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Inka: Steuererklärung auf Inka-Art

Seit Jahrhunderten geben die Quipus der Inka - seltsame Gebilde aus verknoteten Fäden - der Wissenschaft Rätsel auf. Welche Informationen enthalten sie, und welche Funktion haben sie in der Welt der Inka erfüllt?
Großes Quipu
Bürokratie, das klingt nach viel Papier und Aktenbergen. Die Akten der Inka erinnern eher an ein missratenes Knüpfprojekt aus der Grundschule oder – wie der Mathematiker George Gheverghese Joseph einst feststellte – an einen Wischmopp, der schon bessere Tage gesehen hat. Man bezeichnet sie als Quipus, einem Begriff aus der Sprache der Inka, dem Quechua, das "Knoten" bedeutet.

Großes Quipu | Ein größeres Quipu aus dem Besitz der peruanischen Zentralbank, das in der Studie nicht analysiert wurde
Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Haufen chaotischer Fadenreste, erweist sich bei genauerer Betrachtung als komplexes Netzwerk einer Anzahl verschiedenfarbiger Schnüre, die nebeneinander an einem Hauptfaden hängen. Die einzelnen Fäden sind teilweise mehrfach verknotet und verzweigen manchmal in weitere Stränge – das größte je gefundene Quipu umfasst 1500 Fäden. Wissenschaftler vermuten, dass die Inkas die zahlreichen Variationen von Knotentypen, Position und Richtung der Knoten, Farben der Schnüre, Spinntechnik und Material dazu verwendeten, um Informationen festzuhalten [1].

Seit Jahrhunderten arbeiten nun Sprachforscher, Archäologen und Mathematiker an der Entschlüsselung des rätselhaften Kodes. Seit den Forschungsergebnissen von Leland Locke in den 1920er Jahren gilt als allgemein anerkannt, dass in der Mehrzahl der heute noch existierenden Quipus Zahlen verschlüsselt sind. Ungefähr zwanzig Prozent der rund 600 erhaltenen Knotwerke erwiesen sich jedoch bisher als zu komplex für jegliche Analyse.

Die Meinungen über die wahre Bedeutung der Quipus gehen weit auseinander. Während manche Wissenschaftler sie lediglich für individuelle Erinnerungshilfen einzelner Inkas halten (vergleichbar dem berühmten Knoten im Taschentuch – nur viel komplexer), reichen die Meinungen anderer Forscher bezüglich ihrer Funktion von Inka-Abakus über bürokratische Registrierung der Bestände und Bevölkerung bis hin zur Vermutung, es handele sich um eine Form der Schrift, mit der die Inkas ihre Mythen, Gedichte und Geschichtsschreibung festhielten.

Erste Berichte über die seltsamen Gebilde stammen aus der Zeit der Kolonialisierung Südamerikas durch die Spanier. Die Eroberer waren einerseits von der Technik fasziniert, fürchteten jedoch andererseits die Aufzeichnungen in einer für sie nicht entzifferbaren Schrift und vernichteten daher so viele davon wie möglich. Von einigen Quipus jener Tage sind Übersetzungen überliefert, allerdings ist in keinem bekannten Fall das Original dazu erhalten. Sie berichten teils von Erzählungen und Mythen, teils von Registern über die Besitztümer verschiedener Provinzen und Individuen, die der Verwaltung dienten. Ob die zur Bedeutung der Knüpfereien befragten Inkas ihren Unterdrückern wahrheitsgemäß Auskunft gaben, kann niemand sagen.

Zu verwalten gab es im Inkareich so einiges. Es bestand aus einer straff organisierten Hierarchie, an dessen Spitze ein Herrscher stand, dem wiederum vier unterteilte Provinzen unterstanden. Jeder Bürger musste einen Teil seiner Arbeitskraft und einen Teil der Erträge seiner Arbeit als Steuern abführen. Die Quipus dienten dabei vermutlich als Steuerbescheid der Regierung einerseits und als Steuererklärung des einzelnen andererseits. Auf jeder Ebene der Hierarchie gab es dabei einen Bürokraten, bei dem wortwörtlich alle Fäden zusammenliefen: den Quipukamayuq, der Informationen sammelte und weitergab. Die Quipus konnten dabei einerseits als Steuerbescheide der Regierung dienen, in denen festgesetzt wurde, wie viel und was eine Gemeinde oder ein Einzelner für die Allgemeinheit leisten musste, andererseits konnte es auch eine Steuererklärung sein, in der festgehalten war, wie viel jemand in einem gewissen Zeitraum erwirtschaftet hatte und was er besaß.

