Dexamethason: Steroid hilft schwerkranken Patienten mit Covid-19
Ein kostengünstiges Steroid, das häufig in der Medizin zum Einsatz kommt, kann womöglich schwer kranken Menschen mit Covid-19 das Leben retten. Darauf deutet nun eine randomisiert-kontrollierte klinische Studie aus Großbritannien hin. Das Medikament mit dem Namen Dexamethason ist das erste, das nachweislich die Sterblichkeit von Patienten reduziert, die sich mit dem neuen Coronavirus angesteckt haben. Weltweit hat das Virus bislang mehr als 430 000 Menschen getötet.
In der Studie konnte die Zahl der Todesfälle bei Patienten, die auf Grund einer Coronavirusinfektion an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden mussten, um etwa ein Drittel gesenkt werden. »Das ist ein erstaunliches Ergebnis«, sagt Kenneth Baillie, Intensivmediziner an der University of Edinburgh und Mitglied des Lenkungsausschusses der Studie mit dem Namen »Recovery«. »Es wird eindeutig enorme globale Auswirkungen haben.« Die Forscher stellten die Ergebnisse der Recovery-Studie am 16. Juni 2020 zunächst in einer Pressemitteilung vor. Nun streben sie nach eigenen Aussagen eine rasche Veröffentlichung an.
Die im März gestartete Untersuchung ist eine der weltweit größten randomisiert-kontrollierten Studien zur Behandlung von Patienten, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Gleich mehrere potenzielle Therapien werden darin auf den Prüfstand gestellt. An der Studie nahmen 2100 Probanden teil, die zehn Tage lang Dexamethason in einer niedrigen oder moderaten Dosis von sechs Milligramm pro Tag verabreicht bekamen. Anschließend analysierten die Forscher, wie es den Patienten im Vergleich zu rund 4300 Versuchspersonen erging, die die Standardversorgung bei einer Coronavirusinfektion erhielten.
Wer Sauerstoff braucht oder beatmet wird, profitiert
Am markantesten war die Wirkung von Dexamethason bei schwer kranken Patienten, die beatmet werden mussten. Der Zustand derjenigen, die zwar eine Sauerstofftherapie erhielten, aber nicht an einem Beatmungsgerät angeschlossen waren, besserte sich ebenfalls: Ihr Sterberisiko konnte um 20 Prozent gesenkt werden. Bei Personen mit milden Verläufen von Covid-19, die weder Beatmung noch Sauerstoff benötigten, hatte die Behandlung mit dem Steroid keinen Effekt. Kurz nach der Bekanntgabe der Ergebnisse genehmigte die britische Regierung den Einsatz von Dexamethason bei Patienten, die mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert werden und mit Sauerstoff versorgt werden müssen.
»Das ist ein großer Durchbruch«, sagt Peter Horby, Spezialist für Infektionskrankheiten an der University of Oxford und einer der Leiter der Studie. Die Verwendung von Steroiden zur Behandlung von viralen Atemwegsinfektionen wie Covid-19 sei bislang umstritten, erklärt Horby. Daten aus Steroidversuchen während Sars- und Mers-Ausbrüchen, die durch verwandte Coronaviren ausgelöst werden, seien bisher nicht aussagekräftig gewesen. Angesichts der hohen Verfügbarkeit von Dexamethason und einiger viel versprechender Ergebnisse aus Steroidstudien bei früheren Ausbrüchen hätten es die Recovery-Forscher es dennoch für wichtig gehalten, das Medikament in einer klinischen Studie genauer zu testen.
»Das ist ein großer Durchbruch«
Peter Horby, Studienleiter
In ihren Behandlungsrichtlinien warnen die Weltgesundheitsorganisation und viele Staaten derzeit davor, Menschen, die sich mit Coronaviren infiziert haben, mit Steroiden zu behandeln. Die Medikamente unterdrücken das Immunsystem. Das könnte Patienten helfen, deren Lungen durch eine überschießende Immunantwort geschädigt wurden, was bei manchen schweren Verläufen von Covid-19 der Fall ist. Doch auch solche Patienten benötigen womöglich noch immer funktionsfähige Abwehrkräfte, um mit dem Virus selbst fertigzuwerden.
