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Muttermilch: Signal zum Stillen

Muttermilch ist die natürlichste Nahrung für das Baby. Doch nicht immer klappt es mit dem Stillen. Damit die Milch fließt, muss die Insulin-Signalkaskade angekurbelt werden. Doch sind Diabetes und Prädiabetes wirklich die Erklärung für Stillprobleme?
Kind beim Stillen

Muttermilch ist das Beste für Ihr Kind – diese Botschaft prangt selbst von den Dosen mit industriell hergestellter Pulvermilch. Vier bis sechs Monate ausschließlich stillen, so lautet die derzeitige Empfehlung zur Säuglingsernährung, danach möglichst das restliche erste Jahr begleitend zur Beikost. Stillen soll vor Infektionen schützen und das Allergierisiko reduzieren. Einige Studien weisen darauf hin, dass gestillte Babys im späteren Leben ein geringeres Risiko für Übergewicht und Diabetes haben, andere darauf, dass Stillen die Gehirnentwicklung unterstützt. Sicher ist: Muttermilch ist die Nahrung, die die Natur für unsere Allerkleinsten vorgesehen hat.

Die meisten frischgebackenen Mütter starten daher auch mit besten Stillvorsätzen in die Säuglingszeit. Doch schaut man sich wenig später in Krabbelgruppen und Rückbildungskursen um, ziehen nicht wenige Mütter das Fläschchen aus der Tasche und berichten zerknirscht, dass es eben nicht geklappt habe mit dem Stillen. Dieses Bild spiegelt auch eine Erhebung des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit wider, bei der Wissenschaftler zwischen April 2005 und Februar 2006 rund 3800 junge Mütter zu ihrem Stillverhalten befragten. Tatsächlich fingen 90 Prozent der Studienteilnehmerinnen nach der Geburt an zu stillen – doch viele von ihnen gaben schnell wieder auf. Bereits im zweiten Monat stillten nur noch zwei Drittel der befragten Mütter voll, im sechsten Monat ernährten nur noch 21 Prozent der Frauen ihre Babys ausschließlich per Brust. Und in einer amerikanischen Studie von 2008 gab etwa die Hälfte der befragten Frauen an, dass sie Probleme mit dem Stillen hatten und früher aufgeben mussten als gedacht. Einer der am häufigsten genannten Gründe: "Muttermilch reichte meinem Baby nicht."

Kind beim Stillen | Muttermilch ist eigentlich von der Natur aus zur Ernährung des Neugeborenen vorgesehen. Viele Frauen können aber aus unterschiedlichen Gründen nicht stillen – ein Problem könnte beispielsweise mit dem Insulinsignalweg zusammenhängen.

Die Zahlen sprechen deutliche Worte: Die natürlichste Sache der Welt ist alles andere als selbstverständlich. Sie scheitert an Schmerzen, Entzündungen und Infektionen, Babys, die nach zwischenzeitlichem Zufüttern mit Fläschchennahrung die Brust nicht mehr akzeptieren, oder eben an der Milch, die nicht in ausreichenden Mengen fließen will.

Wann bildet sich die Milch?

Vor diesem Hintergrund machten sich jetzt US-Wissenschaftler vom Cincinnati Children's Hospital Medical Center und von der University of California in Davis daran, die Physiologie der Milchbildung genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie stützten ihre Untersuchung auf eine umfassende Transkriptomanalyse. Das heißt, sie bestimmten von DNA in RNA umgeschriebene Gene, um so ein Bild davon zu bekommen, welche Gene bei der Milchbildung aktiv sind. Dafür nutzten sie die Tatsache, dass die kleinen Fettkügelchen in der Muttermilch Boten-RNA aus den mütterlichen Brustdrüsen enthalten. Die Forscher entnahmen über einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen nach der Geburt frische Milchproben von freiwilligen Müttern. So erhielten sie eine große Bandbreite verschiedener Milchqualitäten vom Kolostrum, der proteinreichen Erstmilch, die bereits während der Schwangerschaft und in den ersten Tagen nach der Geburt gebildet wird, über die Übergangsmilch bis hin zur reifen Frauenmilch. Auf diese Weise konnten sie die Veränderungen in der Genexpression während des Umbaus der weiblichen Brust zur Milchfabrik beobachten.

Die Auswertung der gesammelten Daten machte deutlich: Die Milchproduktion bedarf einer massiven biochemischen Veränderung im Brustgewebe. Sowohl im Kolostrum als auch in der Übergangsmilch und in der reifen Milch machten die Wissenschaftler Zigtausende von aktiven Genen aus. Im nächsten Schritt verglichen sie die jeweils 20 wichtigsten aktiven Gene und stellten fest, dass die Expressionsprofile in den einzelnen Stadien der Milchproduktion höchst unterschiedlich sind. Kein Wunder, denn viele der identifizierten aktiven Gene sind für die jeweilige Nährstoffzusammensetzung der Milch verantwortlich.

