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Tierphysiologie: Suff ohne Schaden

Schon geringe Mengen Alkohol können unser Verhalten tiefgreifend verändern - für so manchen wird der Gang auf der Linie schnell zum Slalom. Wie praktisch wäre es da, ein Federschwanzspitzhörnchen zu sein: Sie schlucken täglich Unmengen vergorenen Pflanzennektars und klettern trotzdem noch sicher durch den Urwald. Ist der Rausch ein altes evolutionäres Säugererbe?
Federschwanz
Der Duft sagt alles. Wenn Eugeissona tristis erblüht, zeugt ein intensiver Alkoholgeruch von kräftiger Fermentation – ebenso wie verräterischer Schaum auf der Oberfläche des Nektartrunks im Inneren der Palmblütenknospen. Mit ihren ungewöhnlich harten, holzigen Umhüllungen eignen sie sich bestens als Braukessel, und das entstandene Gebräu kann denn auch gut mit einem herkömmlichen Bier mithalten: Bis zu 3,8 Volumenprozent Alkohol haben Frank Wiens von der Universität Bayreuth und seine Kollegen darin nachgewiesen.

So wie der Gerstensaft unter Menschen, hat der Palmennektar Freunde unter den Bewohnern des westmalaysischen Regenwaldes: Bereits tagsüber, aber vor allem des Nachts, tummeln sich zahlreiche Insekten und Kleinsäuger rund um den Dschungelausschank. Und obwohl frisch abgeschiedener Nektar mit einem halben Volumenprozent Alkohol deutlich weniger berauschend ist, so wunderten sich Wiens und seine Mitarbeiter doch, dass sie keine besoffenen Tiere von den Blütenständen fallen sahen.

Rausch ohne Kater

Federschwanz | Federschwänze (Ptilocercus lowii) sind schwer unter den Tisch zu trinken: Die kleinen Fellknäuel vertragen Alkoholmengen, die einen Menschen ins Krankenhaus bringen würden. Womöglich haben sie einen anderen Weg der Entgiftung perfektioniert.
Wie stecken insbesondere die Fellknäuel diese tägliche Drogendosis einfach so weg? Immerhin nippten beispielsweise Federschwänze (Ptilocercus lowii), eine Spitzhörnchen-Art, täglich über zwei Stunden daran. Und dabei handelte es sich für die Tiere nicht etwa um einen kleinen Schluck zum vorangegangenen üppigen Mahl, nein: Keinem anderen Nahrungsmittel sprachen die Federschwänze so zu wie dem vergorenen Nektarsaft.

In Haarproben der Tiere wiesen die Forscher denn auch ein Abbauprodukt des Alkohols in Konzentrationen nach, denen zufolge die 50-Gramm-Federgewichte jeden dritten Tag an einer lebensgefährlichen Alkoholvergiftung leiden müssten – umgerechnet auf entsprechende Werte beim Menschen, die in solchen Fällen als schwere Alkoholiker mit deutlichen Verhaltensauffälligkeiten rangieren würden. Abstinente Laborratten, aber auch andere Freilandtiere, die gelegentlich an Vergorenem naschen, blieben deutlich unter den Spitzhörnchen-Rekorden.

Vielleicht aber täuschen diese Werte, und die kleinen Säuger setzen auf andere Entgiftungsmechanismen. Denn das verräterische Ethylglucoronid (ETG), das beim Menschen auf Grund seiner langen Nachweisdauer als Abstinenzmarker eingesetzt wird, verweist auf einen Stoffwechselweg, der in unserem Körper nur eine untergeordnete Rolle spielt. Wiens und seine Kollegen vermuten, dass die Federschwänze und vielleicht auch andere Säugerarten diesem Abbauweg hingegen mehr Bedeutung einräumen und so die vermeintliche Überdosierung gar nicht zutrifft. Wer könnte es sich in einer Welt voller Feinde auch leisten, durch mögliche Gleichgewichts- oder Wahrnehmungsprobleme, die schon bei geringeren Alkoholkonzentrationen auftreten würden, das eigene Leben zu riskieren.

Willige Spediteure

Und wozu das Ganze? Das war einfach zu demonstrieren: Als die Forscher gezielt die nächtlichen Säugerbesucher von blühenden Pflanzen absammelten, sank deren Befruchtungsquote auf die Hälfte. Die pelzigen Zechgenossen dienten dem Grün also als Pollentransporteure. Und diese Aufgabe erfüllen sie möglicherweise schon ziemlich lange: Die Federspitzhörnchen zählen zu den ursprünglichsten Vertretern der gesamten Säuger-Abstammungslinie, weshalb der nächtliche Palmnektartrunk mit anschließenden Speditionsdiensten womöglich schon seit über 55 Millionen Jahren zum vertrauten Repertoire gehört.

Der Absacker zur Nacht mutiert damit von der modernen menschlichen Eigenheit zum alten Säugererbe. Schließlich gehören potenziell fermentierbare Flüssigkeiten wie Nektar oder zuckerhaltige Pflanzensäfte zur Grundnahrung vieler Primaten inklusive des Menschen. Es sei daher dringend an der Zeit, noch mehr Forschung in die positiven Effekte solchen Gebräus zu investieren, die ja bislang kontrovers diskutiert werden. Auch lohne es sich, nach Anpassungsmechanismen zu suchen, die vor schädlichen Auswirkungen des Stoffes schützen.

Neue Fragen für die Federschwänze haben Wiens und seine Kollegen auch schon parat: Würden die alkoholisierten Winzlinge ähnlich verringerte Stress- und Angstlevel zeigen wie ihre zweibeinigen Verwandten nach dem dritten Glas? Schließlich gerät, was beim Menschen von Vorteil sein kann, im Urwald schnell zum Nachteil: Ein extrovertiertes Zugehen auf den hungrigen Fressfeind gegenüber wäre dann zwar ein ungewöhnliches Abenteuer – aber sicherlich auch das letzte.
  • Quellen
Wiens, F. et al.: Chronic intake of fermented floral nectar by wild treeshrews. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 105, S. 10426–10431, 2008.

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