Supernovae: Warten auf das galaktische Feuerwerk
Die vergangenen 35 Jahre hat Masayuki Nakahata damit verbracht, auf die Explosion eines nahe gelegenen Sterns zu warten. Das letzte Mal ist so etwas im Februar 1987 passiert: Plötzlich erschien ein neuer Lichtpunkt am südlichen Nachthimmel. Seit Jahrhunderten war dies die erste Supernova, die Menschen beobachten konnten. Unter dem Namen SN 1987A machte sie auf der ganzen Welt Schlagzeilen und hat zu weit reichenden Fortschritten in der Astrophysik geführt.
Zu jener Zeit war Nakahata Student. Er arbeitete an einem der damals weltbesten Neutrinodetektoren, dem Kamiokande-II-Detektor am Kamioka Observatory nahe der Stadt Hida in Japan. Seine Kommilitonin Keiko Hirata und er entdeckten Hinweise darauf, dass Neutrinos aus der Supernova herausströmten. Es war das erste Mal, dass Neutrinos nachgewiesen werden konnten, die von außerhalb des Sonnensystems stammten.
Inzwischen arbeitet Masayuki Nakahata als Physiker an der Universität Tokio. Und er ist darauf vorbereitet, wenn die nächste Supernova explodiert. Er leitet eines der größten Neutrinoexperimente der Welt: den Neutrinodetektor Super-Kamiokande. 2021 wurden am Super-Kamiokande gerade die Frühwarnsysteme für Supernovae verbessert. Dadurch können die Computer des Observatoriums fast in Echtzeit erkennen, wenn ein Signal im Detektor von den Neutrinos einer Supernova stammt. Anschließend kann ein automatischer Alarm an astronomische Teleskope weltweit versendet werden.
Und dort werden die Astronominnen und Astronomen bereits warten. »Das wird alle erst einmal ganz schön nervös machen«, sagt Alec Habig, Astrophysiker an der University of Minnesota Duluth. Denn auf Grund dieses Frühwarnsystems von Super-Kamiokande und anderen Neutrinodetektoren werden Robotik-Teleskope sich vollautomatisch in Richtung des sterbenden Sterns ausrichten, um das erste Licht der Supernova einzufangen – in den meisten Fällen ganz ohne menschliches Zutun.
Eine Supernovaexplosion könnte für zahlreiche Teleskope deutlich zu hell sein
Aber genau dieses erste Licht könnte zu viel des Guten sein, fürchtet Patrice Bouchet. Bouchet ist Astrophysiker an der Universität Paris-Sarclay und hat vom La-Silla-Observatorium in Chile wichtige Beobachtungen der Supernova SN 1987A angestellt. Besonders energiereiche Supernova-Explosionen könnten auf der Erde heller erscheinen als der Vollmond und sogar noch tagsüber am Himmel sichtbar sein. Das würde allerdings bedeuten, dass ihr Licht für die ultraempfindliche Sensorik der Teleskope von professionellen Astronominnen und Astronomen viel zu intensiv wäre.
Einige der Instrumente, die Bouchet für seine Beobachtungen von SN 1987A benutzen konnte, gibt es heute nicht mehr. »Wenn jetzt Eta Carinae oder Beteigeuze explodieren würden, wären wir nicht in der Lage, diese Sterne so zu beobachten, wie wir das mit SN 1987A getan haben«, sagt Bouchet. Eta Carinae und Beteigeuze sind zwei helle Sterne innerhalb unserer Milchstraße, von denen bekannt ist, dass sie bald als Supernovae explodieren werden. Das könnte noch ein paar Millionen Jahre dauern. Es könnte aber auch morgen so weit sein.
Deshalb werden im Fall einer Supernova die Fachleute alles daransetzen, ihre Ausrüstung schleunigst anzupassen. Gerade dann könnte aber auch die Stunde der Amateurastronominnen und -astronomen schlagen: Sie besitzen kleinere Teleskope und wissen oft sehr gut damit umzugehen.
