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Stratosphärenflugzeuge: Über den Wolken, noch nicht im Weltraum

Solardrohnen in der Stratosphäre könnten Internetanbindung und Erdbeobachtung auf eine neue Ebene bringen. Doch diverse Abstürze zeigen: Der Vorstoß in mehr als 20 Kilometer Höhe ist extrem anspruchsvoll. Dennoch stehen kommerzielle Anwendungen bevor – sagen die Entwickler.
Illustration der High Altitude Platform des DLR in mehr als 20 Kilometer
Die High Altitude Platform (HAP) des DLR soll in mehr als 20 Kilometer Höhe aufsteigen, hier eine Illustration.

In Animationen sieht es viel versprechend aus: Ein solarbetriebener Flieger kreist autonom in der Höhe, bringt den Menschen in entlegenen Gegenden Internet oder macht präzise Aufnahmen von der Erde und hilft so, Umweltveränderungen aufzuspüren. Das Prinzip kennt man von Satelliten, doch diese sausen rasch vorbei und tauchen erst anderthalb Stunden später wieder über demselben Ort auf. So entsteht eine Lücke in Messungen und Datenverbindungen. Die Solarflieger hingegen bleiben vor Ort und sind dauerhaft einsatzbereit. Nach Naturkatastrophen böte das den Hilfskräften am Boden entscheidende Unterstützung. Obendrein sind sie in 20 Kilometer Höhe mehr als zehnmal näher am irdischen Geschehen als die Satelliten im Weltall. So können sie Mobilfunk unmittelbar aufs Handy bringen und schärfere Fotos machen. Überdies werden die Flieger bei technischen Problemen nicht zu nutzlosem und potenziell gefährlichem Weltraumschrott. Bei einem Defekt landen sie einfach, werden repariert und steigen wieder auf.

So weit zu den Vorteilen. Doch solche Flieger zu bauen ist extrem anspruchsvoll. Viele Unternehmen haben es versucht, immer wieder gab es Rückschläge, bis heute ist keiner im regulären Einsatz. Aber das soll sich bald ändern. Mehrere Firmen wollen in den kommenden Jahren ihren Service für zivile und militärische Kunden anbieten.

Die Stratosphärenflieger werden in Fachkreisen als HAPS bezeichnet, vom englischen »high-altitude pseudo satellite« oder auch »high-altitude platform station« (hoch fliegender Pseudosatellit beziehungsweise Plattformstation). Anders als gewöhnliche Flugzeuge, die in der untersten Atmosphärenschicht namens Troposphäre unterwegs sind, operieren die Geräte in der Stratosphäre oberhalb von rund 20 Kilometer Höhe. Dort ist die Luft zwar sehr dünn, aber viel ruhiger als in der Troposphäre, wo sich unser Wetter abspielt. Das kommt den HAPS zugute, denn sie sind auf extremen Leichtbau getrimmt. Nur so können sie über längere Zeit hoch oben verweilen.

Jedes Pfund zählt

Die unbemannten Pseudosatelliten werden von elektrischen Propellern angetrieben. Der Strom kommt aus Solarzellen, die auf den Flügeln kleben und dort oben von keinerlei Wolken beschattet werden. Den nächtlichen Stromabfall gleichen Akkus aus, die zudem Strom für die Nutzlasten liefern. Je nach Kunde können das Kameras sein, Funkantennen oder Radargeräte.

Die Ingenieure ringen um jedes Pfund Gewicht, entsprechend filigran sehen die Plattformen aus. Eine davon ist hinter Pierre-Antoine Aubourg im Hangar zu erkennen, als er im Videotelefonat mit »Spektrum« über die Entwicklung spricht. »Wir haben eine Spannweite von 25 Metern, was nicht weit entfernt ist von der eines Airbus A320«, sagt der Technikchef des britischen Unternehmens Aalto, das zum Airbus-Konzern gehört. »Das maximale Startgewicht beträgt aber nur 75 Kilogramm.« Dank Karbonfasern und Hochleistungsbatterien sowie -solarzellen schaffte es das aktuelle Modell »Zephyr 8«, bis zu 64 Tage in der Luft zu bleiben.

Zephyr in der Luft | Eine Fotomontage zeigt den Stratosphärenflieger Zephyr des britischen Unternehmens Aalto hoch in der Atmosphäre.

