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Kriminalität: Über den Sinn und Unsinn von Haftstrafen

Harte Strafen für Verbrecher: Diese Forderung kommt längst nicht mehr nur aus konservativen Kreisen. Doch Forscher stellen der Gefängnisstrafe ein schlechtes Zeugnis aus: Häufig bringe sie mehr Schaden als Nutzen. Geht das nicht auch anders?
Gefaltete Hände mit Handschellen
Eine Freiheitsstrafe soll unter anderem dazu dienen, von weiteren Taten abzuschrecken. Ob das tatsächlich gelingt, ist umstritten. (Symbolbild)

Wenn die Medien über Aufsehen erregende Straftaten berichten, wird schnell der Ruf nach harten Maßnahmen laut: Nach den Attacken auf Rettungskräfte in der Silvesternacht forderte Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD), »bei Erwachsenen das Strafmaß auszureizen«, denn: »Ein paar Sozialstunden helfen da nicht weiter.« Auch die Klimaproteste lassen die Gemüter hochkochen: »Straßenblockierer und Museumsrandalierer härter bestrafen«, beantragte die Union-Bundestagsfraktion im November 2022. Nach der Besetzung des Rollfelds am Flughafen BER verlangte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt eine »harte Antwort des Rechtsstaats«. Und für Geldautomatensprenger forderte Hessens Justizminister Roman Poseck eine höhere Mindeststrafe: fünf Jahre statt wie bisher ein Jahr.

In ihrem Drängen auf die strenge Hand des Gesetzes ähneln sich politisch Aktive, die sonst wenig eint: Konservative fordern gern ein konsequentes Durchgreifen gegen Gewalttäter und Dealer. Extreme Gegner der Corona-Politik wiederum wünschen sich ein Tribunal gegen die Verantwortlichen hinter den Maßnahmen. Auch in progressiven Kreisen sind Strafgelüste keine Seltenheit: »Karzeralen Feminismus« nennt die Soziologin Elizabeth Bernstein den Versuch, Geschlechtergerechtigkeit per Polizei und Gericht herzustellen. Sie meint damit Kampagnen, das Sexualstrafrecht zu verschärfen oder die Prostitution pauschal als Menschenhandel verfolgen.

Quer durch politische Strömungen scheint sich die Sehnsucht zu ziehen, die vermeintlichen Verursacher gesellschaftlichen Übels dingfest zu machen. In einer europaweiten Befragung aus dem Jahr 2010 stimmten über zwei Drittel der Aussage zu, es brauche deutlich härtere Urteile gegen Straftäter. Schon jetzt lässt sich der Staat den Vollzug einiges kosten: Ein Tag in der Zelle schlägt in Baden-Württemberg etwa mit 153 Euro zu Buche – so viel wie ein besseres Hotelzimmer. Rund 40 000 Gefangene sitzen ihre Freiheitsstrafe in einer der 172 deutschen Strafanstalten ab. Bei rund einer von sieben Verurteilungen entscheiden die Gerichte auf Freiheitsentzug, in den übrigen Fällen meist auf Geldstrafe.

Gerade bei schweren Verbrechen wirkt das Gefängnis als Sanktion wie eine Selbstverständlichkeit. Dabei wirft das Vorgehen beim näheren Hinsehen einige Fragen auf: Woher stammt überhaupt der Wunsch, Übeltäter hart zu bestrafen? Was erhofft man sich davon, Menschen ihre Freiheit zu nehmen – und werden diese Ziele eingelöst?

Selbst einen Preis bezahlen, um anderen zu schaden: So verstehen evolutionäre Psychologen die Logik der Strafe. Lange Zeit vermuteten sie ein kulturübergreifendes »Strafbedürfnis«, das im Lauf der menschlichen Entwicklung entstanden sei. Trittbrettfahrer, welche die Gemeinschaft für ihre eigenen Zwecke missbrauchten, sollten so in ihre Schranken gewiesen werden.

