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Studie: Intensivlandwirtschaft steckt hinter dem Vogelsterben

Die Bestände vieler Vögel in Europa schwinden dramatisch. Daten aus fast vier Jahrzehnten zeigen: Die industriell betriebene Intensivlandwirtschaft ist die Hauptursache dafür.
Zwei Rebhühner
Selbst wenn das Ausmaß an Intensivlandwirtschaft nur konstant bleibt, wird das Rebhuhn in Deutschland aussterben. Damit sich die Bestände einst verbreiteter Vogelarten wieder erholen, braucht es eine deutliche Trendwende in der Landwirtschaft.

Die Vögel Europas kämpfen gerade vor unser aller Augen um ihr Überleben: 600 Millionen Vögel haben die Staaten der EU in den letzten vier Jahrzehnten verloren – das entspricht rechnerisch einem Verlust von 40 000 Vögeln Tag für Tag. Man kann es inzwischen sogar hören. Der allmorgendliche Vogelchor hat sich durch den Wegfall von immer mehr Einzelsängern und Vogelarten schon spürbar verändert. Er wird leiser und monotoner.

Ein gänzlich »stummer Frühling« ist zwar noch keine Realität, aber er rückt näher. Denn der Trend hält an, wie systematische Erfassungsprogramme in vielen Ländern zeigen. In Deutschland schätzen Fachleute, dass gegenüber den 1980er Jahren 16 Millionen Vögel verschwunden sind.

Besonders stark betroffen von der schwersten Vogelkrise seit Beginn der wissenschaftlichen Forschung sind Vogelarten, die auf Äckern, Feldern oder Weiden ihren Lebensraum haben. Die Zahl dieser so genannten Agrarvogelarten brach in den letzten vier Jahrzehnten um fast 60 Prozent ein und damit noch deutlich stärker als der Durchschnitt aller häufigen Vogelarten, deren Populationen um 25 Prozent abnahmen. Einzelne Feldvogelarten trifft es noch viel stärker. So müssen Rebhühner und Kiebitze in Deutschland mit Einbrüchen von über 90 Prozent in den letzten 25 Jahren kämpfen.

Dass die industriell betriebene Landwirtschaft eine maßgebliche Rolle bei diesem Vogelsterben auf dem Lande spielt, ist zwar keine Neuigkeit. Eine am Montag im Fachjournal »Proceedings of the National Academy of Sciences« veröffentlichte groß angelegte Analyse belegt nun aber erstmals im kontinentalen Maßstab einen ursächlichen Zusammenhang zwischen landwirtschaftlicher Intensivierung und dem Vogelrückgang überall in Europa.

Fast 40 Jahre Daten zu 170 Arten

Die Wissenschaftler um Stanislas Rigal von der Université de Montpellier griffen in ihrer Studie auf die umfangreichsten Datensätze zurück, mit denen der Vogelschwund und seine Ursachen bisher auf dem europäischen Kontinent untersucht wurde. In die Untersuchung flossen die systematischen Zählungen von vielen tausend bürgerwissenschaftlich aktiven Vogelbeobachtern auf mehr als 20 000 Probeflächen über einen Zeitraum von fast vier Jahrzehnten ein. Auf dieser Basis ermittelten die Forscher in einem ersten Schritt die Bestandsentwicklung von 170 Vogelarten in 28 europäischen Ländern von 1980 bis 2016.

Parallel dazu analysierten sie, wie sich die vier großen bekannten Stressfaktoren auf Vogelpopulationen in allen 28 Ländern über diesen Zeitraum verändert haben:

  • Zerstörung von Lebensräumen durch die voranschreitende Verstädterung
  • Abholzung von Wäldern
  • Temperaturanstieg im Zuge des Klimawandels
  • Intensivierung der Landwirtschaft, gemessen an Flächenanteil und Ausgaben für Pestizide und Dünger pro Hektar.

