Zeitdruck: Warum es oft besser ist, eine Frist zu verschieben
Selbst Fachleute unterschätzen systematisch, wie viel Zeit sie für eine Aufgabe brauche werden. Deshalb stehen viele kurz vor der Abgabe unter Stress. Die Lösung wäre einfach: die Deadline verschieben. Doch viele zögern damit, weil sie fürchten, das würde bei Vorgesetzten oder Geschäftspartnern einen schlechten Eindruck hinterlassen – unklugerweise, wie Experimente der Harvard Business School mit mehr als 4000 Probandinnen und Probanden nahelegen.
Das Team um Ashley Whillans bat die Versuchspersonen unter anderem, zwei Minuten lang so viele Bilder wie möglich detailliert zu beschreiben. Während auf dem Bildschirm der Countdown lief, konnten sie aber jederzeit auf einen Button mit der Aufschrift »Ich brauche mehr Zeit« klicken und so die Frist um eine Minute verlängern. Darüber werde allerdings eine andere Versuchsperson in Kenntnis gesetzt, die als Supervisor später ihr Leistung bewerten sollte. Mit diesem Wissen verlängerten sie ihre Frist seltener als jene, die glaubten, dass ihr Supervisor nichts davon erfahren würde.
Die Zögernden überschätzten jedoch den Einfluss, den die verschobene Frist auf die Bewertung ihrer Leistung hatte. Denn die Versuchspersonen in der Supervisorenrolle schlossen daraus zwar tatsächlich auf eine geringere Kompetenz, aber nicht so sehr wie befürchtet. Es habe mehr Vorteile, rechtzeitig um Aufschub zu bitten, schreiben die Forschenden in der Fachzeitschrift »Journal of Experimental Social Psychology«. Es könne dem Stress und Ärger vorbeugen, der bei einer versäumten Frist droht. Es zeige die Fähigkeit, die eigene Arbeit selbstständig zu organisieren und sich kritisch zu hinterfragen. Und nicht zuletzt fielen die Ergebnisse tatsächlich besser aus.
Der Qualität ausdrücklich Vorrang geben
Wie man die Angst vor einer negativen Bewertung mindern kann, testeten Whillans und ihr Team anschließend in einem Feldexperiment. Im Rahmen von Lehrveranstaltungen konnten Studierende ihre Dozenten bei Bedarf bitten, den Abgabetermin für ihre Arbeit zu verschieben. Doch während die einen glaubten, der Dozent würde ihnen das nur aus Kulanz anbieten, wurden die anderen schriftlich informiert, dass diese Möglichkeit offiziell vorgesehen war. Im zweiten Fall trauten sich fast doppelt so viele (42 versus 22,5 Prozent), um Aufschub zu bitten. Die formale Regelung konnte etwaige Bedenken offenbar mindern. »Diese Studierenden sorgten sich weniger darum, einen guten Eindruck bei ihrem Dozenten zu machen«, berichtet die Forschungsgruppe.
Deadlines sind gut, um Produktivität und Koordination zu fördern, resümieren Whillans und ihre Kollegen. Sie empfehlen Vorgesetzten aber, Terminverschiebungen zu ermöglichen – und Prioritäten zu setzen. Denn wenn es keine klaren Vorgaben gebe, neigten Angestellte eher dazu, mit Geschwindigkeit als mit Qualität beeindrucken zu wollen. Nur wenn die Qualität ausdrücklich Vorrang habe, werde sie auch priorisiert.
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