Warum wir selbst Federn lassen, um andere zu maßregeln

Als Beleg für diese Annahme dienten Versuche mit dem berühmten Diktatorspiel: Die Schweizer Ökonomen Ernst Fehr und Urs Fischbacher ließen ihre Versuchspersonen in Dreiergruppen um echtes Geld zocken. Ein »Diktator« kann seinem mittellosen »Untertan« einen Teil seiner 100 Wertpunkte abtreten, ganz nach eigenem Ermessen. Im Schnitt gaben die Diktatoren rund ein Viertel ihrer Punkte ab – manche waren großzügiger, andere geiziger. Der dritte Spieler, der »Bestrafer«, beobachtete das Geschehen und hatte die Chance, den Kontostand eines knausrigen Despoten schrumpfen zu lassen. Für diese Sanktion musste er jedoch selbst Federn lassen: Um drei Punkte des Diktators zu vernichten, verlor er je einen seiner eigenen 50 Punkte. Dennoch gaben die Bestrafer im Schnitt 14 ihrer 50 Punkte aus, um einen egoistischen Diktator zu piesacken, der sein Vermögen ganz für sich behielt. Das entsprach rund vier Franken.

Der Befund passt nicht zur Annahme, Menschen seien stets nur auf ihren eigenen geldwerten Vorteil aus. Immerhin zahlten sie für die Sühne eines Fremden aus eigener Tasche, ohne selbst etwas davon zu haben. Spricht das für einen angeborenen und universellen Strafimpuls?

Neuere Befunde säen Zweifel an dieser These. Denn Menschen rächen offenbar nicht nur egoistische Manöver, sondern ärgern ihre Mitspieler auch dann, wenn jene völlig fair zu Geld kommen. »Strafentscheidungen rühren eher vom Unwillen, schlechter dran zu sein als andere, weniger vom Unwillen, betrogen zu werden«, schreiben die britische Evolutionspsychologin Nichola Raihani und der Biologe Redouan Bshary in einer Überblicksarbeit.

Noch einmal anders sieht es aus, wenn die Regelbrüche nicht im Labor, sondern in natürlichen Situationen stattfinden, wo sich alle Beteiligten freier entfalten können. Raihani und Bshary nennen eine ganze Reihe von Strategien: Je nach Situation eilen Unbeteiligte mal dem Opfer zu Hilfe, statt dem Schurken eins auszuwischen, mal gehen sie einfach befremdet weg. Auch Klatsch und Tratsch können helfen, milde Vergehen zu sühnen. Diese Strategie ist der Strafe nicht unähnlich: Wer über einen Missetäter in dessen Abwesenheit herzieht, gefährdet dessen guten Ruf – auf lange Sicht aber auch den eigenen. Sich zum Racheengel aufzuschwingen, ist deshalb nicht immer zum eigenen Vorteil. Jenseits des westlichen Kulturkreises finden sich noch völlig andere Wege, um erlebtes Unrecht zu bearbeiten. Die Inuit etwa nutzten traditionell Duelle in Liedform, in denen sich Beschuldigter und Opfer in kunstvollen Spottversen vor Publikum miteinander stritten. Wer dabei für mehr Applaus sorgte, »gewann« die Auseinandersetzung.

Hinter dem Strafwunsch stecken oftmals autoritäre Sehnsüchte

Uneinigkeit besteht auch darüber, was eine Strafe genau bewirken soll. Das Vergeltungsprinzip etwa verlangt einen zweckfreien Ausgleich von Schuld und Sühne, ganz nach dem alttestamentlichen Motto »Auge um Auge, Zahn um Zahn«. Der Philosoph Immanuel Kant war glühender Anhänger dieser Idee: Selbst wenn ein Inselvolk seine Heimat verlassen und sich in alle Welt zerstreuen würde, »müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind«, so Kant. Sein britischer Zeitgenosse Jeremy Bentham sah das anders, ihm ging es allein um Effektivität. »Generalprävention sollte das höchste Ziel der Strafe sein«, mahnte er. Das moderne Strafrecht ist näher an Benthams Ideen: Es betont Ideen von Abschreckung und Wiedereingliederung der Täter in die Gemeinschaft.

Doch der Wunsch nach Vergeltung spielt weiterhin eine Rolle. Wenn Laien im Labor den Richter mimen und ein Strafmaß für fiktive Fälle aussprechen sollen, folgen sie fast ausschließlich dem Prinzip der »verdienten Strafe«, wollen also ein erlebtes Ungleichgewicht wieder ins Lot bringen. Um die sozialen Konsequenzen ihres Schuldspruchs kümmern sie sich wenig.