Für die Wissenschaft wäre so ein Ereignis jedenfalls enorm ertragreich. Denn Supernova-Explosionen wurden selten aus nächster Nähe beobachtet – genauer gesagt kennen wir in modernen Zeiten eben nur SN 1987A. Aber sie sind unerlässlich beim Versuch zu verstehen, wie sich die chemischen Elemente, die durch Kernfusion im Inneren von Sternen entstehen, in ihrer galaktischen Umgebung verteilen. Darüber hinaus werden bei der Supernova-Explosion selbst erst einige Elemente produziert, die sonst nicht vorkommen würden.
Die Neutrinos, auf die Nakahata und seine Kolleginnen und Kollegen so sehnsüchtig warten, sollen einzigartige Einblicke in die Vorgänge eines explodierenden Sterns ermöglichen. Sie könnten zu wichtigen Entdeckungen über die grundlegenden Kräfte und Teilchen führen.
SN 1987A war die letzte Supernova, die mit bloßem Auge sichtbar war
In den ersten Stunden des 24. Februar 1987 hat Ian Shelton, Angestellter an einem kanadischen Teleskop in Las Campanas in Chile, Aufnahmen der Großen Magellanschen Wolke angefertigt. Diese Satellitengalaxie der Milchstraße ist am südlichen Himmel zu sehen. Darauf entdeckte er einen neuen, leuchtenden Punkt.
Shelton erkannte sofort, dass hier etwas Bedeutsames vor sich gehen könnte. Er ging raus und sah selbst nach. Und tatsächlich bemerkte er am Nachthimmel einen hellen Stern, der vorher nicht dagewesen war. Seit 1604 war dies das erste Mal, dass wieder eine Supernova am Himmel mit bloßem Auge sichtbar war.
Supernovae gehören zu den energiereichsten Ereignissen, die in unserem Kosmos passieren können. Sie leuchten wochen- oder sogar monatelang hell auf, und in seltenen Fällen strahlen sie dabei mehr Licht ab als eine ganze Galaxie. Supernova ist nicht gleich Supernova. Es gibt mehrere Arten der Explosionen, wobei die häufigste Art am Ende der Entwicklung eines sehr massereichen Sterns auftritt – eines Sterns, der es auf 8 bis 140 Sonnenmassen bringt.
Wie eine Kernkollaps-Supernova für ein galaktisches Feuerwerk sorgt
Wenn dem Stern der Brennstoff für die Kernfusion ausgeht, bleibt in seinem Mittelpunkt ein zu weiteren Verschmelzungen unfähiges Plasma aus Nickel und Eisen zurück. Die äußeren Schichten des Sterns stürzen gen Zentrum. Der Kern beginnt zu kollabieren. Innerhalb von Millisekunden wird hier ein Großteil der Materie so zusammengequetscht, dass sich Protonen und Elektronen zu Neutronen verbinden.
Damit steigt die Dichte des Kerns schlagartig um mehrere Größenordnungen, denn Neutronen beanspruchen viel weniger Platz als Plasma. Die Neutronen bilden einen noch kompakteren Ball – so kompakt, wie es die Gesetze der Physik eben noch zulassen. Alec Habig bezeichnet das daraus hervorgehende Gebilde als Proto-Neutronenstern.
Jedes Mal, wenn ein Neutron entsteht, wird ein Neutrino freigesetzt. Deshalb geht der Kernkollaps anfangs mit einem intensiven Schauer von Neutrinos einher. Tatsächlich aber hat die Kernkollaps-Katastrophe gerade erst begonnen. »Jetzt regnet der restliche Stern auf den Proto-Neutronenstern regelrecht herab«, schildert Habig. Die Materie stürzt also mehrere tausend Kilometer gen Zentrum. Nach dieser dramatischen Beschleunigungsphase trifft sie auf die harte Oberfläche des Kerns aus Neutronen und prallt in Form einer Stoßwelle zurück. Die Materie wird so heftig nach außen geschleudert, dass sie den Rest des Sterns völlig auseinanderreißt. Das einsame Überbleibsel ist der Neutronenstern, der es auf rund die doppelte Sonnenmasse bringt.