»So konnten wir sowohl die Belastungen wie auch die Häufigkeiten der einzelnen Vogelarten parallel in Raum und Zeit beobachten – wie in einer experimentellen Umgebung«, erläutert Koautor Vasilis Dakos. »Unsere Ergebnisse quantifizieren damit nicht einfach nur Korrelationen: Sie offenbaren kausale Reaktionen – also Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge – von Vögeln auf Faktoren des globalen Wandels.«

Pestizide und Düngemittel sind Hauptursachen

Im Ergebnis liefert die Untersuchung den Beleg für die überragende Rolle, die die landwirtschaftliche Intensivierung für den Verlust der gefiederten Vielfalt auf dem ganzen Kontinent spielt. »Der zunehmende Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln ist die Hauptursache für den Rückgang vieler Vogelpopulationen, vor allem aber von solchen, die Insekten fressen«, schreiben die Autoren. Zwar zeigten auch der immer größere Flächenverbrauch als Folge der zunehmenden Verstädterung, der Klimawandel und die intensive Waldbewirtschaftung für viele Vogelarten negative Auswirkungen, so das Studienergebnis. Die zentrale Verantwortung für den Vogelschwund liege aber in der immer intensiver werdenden Art und Weise der Lebensmittelproduktion auf Feldern und Äckern. Der Untersuchung zufolge wird Deutschland in Sachen Intensivlandwirtschaft nur von Dänemark und den Benelux-Staaten übertroffen, entsprechend zählt der Abwärtstrend bei den Agrarvögeln hier zu den ausgeprägtesten.

Die Studie ist so etwas wie eine »Smoking Gun« für das ökologische Schadpotenzial der industriellen Turbolandwirtschaft. »An der Verantwortung der Intensivlandwirtschaft für die katastrophale Situation vieler Vogelarten in Europa kann es nach dieser Untersuchung keinen vernünftigen Zweifel mehr geben«, sagt Sven Trautmann, der für den Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) an der Untersuchung mitgearbeitet hat. Mit Blick auf die Lage in Deutschland, sagt er, »sind wir in der Landwirtschaft schon auf einem Niveau angekommen, bei dem es nicht mehr reicht, nur die weitere Intensivierung zu stoppen«.

Diese hat in Deutschland zuletzt einen Sockel erreicht. Aber selbst wenn das Niveau gehalten werde oder sogar wenn es leicht sinke, warnt Trautmann, »wird das Rebhuhn in den nächsten Jahren aussterben«. Mit einem Weiter-so würde Deutschland über kurz oder lang viele Feldvogelarten verlieren. »Wir müssen das Niveau von Dünger und Pestiziden spürbar zurückschrauben, um unsere Agrarvögel zu retten«, appelliert er.

Bis 2030 sollen 30 Prozent der Flächen unter Schutz gestellt und ebenso viel renaturiert werden

Fachleute fordern »großen Wurf«

Dass der reine Schutz der verbliebenen halbwegs ökologisch intakten Gebiete nicht mehr ausreicht, um den Artenschwund zu stoppen, ist inzwischen auch in der Politik angekommen. Beim Weltnaturgipfel im vergangenen Dezember in Montreal wurde deshalb nicht nur beschlossen, dass bis 2030 je 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche des Planeten unter Schutz gestellt werden. Die 196 Mitgliedstaaten der UN-Konvention zur biologischen Vielfalt gaben auch die verbindliche Selbstverpflichtung ab, innerhalb der nächsten sieben Jahre eine ebenso große Fläche an zerstörten Ökosystemen zu renaturieren. In der EU sollen nach dem Willen der Kommission bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen der EU »ökologisch wiederhergestellt« werden.

Nötig sei jetzt ein »großer Wurf« vor allem in der Landwirtschaftspolitik auf nationaler und europäischer Ebene, fordert auch DDA-Wissenschaftler Trautmann. Auch der nicht an der Studie beteiligte Ökologe Guy Pe'er sieht in der Untersuchung einen Weckruf rechtzeitig zu Beginn der politischen Verhandlungen über die künftige landwirtschaftliche Förderpolitik in der EU. »Diese Studie zeigt, wie verheerend die fortschreitende Umwandlung ganzer Landschaften in homogene, intensiv bewirtschaftete Monokulturen ist, die für viele Arten – auch für den Menschen – wenig Raum lassen«, sagt Pe'er, der sich am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig mit Ökosystemen befasst, dem »Science Media Center«. »Der rasche und starke Rückgang der Vögel ist ein deutliches Zeichen dafür, dass wir einen Sicherheitsgurt anlegen müssen, bevor wir alle zusammen abstürzen – und dieser Sicherheitsgurt ist der Schutz der verbliebenen Natur und die Wiederherstellung dessen, was erst kürzlich verloren ging.«

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