Die chilenische Psychologin Monica Gerber interessierte sich dafür, weshalb der Wunsch nach drakonischen Strafen derart verbreitet ist. Dafür ließ sie drei beliebte Erklärungsansätze gegeneinander antreten: erstens die Angst, selbst zum Opfer von Straftaten zu werden, zweitens die Sorge um Anstand und Moral in der Gesellschaft und drittens ein Weltbild, das als »rechter Autoritarismus« bekannt ist. Gemeint ist die Überzeugung, Menschen sollten eingespielte Traditionen stets befolgen und sich den Weisungen der Machthabenden beugen. Gerber testete die drei Modelle an den Daten einer aufwändigen Interviewstudie von Scotland Yard mit 20 000 Befragten sowie einer kleineren eigenen Erhebung unter Londoner Studierenden. In beiden Fällen war das Ergebnis ähnlich: Ängste um die private Sicherheit oder die der Gemeinschaft spielten nur eine kleine Rolle. Allein die autoritären Einstellungsmuster sagten maßgeblich voraus, wie sehr sich eine Person für harsche Strafen einsetzte. Was also oft mit persönlichen Sorgen begründet wird, scheint vielmals eher eine Frage der politischen Einstellung zu sein.

Beugt eine Haft weiteren Straftaten vor?

Die Laien sind offenbar mehr vom »heißen« Wunsch nach Vergeltung getrieben als von der »kühlen« Logik der Prävention, selbst wenn sie etwas anderes behaupten. Auch in der Praxis gehen Anspruch und Realität auseinander: Die klassischen Strafzwecke, wie sie in den juristischen Lehrbüchern stehen, werden kaum erfüllt – insbesondere, wenn es um Gefängnisstrafen geht. Die Haft soll beispielsweise als »Spezialprävention« wirken, also den Einzelnen vor weiteren Taten abschrecken. Doch sie beeinflusst offenbar kaum, ob jemand rückfällig wird. Eine Langzeitstudie im US-Bundesstaat Michigan untersuchte, was mit gut 110 000 Verurteilten in den fünf Jahren nach ihrer Strafe geschah. Dabei schlossen die Forscher zuvor mit Hilfe eines statistischen Verfahrens sonstige Einflussfaktoren aus, die neben dem Strafmaß ebenfalls auf die Rückfallrate einwirkten. Das Ergebnis war ernüchternd: Auf Bewährung Verurteilte begingen später nicht mehr oder weniger Gewaltverbrechen als jene, die Zeit hinter Gittern verbüßten. Anders gesagt: Eine harte Strafe brachte nicht mehr als eine milde.

Vereinzelte Studien bescheinigen der Haft gar eine »kriminogene« Wirkung, das heißt: Gefangene verübten nach ihrer Entlassung eher mehr Straftaten. »Haftstrafen können künftige Verbrechen kaum verhindern. Gefängnisse können sogar den gegenteiligen Effekt haben: Insassen lernen effektive Tatstrategien voneinander«, schreibt der wissenschaftliche Dienst des US-Justizministeriums. Die wenigen Studien, die tatsächlich einen Rückgang von Straftaten verzeichneten, betrafen meist Anstalten mit einem soliden Wiedereingliederungsprogramm. Eine Einschränkung gibt es dabei: Die Daten beziehen sich auf die (deutlich strengeren) US-amerikanischen Gefängnisse. Möglicherweise erfüllen deutsche Anstalten ihre Mission besser – das ist jedoch bislang kaum erforscht. Hier zu Lande wird knapp die Hälfte der Insassen in den drei Jahren nach Entlassung rückfällig.

Auch die Idee einer »Generalprävention«, laut der die Angst vor Strafe generell Verbrechen vorbeugt, ist für Gefängnisstrafen erstaunlich schlecht belegt. Wie kann das sein? »Gefangene berichten, dass sie gar nicht an die Möglichkeit von Gefängnis dachten, während sie ihre Tat verübten«, schreibt der Sozialpsychologe John Darley. Das deckt sich mit dem Ergebnis einer Interviewstudie des Ökonomen David Anderson mit knapp 300 Gefangenen: 76 Prozent sahen bei ihren Taten kaum ein Risiko, erwischt oder bestraft zu werden, in der Gruppe der Gewaltverbrecher waren es gar 89 Prozent.