Während des Kollapses prallen ständig Elementarteilchen aufeinander, ähnlich wie in einem Teilchenbeschleuniger auf der Erde. Wegen der enormen Energien entstehen alle möglichen neuen Teilchen. »Da ist es so heiß und so dicht, dass praktisch alles passiert«, sagt Kate Scholberg, Astrophysikerin an der Duke University in Durham, North Carolina.
Weil alles auf so engem Raum stattfindet, können sich die allermeisten der Teilchen nicht ausweichen und dem Inferno vorerst nicht entkommen – mit einer Ausnahme. Erzeugt eine Teilchenkollision ein Neutrino, stehen die Chancen gut, dass es sich seinen Weg hinaus ins All bahnt, ohne dabei aufgehalten zu werden. Das ist das Besondere an dieser Art Elementarteilchen: Neutrinos wechselwirken kaum mit jedweder Materie. Infolgedessen entkommen über einen Zeitraum von rund zehn Sekunden zahlreiche Neutrinos. Dabei ist »zahlreich« noch stark untertrieben: Schätzungen zufolge hat die Supernova SN 1987A rund 10^58 dieser Teilchen freigesetzt.
Auf solchen Zeitskalen strahlt die Supernova tatsächlich den größten Teil ihrer Energie in Form von Neutrinos ab. Die Stoßwelle braucht viele Stunden, um die äußeren Schichten des Sterns zu durchdringen. Erst dann wird die Supernova als solche sichtbar. Die Neutrinos hingegen entfliehen der Supernova sofort und fast mit Lichtgeschwindigkeit. Über 99 Prozent der Energie einer derartigen Kernkollaps-Supernova wird nicht in Form von Licht freigesetzt, sondern als Neutrinos. Deswegen eignen sich Neutrinos als unmittelbare Zeugen des Kernkollapses so wunderbar als eine Art Frühwarnsystem für Supernovae.
Während im Zentrum des Geschehens ein Neutronenstern zurückbleibt, verteilt sich der größte Teil der Materie im interstellaren Raum. Über die nachfolgenden Äonen wird sie die Entstehung neuer Sterne und ihrer Planeten auslösen. Unser eigenes Sonnensystem könnte vor etwa fünf Milliarden Jahren so entstanden sein.
Für die nächste galaktische Supernova sind wir überfällig – oder?
Schätzungen von 2021 zufolge sollte es in unserer Milchstraße durchschnittlich ein bis zwei Kernkollaps-Supernovae pro Jahrhundert geben. Angesichts der Tatsachen, dass SN 1987A in einer Satellitengalaxie explodierte und die letzte Supernova in unserer Milchstraße 1604 beobachtet wurde, sollte man meinen: Eigentlich müsste es bald mal wieder so weit sein. Aller Statistik zum Trotz wurden in der Geschichte der Menschheit nur fünf Supernovae mit bloßem Auge beobachtet und für die Nachwelt schriftlich festgehalten. Von diesen fünf waren lediglich zwei Explosionen auf Kernkollaps-Supernovae zurückzuführen.
Für die Diskrepanz zwischen Statistik und Beobachtung gibt es verschiedene Gründe. Wenn sich genug Materie in einem kollabierenden Kern ansammelt, kann dieser beispielsweise zu einem Schwarzen Loch werden, und damit ist die Lightshow abgesagt. Aber selbst, wenn es in den meisten Fällen zu einer echten Explosion kommt, müssen wir davon immer noch nicht zwangsläufig etwas mitbekommen. Massereiche Sterne liegen nämlich vorzugsweise in der Ebene der Milchstraße, und dort befindet sich interstellarer Staub, der ihr Licht verschluckt.
Nun ist es Neutrinos glücklicherweise egal, ob sie auf ihrem Weg das staubige galaktische Zentrum passieren – mit Staub wechselwirken sie ebenso wenig wie mit anderen Teilchen. Neutrinodetektoren auf der Erde würden deswegen auf jeden Fall derartige Neutrinos registrieren. So könnten wir von kollabierenden Sternen erfahren, die auf andere Art und Weise nicht entdeckt worden wären.