Turbulenzen und Abstürze

»Wir können in der Stratosphäre überleben«, resümiert Aubourg. »Aber man muss es ebenso in der Troposphäre schaffen, wo es starke vertikale Luftbewegungen gibt.« Mehrere Teams sind in den vergangenen Jahrzehnten mit unterschiedlichen HAPS-Prototypen daran gescheitert, ihre filigranen Leichtbaukonstruktionen nach dem Start durch die turbulente Troposphäre in sichere Höhe zu manövrieren. Auch Aalto musste Abstürze verkraften. »Wir haben unser Flugkontrollsystem komplett erneuert«, erläutert der Chefentwickler. »Bei einem Test im Mai haben wir gezeigt, dass wir nun mit weitaus größeren Turbulenzen zurechtkommen als früher.«

Mehrere Teams sind daran gescheitert, ihre Leichtbaukonstruktionen durch die Troposphäre in sichere Höhe zu manövrieren

Seit Juli 2024 laufen laut Aubourg weitere Flugtests in Kenia. Dort, nahe dem Äquator, seien die Wetterbedingungen günstig, um heil durch die Troposphäre zu kommen. Das gelte für neun Monate im Jahr – um jederzeit abheben zu können, soll ein weiterer Startort gefunden werden. Die Entfernung zum Ziel sei kein Problem, ergänzt er. Nach Japan beispielsweise dauere es von Kenia aus zehn bis zwölf Tage, je nachdem wie gut der Jetstream und Schwerewellen in der Atmosphäre beim Flug unterstützen. »Wir haben unsere Fähigkeiten zur Wettervorhersage maßgeblich verbessert, um die Flugrouten in Echtzeit zu optimieren.« Ein weiterer Puzzlestein, um die Idee HAPS Wirklichkeit werden zu lassen.

Das versuchen etliche Entwickler. Manche haben aufgegeben, wie der Facebook-Konzern mit seinem Projekt »Aquila«. Andere kamen weiter, etwa Prismatic des britischen Unternehmens BAE Systems mit dem Fluggerät »Phasa-35«. Im Jahr 2023 gelang der erste Flug in die Stratosphäre über New Mexico. Weitere Flüge seien geplant, zudem sei man in Gesprächen mit potenziellen Kunden, wie das Unternehmen mitteilt. Der Markteintritt soll in den nächsten vier Jahren erfolgen.

Testflug Phasa-35 im Juni 2023

Flüge nur unter strengen Auflagen

Ebenfalls große Ambitionen hat die japanische SoftBank Group mit Fliegern, die vom US-Partner AeroVironment gebaut werden. Jeder einzelne soll ein 200 Kilometer großes Gebiet mit Datenverbindungen im 5G-Standard versorgen. Basis ist der »Sunglider«, der 2020 erstmals die Stratosphäre erreicht hat. Aktuell läuft die Arbeit an einem Nachfolger, zugleich werden die nötigen Daten für eine Typzulassung bei der US-Luftfahrtbehörde FAA erhoben. Gleiches tut Aalto mit Zephyr bei der entsprechenden Behörde in Großbritannien. Diese Zulassung ist entscheidend für den Regelbetrieb. Bisher sind Flüge nur missionsabhängig unter strengen Auflagen und fern von dicht besiedelten Gebieten erlaubt.

Helios-Prototyp in der Luft | Bereits im Jahr 2001 gelangen mit solarbetriebenen Leichtflugzeugen Rekorde. Ein Helios genannter, von der NASA und der Firma AeroVironment entwickelter Prototyp mit 75 Meter Flügelspannweite stellte mit einer Flughöhe von mehr als 29 Kilometern eine neue Bestmarke auf.

Mit derlei Einschränkungen sind auch die Ingenieure um Stefan Levedag konfrontiert, Direktor des Instituts für Flugsystemtechnik im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Ihr Flieger soll zu Beginn des Jahres 2025 am Flugplatz Magdeburg-Cochstedt, dem Nationalen Erprobungszentrum für Unbemannte Luftfahrtsysteme, erstmals in die Luft gehen. »HAP alpha« verfügt über zwei Motoren, jeder mit einer Leistung von einem Kilowatt, etwa so viel wie ein starker Küchenmixer. »Das genügt für den Steigflug«, bekräftigt Levedag. In der Stratosphäre wird die Plattform mit 70 bis 80 Kilometer pro Stunde fliegen. Propeller, Tragflächen, Akkus, Motoren, Elektronik – alles optimiert, um das 135-Kilogramm-Gerät einmal in großen Höhen einsatzfähig zu halten. Dabei muss es starker Strahlung und Temperaturschwankungen von weit über 100 Grad trotzen.