Das mag zunächst erstaunlich wirken. Verständlicher wird es, wenn man bedenkt, dass viele Gefangene eine Vorgeschichte mit Alkoholmissbrauch oder Sucht haben – drei von fünf in einer deutschen Stichprobe unter jungen männlichen Gefangenen, die der Psychologe Denis Köhler mit seiner Arbeitsgruppe untersuchte. Hinzu kommen eskalierende Gruppendynamiken unter jungen Männern. Auch psychische Erkrankungen spielen eine Rolle; das Team entdeckte bei vier von fünf Gefangenen diverse Verhaltensstörungen. Anders gesagt: Die meisten Straftaten entstehen eben nicht nach einer sorgfältigen Abwägung von Gefahren und Nutzen, sondern eher impulsiv, aus dem Bauch heraus. »Die monetären und sozialen Kosten von langen Haftstrafen sind hoch«, resümiert John Darley. Trotzdem gibt es kaum Hinweise, dass sie die Allgemeinheit schützen.

Dafür sind die negativen Folgen der Haftanstalten umso eindrücklicher: Gefangene haben ein höheres Risiko, sich mit HIV und Tuberkulose anzustecken, nehmen sich häufiger das Leben oder werden Opfer von sexuellen Übergriffen. Die schwersten Probleme würden sich oft erst zeigen, nachdem die Gefangenen wieder freigekommen sind, schreibt der Sozialpsychologe Craig Haney von der University of California in Santa Cruz. Er erklärt das mit einer übermäßigen Anpassung an den Alltag hinter Gittern: Über Jahre würden andere entscheiden, wann die Insassen ins Bett gehen, aufstehen, was sie essen oder wie lange sie telefonieren. »Sie fühlen sich infantilisiert durch diesen Kontrollverlust in den banalsten Aspekten ihres Lebens«, berichtet Haney. In der Folge würde ihre Eigeninitiative oft deutlich abnehmen – vergleichbar mit dem so genannten Hospitalismus bei Menschen, die lange Zeit in der Psychiatrie verbracht haben. Gerade jene Gefangenen, die sich besonders gut an das Knastleben anpassen, hätten später die größten Probleme, wenn sie wieder in Freiheit kämen. Dem Klischee nach sind Gefangene »schwere Jungs« und »hart im Nehmen«. Doch das Gegenteil scheint wahr zu sein: »Viele Insassen kommen aus sozial und ökonomisch benachteiligten Gruppen und haben als Kinder und Erwachsene widrige und traumatische Erfahrungen durchlebt«, so Haney.

Allerdings sind all diese Probleme schon lange bekannt. Der französische Philosoph Michel Foucault bemerkte in seinem Buch »Überwachen und Strafen« aus dem Jahr 1975, die Anstalten würden neue Missetäter regelrecht hervorbringen. Er gibt zu bedenken, dass die Kritik an der Haftlogik mittlerweile selbst 150 Jahre alt sei und sich trotz aller Reformbemühungen kaum etwas ändere. Das Strafsystem sei aber keineswegs gescheitert, sondern verfolge bloß andere Zwecke als gemeinhin vermutet. Foucault dreht also den Spieß um und fragt: »Gehört nicht auch der angebliche Misserfolg des Gefängnisses in seinen Funktionszusammenhang hinein?« Die Haft würde niemanden »bessern«, sondern ganz im Gegenteil ein geschlossenes Milieu an Delinquenten – Gesetzesbrecher aus den unteren Schichten – hervorbringen, das als abschreckendes Beispiel die soziale Ordnung stabilisiere. »Indem sich die Delinquenz von den anderen Gesetzwidrigkeiten absetzt, schwebt sie als Drohung über ihnen«, schrieb Foucault. Die Gefängnisse mit all ihren Missständen hätten so ihren festen Platz in der Gesellschaft und ließen sich deshalb kaum ernsthaft reformieren oder gar abschaffen, ohne das gesellschaftliche Miteinander völlig neu zu denken.