Die Ergebnisse der Recovery-Studie deuten darauf hin, dass bei den getesteten Dosen die Vorteile einer Steroidbehandlung den potenziellen Schaden überwiegen. Auf größere Komplikationen bei der Behandlung stießen die Forscher eigenen Aussagen zufolge nicht.
Wenn das Immunsystem krank macht
Die Tatsache, dass Dexamethason schwer kranken Patienten hilft, solchen mit milden Symptomen jedoch keinen Vorteil bringt, passt zu der Vorstellung, dass eine hyperaktive Immunantwort bei langfristigen, schweren Infektionen eher schädlich ist, sagt Anthony Fauci, Leiter des US National Institute of Allergy and Infectious Diseases. »Wenn man so schwer erkrankt ist, dass man an ein Beatmungsgerät angeschlossen wird, hat man üblicherweise eine anomale Entzündungsreaktion, die ebenso viel zur Morbidität und Mortalität beiträgt wie jeder direkte virale Effekt.«
»Wirksame Behandlungen wie diese werden die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Wirtschaft und das Leben der Menschen auf der ganzen Welt verändern«, sagte Nick Cammack vom Wellcome Trust in London. Sie haben das Potenzial, weltweit unzählige Leben zu retten.
Bisher ist das einzige Medikament, für das in einer großen, randomisiert-kontrollierten klinischen Studie ein Nutzen für Covid-19-Patienten nachgewiesen werden konnte, das antivirale Medikament Remdesivir. Obwohl das Mittel die Zeit, die Patienten im Krankenhaus verbringen müssen, verkürzt, scheint es allerdings keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Sterblichkeit zu haben. Zudem ist Remdesivir Mangelware: Obwohl der Hersteller des Medikaments die Produktion bereits hochgefahren hat, ist es derzeit nur für eine begrenzte Anzahl von Krankenhäusern auf der ganzen Welt verfügbar. Verabreicht werden muss das Mittel per Injektion über mehrere Tage hinweg.
Dexamethason hingegen steht weltweit in den Medikamentenregalen. Es kann als Tablette eingenommen werden, was vor allem deshalb ein Vorteil ist, da Coronavirusinfektionen in Ländern mit eingeschränktem Zugang zur Gesundheitsversorgung weiter zunehmen. »Für weniger als 50 Britische Pfund kann man acht Patienten behandeln und ein Leben retten«, sagte Martin Landray, Epidemiologe an der University of Oxford und ebenfalls Leiter der Recovery-Studie. Die Ergebnisse könnten zudem Auswirkungen auf andere schwere Atemwegserkrankungen haben, erklärt Baillie. Umstritten sind Steroidbehandlungen zum Beispiel auch beim akuten Atemnotsyndrom, einer lebensgefährlichen Erkrankung, bei der die Lunge nicht mehr richtig arbeiten kann. »Da die Vorteile im Hinblick auf die Sterblichkeit so groß sind, könnte es sich lohnen, hier ebenfalls noch einmal genauer nachzuforschen«, sagt Baillie.
Vorsichtig optimistisch
Auch Experten aus Deutschland zeigen sich angesichts der Ergebnisse vorsichtig optimistisch. »Das sind wichtige Ergebnisse für die Therapie von Covid-19-Patienten mit schwerem Verlauf«, sagte etwa Bernd Salzberger, Bereichsleiter Infektiologie am Universitätsklinikum Regensburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, gegenüber dem Science Media Center. »Nach den bisher vorliegenden Informationen zum Studienprotokoll halte ich die Recovery-Studie für eine qualitativ gute Studie.«
»Für eine Bewertung der Daten muss die Studie vorliegen, die wahrscheinlich zeitnah erwartet wird. Bisher gibt es nur die Pressemeldung«, erklärt Christian Karagiannidis, Geschäftsführender Oberarzt und Leiter des ECMO-Zentrums an der Lungenklinik des Krankenhauses Köln-Merheim. »Wenn sich die Ergebnisse so bestätigen, ist Kortison insbesondere für beatmete Covid-19-Patienten eine gute Behandlungsalternative. Zur Beurteilung der Größe des Therapie-Effektes benötigt es allerdings alle publizierten Daten.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.