Bezahlbare Hardware gesucht

Große Sorgen machen Levedag derzeit die Solarzellen. Das Verhältnis aus Gewicht und Wirkungsgrad ist kritisch, ein wichtiger Hersteller sei insolvent. »Solarzellen aus der Raumfahrt wären gut geeignet, aber die kosten 100 000 Euro pro Quadratmeter, das können wir nicht bezahlen.«

Überhaupt ist das DLR-Projekt mit 40 Millionen Euro Budget eher schmal aufgestellt im Vergleich zur Konkurrenz. Konkrete Zahlen werden ungern genannt, aber ein im Juni 2024 verkündetes 100-Millionen-Dollar-Investment eines japanischen Konsortiums bei Aalto lässt die Dimensionen erahnen. Obgleich die Briten wesentlich weiter sind. Sie haben bereits sechs HAPS verfügbar, vier weitere sind im Bau. 2026 wollen sie weltweit ins Geschäft einsteigen. Die japanischen Partner wollen Kommunikation und Erdbeobachtung für den heimischen Markt etablieren, sagt Aubourg. Das Unternehmen sieht großen Bedarf im kommerziellen und staatlichen Sektor, ergänzt ein Sprecher. »Wir erwarten weitere Übereinkünfte in den kommenden Monaten.«

Zephyr-Produktionshalle | In einem Hangar des britischen Unternehmens Aalto befinden sich mehrere Stratosphärenflieger im Bau.

Die Fachleute vom DLR werden länger brauchen, ehe ihr Prototyp serienreif wird. »Das hängt davon ab, wie die Testflüge verlaufen, wo und wie stark nachgebessert werden muss«, stellt Levedag fest. Er sieht sein Team trotzdem gut im Rennen, da es nicht nur an der Plattform arbeitet, sondern zugleich an den Nutzlasten. Fünf Kilogramm dürfen die insgesamt haben und sollen möglichst wenig Strom verbrauchen. Auf dem freien Markt gebe es Derartiges laut dem Projektleiter nicht: »Ein herkömmliches Synthetic Aperture Radar beispielsweise wiegt 500 Kilo, da ist also noch viel zu optimieren und auch bei der Auflösung sind Abstriche zu machen.«

Die Bundeswehr ist interessiert

An möglichen Anwendungen für HAPS mangelt es keinesfalls, betont Levedag. Obgleich er bezüglich Telekommunikation skeptisch ist: »Starlink hat tausende Satelliten im Orbit, weitere Konstellationen folgen – ich sehe kaum Potenzial.« Anders verhalte es sich bei Erdbeobachtung. HAPS können den Planeten langfristig überwachen und kommen den Regionen viel näher als Satelliten. »Da ist vieles möglich, von Vegetationsmonitoring über Polarforschung bis zu militärischen Anwendungen«, skizziert er. Auch die Bundeswehr sei interessiert, beteilige sich jedoch nicht finanziell an dem Vorhaben.

Eine Analyse sieht einen wachsenden Markt für hoch fliegende Plattformen

Eine Analyse der europäischen Grenzschutzagentur Frontex aus dem Jahr 2023 sieht einen spürbar wachsenden Markt für hoch fliegende Plattformen. 2029 könnten mit Kommunikation und Überwachung weltweit Umsätze von mehr als 700 Millionen Euro erzielt werden, wobei hier Ballons und Luftschiffe ebenfalls berücksichtigt sind. Die HAPS, um die es in diesem Beitrag geht, machen in der Analyse rund die Hälfte aus.

Neben den technologischen Herausforderungen, das hebt die Analyse hervor, gibt es regulatorische. Entscheidend wird die Typzulassung sein, die für die Genehmigungsbehörden ebenso Neuland ist. Klar ist, dass die unbemannten Flieger über ein System zum Flugabbruch verfügen müssen, sollte beispielsweise die Verbindung abreißen oder anderweitig eine Gefahr bestehen. »Der Vorteil besteht darin, dass sie langsam sind und sehr groß«, sagt der Chefentwickler Aubourg. Sie stürzen also nicht ab wie Stein, sondern trudeln eher. »Anhand der Wetterdaten können wir sehr genau berechnen, wo sie auf die Erde auftreffen werden.« Die Routen würden so gewählt, dass keine besiedelten Gebiete gefährdet wären. Die Modellrechnungen seien zuverlässig, meint er. Zur Validierung habe man Daten der bisherigen Abstürze genutzt. So hatten diese dann doch noch etwas Gutes an sich.

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