Wie Gerechtigkeit auch ohne Gitterstäbe gelingt

Doch auch im Hier und Jetzt stehen bereits andere Wege offen. Bei opferlosen Delikten lässt sich fragen, ob sich die dahinterliegenden Probleme nicht ohne Strafrecht besser lösen ließen, etwa beim Thema Flucht: Menschen ohne Papiere verstoßen bereits bei der Einreise gegen das Aufenthaltsrecht und machen sich strafbar, selbst wenn die Behörden solche Verfahren häufig einstellen. Abhängige machen sich schuldig, wenn sie kleine Mengen Drogen besitzen (das bleibt in der Praxis ebenfalls meist folgenlos). Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Portugal: Das Land entkriminalisierte im Jahr 2001 alle Drogen für den persönlichen Gebrauch und setzte auf Hilfe statt Strafe für Suchtkranke. In den Folgejahren sank die Zahl der Drogentoten und der drogenbedingten HIV-Infektionen stetig.

Umstritten ist ebenso die so genannte Ersatzfreiheitsstrafe, bei der Menschen hinter Gitter kommen, weil sie eine verhängte Geldstrafe nicht zahlen – rund elf Prozent aller vollzogenen Freiheitsstrafen hier zu Lande waren es zum Stichtag im März 2022. Besonders häufig trifft es Menschen, die in Bus oder Bahn ohne Ticket erwischt werden und damit nicht gerade zum Klischee eines Verbrechers passen. Hier wird Armut bestraft und nicht etwa ein besonders schlimmes Vergehen, meinen Kritiker. Sozialverbände wie die Caritas fordern, diese Regelung abzuschaffen.

Anders sieht es bei Taten aus, die ein konkretes Opfer hervorbringen, wie bei einer Schlägerei. Bei solchen Vergehen schwingt oftmals eine symbolische Bedeutung mit, die mehr Schmerzen verursacht als die kaputte Hose oder das blaue Auge. »Solche Schädigungen sind auch Botschaften«, schreiben der Philosoph Jeffrie Murphy und seine Kollegin Jean Hampton. »Gezielte Missetaten verletzen uns und versuchen (manchmal erfolgreich) uns zu demütigen.« Schließlich bauen die Taten stillschweigend ein Machtgefälle auf, nach der Devise: Mit dir kann man so etwas machen. Deswegen ist für viele Opfer und deren Angehörige die öffentliche Aufarbeitung so wichtig: Eine unabhängige Institution soll feststellen, dass das Geschehene unrecht war und nicht folgenlos bleibt.

Doch Strafprozesse mit ihren strengen Beweiskriterien und bürokratischen Finessen sind nicht immer der beste Weg, um Ruhe einkehren zu lassen. Es geht auch anders: Manche Einrichtungen und Kollektive setzen auf alternative Ansätze jenseits von Gericht und Polizei, etwa den der »transformativen Gerechtigkeit«. Statt um Vergeltung soll es um Verantwortungsübernahme und die Wünsche der Betroffenen gehen, zum Beispiel nach einem sexuellen Übergriff. Bei politischen Verbrechen kommen »Wahrheitskommissionen« zum Einsatz, die das Geschehen aufarbeiten und eine Versöhnung anstreben, beispielsweise nach den Gräueltaten im Kolumbienkonflikt oder der Apartheid in Südafrika. Doch die Aussicht auf völlige Amnestie für die Täter sorgt bei manchen Opfern und Angehörigen für Unverständnis.

Das deutsche Recht kennt ebenfalls eine Alternative zum klassischen Strafprozess: den Täter-Opfer-Ausgleich. Sind alle Beteiligten dafür offen, besprechen sie das Geschehene unter professioneller Anleitung und einigen sich auf eine Wiedergutmachung. Das kann ein Schmerzensgeld sein, eine Entschuldigung oder gemeinnützige Arbeit. Nicht immer geht das gut, der Prozess hat seine ganz eigenen Tücken. Aber hin und wieder kommen die Beteiligten auf kreative Lösungen, so etwa in einem von der evangelischen Kirche in Frankfurt betreuten Fall: Nachdem ein Jugendlicher im Streit Opfer einer Körperverletzung geworden war, wünschte er sich zur Wiedergutmachung ein faires Fußballturnier mit seinen früheren Peinigern. Bei schlechtem Wetter besiegte die Mannschaft des Geschädigten den Gegner dann mit einem knappen 13 : 11 – und die Beteiligten konnten den Zwist friedlich beilegen.

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