Quipu aus der untersten Hierarchieebene | Ein Quipu aus der untersten Hierarchieebene der Verwaltung, gefunden in der Inkastadt Puruchuco im heutigen Peru
Diese Hypothese wird nun gestützt von Funden aus dem Keller eines Quipukamayuq nahe des Palastes von Puruchuco, knapp zwölf Kilometer nordöstlich von Lima im heutigen Peru [2]. Dort wurden 21 Quipus ordentlich zusammengelegt in einer Schale gefunden. Bis dahin waren immer nur Einzelstücke gefunden worden. Die Anthropologen Gary Urton und Carrie Brezine vermuteten, dass auf Grund der gemeinsamen Aufbewahrung auch ihr Inhalt zusammenhängen könnte, und analysierten sie daher mit Hilfe eines Computers auf Ähnlichkeiten.

Quipu aus Hierarchieebene 2 | Ein Quipu aus der zweituntersten Hierarchieebene der Verwaltung, gefunden in der Inkastadt Puruchuco im heutigen Peru
Dabei zeigte sich, dass zwischen sieben Knüpfereien ein mathematischer Zusammenhang besteht. Diese lassen sich wiederum in drei Gruppen unterteilen, von denen Urton annimmt, dass sie jeweils einer Hierarchieebene der Verwaltung entsprechen. Addiert man die als Knoten kodierten Zahlen auf, die sich nebeneinander auf den Fäden eines Quipus befinden, ergibt sich ein bestimmtes Zahlenmuster. Ein entsprechendes Muster fanden Urton und Brezine auch jeweils auf einem Abschnitt des Quipus nächsthöherer Ordnung. Sie nehmen daher an, dass in einem Quipu neben anderen Informationen immer auch die Daten aller Akten des niedrigeren Ranges zusammengefasst sind.

Manche der Fundstücke enthalten darüber hinaus noch einen Abschnitt, der sich von der übrigen Struktur grundlegend unterscheidet. Die Wissenschaftler vermuten, dass es sich dabei um das Aktenzeichen handelt, also Informationen darüber, woher es kommt und welche Informationen es enthält. Dass Quipus der untersten Hierarchieebene ein solcher einleitender Abschnitt fehlt, erklärt Urton damit, dass diese nur vor Ort genutzt wurden und nicht für die Weitergabe an höhere oder niedrigere Stellen bestimmt waren. Daher benötigten sie auch keine Identifikationsnummer.

Zwei Quipus | Zwei Quipus aus der drittuntersten Hierarchieebene der Verwaltung, gefunden in der Inkastadt Puruchuco im heutigen Peru
Außerdem ergaben die Analysen, dass einige Quipus stets runde Zahlen enthalten, wohingegen bei anderen die Knoten recht krumme Ergebnisse abbilden. Die Forscher nehmen an, dass erstere auf den Quipus enthalten seien, in denen die Obrigkeit ihre Steuerforderung bekannt gibt. Die eher krummen Zahlen seien dagegen die Berichte über die tatsächlichen Erträge des Einzelnen oder der Gemeinde – und die sind in der Realität selten so glatt wie in der Theorie.

Trotz allem geben auch die analysierten Quipus weiterhin Rätsel auf. Woher wussten die Inka, welche Einheit in einem bestimmten Abschnitt gezählt wurde? Wie ist kodiert, ob es sich um Arbeitszeit, Tiere oder Feldfrüchte geht? Geht es tatsächlich um Steuerfestsetzungen und Erträge? Das Rätsel um die Bedeutung der Quipus ist also noch lange nicht gelöst.
  • Quellen

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