Neutrinos als Warnsystem für Supernovae
1987 war Kamiokande-II einer der größten Neutrinodetektoren der Welt. Mit 3000 Tonnen Wasser fing er insgesamt elf Neutrinos der Supernova SN 1987A ein. Auch Experimente in Ohio und in Russland erbeuteten einige Neutrinos. Sollte heute ein ähnliches Ereignis auftreten, könnte der 1996 gestartete Neutrinodetektor Super-Kamiokande mit seinen 50 000 Tonnen Wasser wohl rund 300 Neutrinos entdecken. Diese Zahl wäre womöglich noch viel höher, wenn es tatsächlich zu einer Supernova innerhalb unserer eigenen Galaxie statt in der Großen Magellanschen Wolke kommt.
Ab 2018 erhielt Super-K, wie das Observatorium genannt wird, ein Upgrade, das seine Fähigkeiten in Bezug auf die Untersuchung von Supernovae erheblich verbessert hat. Beispielsweise fügte die Super-K-Kollaboration, an der japanische und US-amerikanische Physikerinnen und Physiker beteiligt sind, dem Wasser im Detektor die seltene Erde Gadolinium hinzu. Dadurch kann der Detektor zwischen zwei verschiedenen Arten von Supernova-Neutrinos unterscheiden. Ein Typ erzeugt Lichtblitze im Detektor, die sich in eine zufällige Richtung ausbreiten. Aber die Blitze vom anderen Typ von Neutrino weisen in die Richtung, aus der das Neutrino ursprünglich gekommen ist.
Da Super-K in Echtzeit zwischen beiden Arten von Neutrinos unterscheidet, kann die Software sehr schnell berechnen, wo ungefähr am Himmel die Supernova explodiert sein müsste. So könnten Astronominnen und Astronomen ihre Teleskope am Himmel mit einer Genauigkeit von rund drei Grad auf das Ziel ausrichten. »Deshalb ist Super-K der weltweit beste Detektor, um die Richtung einer Supernova zu bestimmen«, sagt Nakahata.
Das Supernova-Warnsystem namens SNWatch ist so programmiert, dass es hochrangige Kollaborationsmitglieder über eine mögliche Sichtung informiert. Gleichzeitig ertönt in der unterirdischen Halle und im Kontrollraum des Detektors ein Alarm. Sara Sussman, inzwischen Physikerin an der Princeton University, arbeitete 2017 während ihres Studiums am Super-K. Sie erlebte persönlich einen derartigen Alarm. Er ging bei ihrer ersten Schicht im Super-K-Kontrollraum los – und Sussman wusste nicht, dass es sich dabei um eine Übung handelte. »Diesen Moment werde ich mein Leben lang nicht vergessen«, erinnert sie sich.
Ursprünglich sah das Prozedere vor, im Falle einer potenziellen Supernova eine Notfallsitzung abzuhalten, bei der ein hochrangiges Team entscheiden sollte, ob das Signal echt war und ob eine Meldung an den Rest der Welt gemacht werden sollte. Seit Dezember 2021 sind menschliche Eingriffe und Entscheidungen nicht mehr nötig. Im Fall eines Neutrinoschauers veröffentlicht SNWatch innerhalb von fünf Minuten eine automatische Warnung inklusive Himmelskoordinaten, sagt Nakahata. Und er fügt hinzu, dass künftige Verbesserungen diesen Zeitraum auf eine Minute reduzieren sollen.
Im Ernstfall würde also jetzt alles anders laufen als 1987. Auf dem chilenischen Berg, auf dem Ian Shelton die Supernova mit bloßem Auge gesehen hatte, gab es noch nicht einmal eine Telefonleitung, lediglich Funk – und selbst der funktionierte nur selten. Um andere auf die gerade am Himmel aufgetauchte Supernova aufmerksam zu machen, musste Personal des Observatoriums zwei Stunden in die nächstgelegene Stadt fahren und von dort ein Telegramm losschicken.
