Direkt zum Inhalt

News: Stürmische Folgen

Ein Hurrikan fordert nicht nur unter den Menschen Todesopfer - die Tierwelt hat meist weit größere Verluste zu beklagen. So kann ein solcher Wirbelsturm auf Inseln ganze Echsen-Populationen ausrotten. Welch ein Glück, wenn dann wenigstens Nachwuchs aus vorher gelegten Eiern schlüpft. Doch ob sich die neuen Lebensgemeinschaften wieder vollständig erholen können oder die Landflecken auch langfristig dünner besiedelt bleiben, hängt nicht nur von der Sturmkatastrophe ab: Haben Räuber die Populationen schon vorher strapaziert, kommt der Neuanfang nur schleppend in Gang - oder fällt ganz aus.
Am 14. September 1999 raste der Hurrikan Floyd mit Windgeschwindigkeiten von etwa 250 Kilometern pro Stunde über einige kleine, von Menschen unbewohnte Inseln der Bahamas. Was für die Tierwelt eine Katastrophe darstellte, entpuppte sich als Glücksfall für die Wissenschaft. Denn Forscher der University of California in Davis konnten während einer Studie zum Einfluss von Räubern auf die Lebensgemeinschaften der Beutetiere auch beobachten, wie sich eine massive Störung auf das System auswirkt – zwei wichtige Einflussfaktoren, die selten gleichzeitig untersucht werden können.

Für das laufende Projekt hatten Thomas Schoener und seine Kollegen im April 1997 auf fünf Inseln räuberische Rollschwanzleguane (Leiocephalus carinatus) ausgesetzt, auf einem weiteren Eiland war er gerade eingewandert. Die Tiere ernähren sich unter anderem von Bahama-Anolis (Anolis sangrei), kleinen, braunen Echsen, die im Gebüsch und auch in Bäumen leben. Die Wissenschaftler verfolgten seitdem die Populationsentwicklung der Beutetiere, sowohl auf den Inseln mit eingeführten Räubern als auch auf sechs Kontrollinseln, die Leguan-frei blieben. Schon nach kurzer Zeit zeigte sich ein dramatischer Effekt: Die Individuenzahlen der Anolis gingen unter dem Räuberdruck auf die Hälfte zurück, und die Tiere verlagerten zudem ihren Aktionsraum auf höher gelegene, dünnere Äste, wohin ihnen die schwereren Fressfeinde nicht folgen konnten.

Dann kam der Sturm. Als Thomas Schoener und seine Kollegen ihr Freilandlabor zwei Monate danach wieder betraten, entdeckten sie keinerlei ausgewachsenen Tiere mehr: Wind und Sturmflut hatten alle Echsen getötet. Doch die Inseln waren deshalb nicht unbewohnt – auf acht der zwölf Landflecken konnten die Wissenschaftler kleine, offenbar frisch geschlüpfte Anolis aufspüren. Die Rollschwanzleguane hatte es hingegen schlimmer erwischt: Von ihnen existierten nur noch drei Individuen, jeweils auf einer eigenen Insel. Auf den drei weiteren Inseln, auf denen sie ausgesetzt wurden, waren sie ausgestorben.

14 Monate später zählten die Forscher erneut. Auf den Eilanden ohne Räuber hatten sich die Anolis-Populationen wieder erholt und überall das Niveau erreicht wie vor dem Sturm – und das auch auf den beiden Inseln, die vorher unter Räuberdruck standen, nun jedoch davon befreit waren. Die verbleibenden vier Inseln – alle ehemals räubergeschädigt – erholten sich dagegen nur langsam beziehungsweise gar nicht: Eine blieb weiterhin unbewohnt, während sich auf den anderen die kleinen Echsen wieder zeigten, wobei einige Tiere wohl vom Festland eingewandert waren.

Warum so deutliche Unterschiede? Schoener und seine Mitarbeiter bieten drei Erklärungen an. Zum einen könnte es sein, dass auf den drei Inseln, die auch nach dem Sturm wieder Rollschwanzleguane aufwiesen, diese sich direkt als Räuber betätigten. Das jedoch ist recht unwahrscheinlich, weil die Leguane, bei denen es sich wohl ebenfalls um Jungtiere handelte, noch zu klein waren, um die Anolis zu verspeisen. Einen zweite Möglichkeit sehen die Forscher in der Habitatverschiebung der Anolis. Da sie sich zunehmend in höhere Regionen der Vegetation zurückziehen mussten, standen ihnen vielleicht nicht mehr so viele sichere Plätze für ihre Gelege zur Verfügung. Und auch die dritte Erklärung setzt hier an: Indem die Tiere ihren Lebensraum einschränken mussten, ging eventuell auch der Fortpflanzungserfolg zurück – so könnte unzureichende Ernährung die Eiproduktion der Weibchen reduziert haben, und paarungsbereite Anolis trafen gegebenenfalls seltener aufeinander, alles resultierend in einer geringeren Nachkommenzahl.

Letztendlich klären lässt sich der Einfluss der einzelnen Prozesse wohl nicht. Doch sind die Ergebnisse unter anderem für Naturschutzmaßnahmen von großer Bedeutung. Denn auch wenn solche katastrophalen Ereignisse wie ein Wirbelsturm eher selten sind, bewirkte hier das Zusammenspiel mit biologischen Faktoren einen deutlichen Rückgang beziehungsweise sogar das Aussterben einer Population. Und es muss sich ja nicht immer gleich um einen Hurrikan handeln – im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung vermuten einige Forscher, dass die Zahl der schweren Stürme auch in den gemäßigten Breiten zunehmen wird. Das könnte so manche kleine Lebensgemeinschaft auch bei uns in Gefahr bringen.

  • Quellen
Nature 412: 183–186 (2001)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.