die Vermarktung von Antiken aus anderen Ländern erlaubt sei. "Das stimmt zwar nicht, bestärkt aber überlastete Staatsanwälte darin, lästige Ermittlungsverfahren einzustellen."
Inzwischen mehren sich Gerüchte, dass die Plünderer es nicht immer nur auf den schnellen Reichtum abgesehen haben – sie tauschen Kulturschätze gegen Waffen. Eindeutige Beweise dafür fehlen wie für viele Nachrichten aus Syrien, doch einzelne Berichte aus dem Libanon, der Türkei und Jordanien weisen in diese Richtung.
Schutz in Eigeninitiative
Eine Krisensitzung zum Schutz der syrischen Kulturgüter der Islamischen Organisation für Erziehung, Wissenschaften und Kultur (Isesco), dem Gegenstück zur Unesco in Kairo, die nach dem Brand im Basar von Aleppo einberufen worden war, endete letzte Woche ergebnislos. Die syrische Antikenverwaltung versucht derweil mit ihren wenigen verbliebenen Mitteln weitere Raubzüge zu verhindern. Nicht immer erfolgreich: Mal gelingt es den Wachen, die Räuber zu vertreiben, mal sind die Plünderer in der Überzahl und die Beschützer der Antike müssen weichen.
In Maarat an-Numan, einer Stadt in Westsyrien, halten Rebellen der Freien Syrischen Armee das örtliche Mosaikenmuseum besetzt, um Kunsträuber abzuwehren. Und in Norden beschützen Bauern aus der Umgebung einige der Toten Städte aus dem Altertum. "Die Syrer schätzen ihr kulturelles Erbe sehr und wollen es bewahren", sagt Emma Cunliffe. Ob dies gelingt, wird sich zeigen.
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