Das Supernova-Frühwarnsystem SNEWS wartet seit 2005 auf eine kosmische Explosion
Neutrino-Frühwarnsysteme für Supernovae sind keine neue Erfindung: Seit fast zwei Jahrzehnten gibt es das Supernova Early Warning System SNEWS. SNEWS ist ein Netzwerk, an dem Super-K und mehrere andere Neutrino-Observatorien beteiligt sind, unter anderem IceCube in der Antarktis sowie KM3NeT im Mittelmeer. Große Neutrino-Anlagen, die derzeit in den Vereinigten Staaten und in China gebaut werden, sollen in den nächsten Jahren dazukommen. Und Japan baut an seinem Detektor Hyper-Kamiokande, der fünfmal größer sein wird als Super-K. »Dann erwarten wir bis zu 90 000 Neutrinos, wenn eine Supernova im Zentrum der Galaxie explodiert«, hofft Francesca Di Lodovico, Sprecherin am Hyper-Kamiokande-Detektor.
Die Idee hinter SNEWS ist es, die Signale verschiedener Detektoren zu kombinieren. Das würde das Vertrauen darauf erhöhen, eine Entdeckung gemacht zu haben – auch wenn ein einzelnes Signal als zu schwach erscheint. An jedem Detektor gibt es eine Software, die einen zentralen SNEWS-Server über ungewöhnliche Aktivitäten informiert. SNEWS sendet nur dann eine Warnung, wenn zwei Neutrino-Detektoren an zwei unterschiedlichen Positionen auf der Erde innerhalb von zehn Sekunden eine ungewöhnliche Aktivität feststellen. Sollte das beispielsweise in Japan und in Italien der Fall sein, wäre es laut Habig schon extrem unwahrscheinlich, dass beide auf zufälligen Signalen beruhen.
Scholberg und Habig haben in den 1990er Jahren mit der Arbeit an SNEWS begonnen. Einige Jahre zuvor hatte SN 1987A deutlich gemacht, wie wichtig es ist, Neutrino-Warnungen zu Supernovae schnell zu versenden. Zum damaligen Zeitpunkt gab es für Kamiokande-II kein System, das Neutrinos live verfolgte. Nakahata und Hirata waren beauftragt, nachträglich nach Neutrinos von der Supernova zu suchen. Dafür druckten sie die Rohdaten des Detektors von mehreren Tagen aus. Sie suchten Hunderte von Seiten ab, bis sie schließlich ihre elf Neutrinos fanden.
SNEWS ist seit 2005 aktiv. Doch seitdem hat es noch keine einzige Warnung verschickt. »Man muss die Hartnäckigkeit und die Ausdauer bewundern«, meint Robert Kirshner, Astronom an der Harvard University. »Sie wissen, dass sie richtigliegen. Sie wissen, dass ihre Arbeit wichtig ist. Aber sie werden dafür nicht gerade belohnt.«
Inzwischen steht SNEWS ein erstes großes Upgrade namens SNEWS 2.0 bevor. Damit sollen Meldungen auf Grundlage von vielleicht weniger zuverlässigen Beobachtungen möglicher Supernova-Neutrinos erzeugt werden. Früher waren Observatorien eher zurückhaltend, wenn es darum ging, Warnungen zu versenden, um jegliches Risiko von Fehlalarmen zu vermeiden. Aber die Forschungskultur hat sich geändert, und Forscherinnen und Forscher trauen sich, einander selbst bei nicht ganz so gut gesicherten Beobachtungen zu informieren. Nur für den Fall der Fälle.
»Die Einstellung hat sich da um 180 Grad gedreht«, resümiert Habig. Das mag teilweise mit den Entwicklungen in der Gravitationswellenastronomie zu tun haben. Sie liefert wöchentlich und manchmal täglich Signale, die viele Fachleute anschließend mit konventionellen Teleskopen verfolgen. So lässt sich dasselbe Ereignis anhand verschiedener astronomischer Phänomene und Erscheinungen untersuchen, sowohl der sichtbaren als auch der unsichtbaren. Das wird als Multi-Messenger-Astronomie bezeichnet.