Auffällig war aber auch, dass Komponenten des Insulinsignalwegs in ihrer Aktivität angekurbelt waren. "Die neue Studie zeigt einen dramatischen Anstieg des Insulinrezeptors und seiner nachgeschalteten Signale, während sich die Brustdrüsen in Biofabriken verwandeln, die massive Mengen von Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten produzieren, um das neugeborene Baby zu ernähren", so Laurie Nommsen-Rivers vom Cincinnati Children's Hospital Medical Center. Nach Aussagen der Forscher werden die Zellen in den mütterlichen Milchdrüsen im Zuge des Umbaus für die Milchproduktion hochsensibel für Insulin.

Insulin macht's

Hinweise darauf, dass Insulin für die Milchproduktion von Bedeutung sein könnte, fanden Nommsen-Rivers und ihre Kollegen bereits in einer 2010 veröffentlichten Studie. Sie stellten damals fest, dass sich bei Frauen mit einem gestörten Insulin- und Zuckerstoffwechsel der Milcheinschuss verzögert. Auch Untersuchungen bei Rindern und Nagern haben in den letzten Jahren gezeigt, dass Insulin eine wichtige Rolle bei der Synthese von Milchproteinen spielt.

Mit ihrer neuen Studie gehen die US-Forscher nun noch einen Schritt weiter. Sie verglichen die Genexpressionsanalysen aus Milchproben von Frauen mit frühem und von Probandinnen mit verzögertem Milcheinschuss, die zudem berichteten, Probleme mit der Milchproduktion zu haben. Dabei stellte sich heraus: Bei den Teilnehmerinnen der zweiten Gruppe war ein Gen namens PTPRF (Protein Tyrosin Phosphatase Rezeptor Typ F) übermäßig aktiv. PTPRF hemmt Insulin in seiner Funktion und damit auch den nachgeschalteten Signalweg. Bei den betroffenen Probandinnen könnte die Überexpression von PTPRF demnach ein entscheidendes Hindernis beim Stillen sein.

"Wenn wir davon ausgehen, dass ein Fünftel der Frauen zwischen 20 und 44 prädiabetisch sind, könnte das bedeuten, dass auch bei bis zu 20 Prozent der jungen Mütter in den USA die Gefahr besteht, auf Grund des fehlregulierten Insulins wenig Muttermilch zu produzieren", so Nommsen-Rivers. Die Forscherin und ihr Team planen nun eine klinische Studie, um zu überprüfen, ob Medikamente zur Blutzuckerkontrolle bei Typ-2-Diabetes die Milchproduktion bei Betroffenen ankurbeln kann. Laut der Medizinerin dient dieser Ansatz jedoch weniger dazu, eine medikamentöse Therapie für Stillprobleme zu etablieren, als vielmehr dazu, die Hypothese der Wissenschaftler zu überprüfen. "Prävention wie Ernährungsumstellung und Bewegung kann hier mehr leisten als Medikamente." Welche Rolle solche Maßnahmen spielen können, planen die Forscher ebenfalls zu untersuchen.

Skepsis in Deutschland

Was schon fast nach dem großen Durchbruch in Sachen Stillprobleme klingt, stimmt Fachleute in Deutschland jedoch eher skeptisch. "Nach unserer Erkenntnis sind sehr selten tatsächlich Probleme mit der Milchproduktion die Ursache, wenn Frauen nicht stillen", sagt Jürgen Thier-Kundke, Sprecher des Bundesinstituts für Risikobewertung in Berlin, in dem auch die Nationale Stillkommission beheimatet ist. Zwar zeigte auch eine griechische Studie aus dem Jahr 2008, dass übergewichtige Mütter seltener und weniger lang stillen. "Die Ursachen dafür sind aber nicht bekannt", so Thier-Kundke.

Erika Nehlsen, Direktorin des Ausbildungszentrums Laktation und Stillen in Ottenstein, betätigt dagegen, dass es tatsächlich Probleme bei der Milchbildung geben kann, wenn Frauen stark übergewichtig sind oder Diabetes haben. "Dann kann es bei manchen einen relativen Insulinmangel geben, und der Prozess der reichlichen Milchbildung kann um 12 bis 36 Stunden verzögert einsetzen", sagt sie. "Allerdings wird Milchmangel als häufiger Grund zum Abstillen angegeben, es wäre aber zu einfach, das auf Diabetes zurückzuführen." Vielmehr, so Nehlsens Überzeugung, sei das Gefühl, zu wenig Milch zu haben, mangelnder Information und Unterstützung nach der Geburt geschuldet. So helfe gutes Stillmanagement, die Zeit bis zum Beginn der aktiven Milchbildung zu verkürzen. Das heißt, die frischgebackenen Mütter müssen dazu angeleitet werden, ihr Neugeborenes direkt nach der Geburt und auch in den ersten Tagen sehr häufig in direkten Hautkontakt zu bringen und anzulegen, um die Milchproduktion anzukurbeln. "Das hilft auch bei stark übergewichtigen und diabetischen Frauen", sagt Nehlsen. "Und gerade bei diesen Müttern ist es gesundheitspolitisch wichtig, sie gut in die Laktation zu bringen, da Stillen das Risiko für Adipositas und Typ-2-Diabetes bei Mutter und Kind reduziert und beim Kind auch für Typ-1-Diabetes."

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