Eine weitere Neuerung von SNEWS 2.0 besteht darin, dass die Aufzeichnungen mehrerer Observatorien ein und desselben Neutrinoschauers genutzt werden können, um die genauen Zeitpunkte der Ankunft der Teilchen miteinander zu vergleichen. Mit den Informationen lässt sich auf die Position der Quelle am Himmel schließen. Eine derartige Ortung wäre zwar ungenauer als die des Neutrinodetektors Super-K, aber dafür könnte die Triangulation Habig zufolge schneller sein.
Sind wir auf die Supernova vorbereitet?
Als Shelton in Chile die Supernova SN 1987A enteckte, war Patrice Bouchet zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Er arbeitete nämlich an der Europäischen Südsternwarte in La Silla, wo er ein spezielles Gerät benutzte, das auch tagsüber Infrarotmessungen von Sternen durchführen konnte. Somit konnte Bouchet die Helligkeit der Supernova selbst dann noch messen, als das Tageslicht des Himmels das Sternenlicht überstrahlte. Allerdings ist das damals von Bouchet verwendete Teleskop inzwischen außer Betrieb. Und kein modernes Observatorium verfügt derzeit über die passende Ausrüstung, um tagsüber derartige Infrarotmessungen durchzuführen.
Laut Bouchet sei es sogar noch schlimmer, dass die meisten großen Observatorien ihre kleineren Teleskope für sichtbares Licht inzwischen eingemottet haben. Sie konzentrieren sich auf die größten und empfindlichsten Instrumente. Gerade diese sind aber für die Beobachtungen eines hellen Ereignisses nutzlos.
Danny Steeghs, Astronom an der University of Warwick, ist da optimistischer. Er spricht von einer Renaissance der »kleinen Astronomie«, teilweise angetrieben von der Multi-Messenger-Astronomie. »Inzwischen haben wir eine neue Generation maßgeschneiderter, kleinerer Teleskope«, sagt Steeghs. »Wenn eine Supernova auftaucht, verpassen wir vielleicht die allererste Phase. Aber sicher werden alle kreativ reagieren.« Steeghs betreibt mit dem Gravitational Wave Optical Transient Observer ein System, das rasch große Teile des Himmels abdecken kann, um mögliches Licht im Zusammenhang mit Gravitationswellen aufzuspüren.
»Selbst im Falle eines wirklich hellen Sterns sind Astronominnen und Astronomen schlau und werden einen Weg finden«, glaubt Andy Howell, leitender Wissenschaftler am Las Cumbres Observatory. Las Cumbres ist eine Organisation mit Sitz in der Nähe des kalifornischen Santa Barbara. Sie betreibt ein Netzwerk von vollautomatischen Robotikteleskopen, die zusammen den gesamten Himmel abdecken. »Wir könnten eine Supernova rund um die Uhr beobachten, weil bei irgendeinem von unseren Teleskopen immer Nacht ist.«
Mit einigen Tricks ließen sich außergewöhnlich leuchtkräftige Objekte wie eine Supernova beobachten. Fachleute könnten ihre Aufnahmen besonders kurz belichten. Sie könnten ihre Teleskopspiegel teilweise abdunkeln, damit sie weniger Licht reflektieren. Aber eine entscheidende Beobachtung wird schwierig durchzuführen sein: die Messung der Helligkeit der Supernova sowie ihre Entwicklung im Lauf der Zeit. Denn die Helligkeit eines Sterns wird normalerweise dadurch erfasst, indem sie mit derjenigen eines anderen, bekannten Objekts im selben Sichtfeld verglichen wird. Eine derartige Kalibrierung ist jedoch schwer zu bewerkstelligen, wenn das Objekt – in diesem Fall die Supernova – alles so überstrahlt, dass kein anderer Stern in derselben Aufnahme mehr zu sehen ist.
Vielleicht könnten Hobbyastronominnen und -astronomen zur Rettung kommen, hofft Bouchet. Die American Association of Variable Star Observers (AAVSO) mit Sitz in Cambridge, Massachusetts, wird bei der Koordinierung von Amateuren einspringen. Von diesen würden viele bereitwillig mitmachen. »Sie wären voll dabei – manche von ihnen innerhalb von Minuten«, so Elizabeth Waagen, eine Astronomin, die seit 40 Jahren zum Team der AAVSO gehört und die hilft, Beobachtungskampagnen zu organisieren.
»Wir sind überall«, pflichtet Arto Oksanen bei. Oksanen ist ein IT-Experte aus Jyväskylä in Finnland. In der Welt der Amateuerastronomie ist er eine Berühmtheit. »Zu jeder Zeit gibt es jemanden, der bei klarem Himmel beobachten kann.« Oskanen ist Vorsitzender eines Vereins, der etwa 300 Kilometer nördlich von Helsinki ein eigenes ferngesteuertes Observatorium mit einem 40-Zentimeter-Spiegelteleskop und einer automatischen Kuppel gebaut hat und betreibt.
Um eine sehr helle Supernova zu beobachten, reichen sogar kleinere Teleskope aus. Oksanen berichtet, wenn das Objekt sehr hell und am finnischen Himmel sichtbar sei, würde er zunächst Bilder davon mit seiner digitalen Nikon-Spiegelreflexkamera machen. Selbst eine so rudimentäre Methode würde unschätzbare Informationen darüber aufzeichnen, wie sich die Helligkeit der Explosion ändert.
Allerdings mahnt Tom Calderwood, ein Amateurastronom in Bend, Oregon, dass sich nur wenige ernsthafte Hobbyastronominnen und -astronomen Gedanken über derartige Notfallpläne gemacht haben, um sich auf eine mögliche Supernova vorzubereiten: »Es wäre lohnenswert für die Amateur-Community, sich hinzusetzen und sich zu überlegen, was sie tun würde.«
Was wird uns die nächste Supernova bringen?
Die Supernova von 1987 veränderte schlagartig viele Leben. Shelton beschloss, auf dem Gebiet der Astronomie zu promovieren. Bouchet verbrachte einen Großteil des darauf folgenden Jahres auf dem chilenischen Berg und untersucht seitdem die Supernova und ihren Überrest. Das Gleiche gilt für Kirshner, der an der Suche nach dem übrig gebliebenen Neutronenstern von SN 1987A beteiligt war. Diese Untersuchung könnte bald mit dem im Dezember 2021 gestarteten James-Webb-Weltraumteleskop weitergehen. Das JWST könnte in der Lage sein, Infrarotstrahlung aufzuspüren, die sich ihren Weg durch die Staubschichten um die die ehemalige Supernova herum gebahnt hat.
Der damalige Vorgesetzte von Nakahata, der 2020 verstorbene Masatoshi Koshiba, erhielt im Jahr 2002 den Nobelpreis für Physik für seine Arbeit mit Kamiokande-II und zu einem großen Teil für die Entdeckung der elf Supernova-Neutrinos.
Elizabeth Waagen zufolge können viele junge Menschen den Zeitpunkt, an dem sie sich für die Astronomie oder die Wissenschaft im Allgemeinen zu interessieren begonnen haben, bis zu einem ganz bestimmten Tag zurückverfolgen. Es sei ein Tag, an dem »ein spektakuläres Ereignis ihre Fantasie beflügelte und den Lauf ihres Lebens veränderte«. Auch die nächste Supernova würde viele Leben verändern. »Es wird sie auf ganz neue Art und Weise mit dem Himmel verbinden.« Ed Kearns, Teilchenphysiker an der Boston University, pflichtet dem bei: »Das wird eine wilde Sache.« Seit 1987 wurden keine Supernova-Neutrinos entdeckt, aber es könnte jederzeit passieren. »Jedes Jahr ist ein neues Jahr, jeder Tag ist ein neuer Tag für die Chance auf eine Explosion.«
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