Sympathie: Wer mag wen?
Auf dem Bildschirm ist das Gesicht eines Mannes zu sehen. Er blickt direkt in die Kamera; sein Schädel vor dem schwarzen Hintergrund ist kahl. Ein Mausklick, und seine Züge beginnen sich zu wandeln: Sein Kopf wird schmaler, seine Haut bräunlicher, seine Augen werden größer. Sein Doppelkinn-Ansatz beginnt zu schwinden; seine Mundwinkel heben sich. Nach viereinhalb Sekunden ist die Metamorphose komplett. Das Antlitz, das dem Betrachter nun vom Display entgegenlächelt, ist überaus sympathisch: ein netter Kerl, mit dem man gerne mal ein Bier trinken gehen würde.
Doch jetzt verändert sich das Gesicht abermals; zunächst zurück zum Ausgangsbild, dann darüber hinaus: Der Schädel geht in die Breite, das Doppelkinn wächst, die kleinen Augen mit den immer verwaschener wirkenden Pupillen rücken näher aneinander. Sukzessive entsteht so die Visage einer Person, die wohl die wenigsten auf Anhieb mögen würden.
Manche Menschen sind uns direkt sympathisch; mit anderen wollen wir dagegen nicht mehr zu tun haben als unbedingt nötig. Glaubt man den Erkenntnissen des Psychologen Alexander Todorov, liegt einer der Schlüssel dazu in ihrem Aussehen. Todorov leitet das Social Perception Lab an der Princeton University; dort ist auch die oben geschilderte Verwandlung zu sehen. Die Arbeitsgruppe erforscht seit zwei Jahrzehnten, wie wir die Gesichter unserer Mitmenschen wahrnehmen und welche Wirkung sie auf uns haben. Ihre Erkenntnisse sind unter anderem in ein Computermodell eingeflossen, das mit einem Mausklick realistisch wirkende Porträts erzeugt.
Den eigentlichen Clou der Software demonstrieren neun kurze Videos auf der Labor-Website: Sie kann das Aussehen virtueller Personen gezielt verändern. Und damit auch die Art und Weise, wie ein durchschnittlicher Betrachter die Abgebildeten einschätzt – zum Beispiel als intro- oder extravertiert, als vertrauenswürdig oder unehrlich, als kompetent oder unfähig. Auch Sympathie ist demnach zunächst einmal eine Frage von Äußerlichkeiten. Das ist nicht unbedingt überraschend. Im Lauf der Evolution hat es sich als vorteilhaft erwiesen, sich schnell ein Bild von anderen Menschen zu machen: Ist der Fremde eine Bedrohung? Kann ich ihm vertrauen?
Die Physiognomie als Signalgeber
Kleidung, Körpersprache, Mimik – das sind die Informationen, anhand derer wir uns schon aus der Ferne eine erste Meinung bilden können. Zumindest bei Gesichtern geht das ziemlich schnell, wie Todorov mit seiner Mitarbeiterin Janine Willis 2006 in einem Experiment demonstrierte. Es genügte Studierenden schon, wenn sie Porträtfotos eine Zehntelsekunden lang vor sich sahen, um die abgebildeten Personen sympathisch oder unsympathisch zu finden. Für den ersten Eindruck benötigten sie also gerade einmal einen Wimpernschlag.
Probanden, die sich dieselben Bilder stattdessen eine Sekunde lang ansehen durften, gelangten zu einer ganz ähnlichen Einschätzung. Mehr Zeit zu haben, führte demnach nicht zu einem systematisch anderen Urteil. Überdies zeigte sich, dass die meisten Menschen dieselben Gesichter mögen. Vermutlich haben sich die Vorlieben während der Evolution tief in den Genen verankert. Eine davon betrifft die Breite eines Gesichts: Je schmaler, desto angenehmer erscheint eine Person. Studien deuten darauf hin, dass Menschen mit einem (relativ zu seiner Höhe) breiten Schädel im Schnitt tatsächlich aggressiver und dominanter sind. Woran das liegt, ist umstritten.
Der Zusammenhang wurde verschiedentlich bestätigt, unter anderem in einer Metaanalyse, die 19 Studien auswertete. Die Autoren halten es für plausibel, dass ein Quadratschädel als Warnsignal dient: Achtung, mit dieser Person ist nicht zu spaßen. Evolutionsbiologen sprechen auch von einem »unfälschbaren Signal«, da es sich nicht einfach ändern lässt, um harmloser zu wirken. Das könnte auch erklären, warum wir Menschen mit einem schmalen Gesicht in der Regel sympathischer finden – einfach deshalb, weil wir sie als weniger bedrohlich einschätzen.
In diese Richtung deutet etwa eine Untersuchung, die die kanadische Psychologin Frances Chen vor einigen Jahren zusammen mit Kollegen der Universitäten in Köln und Freiburg durchgeführt hat. Sie hatten Studierenden Bilder eines jungen Mannes gezeigt, dem sie zuvor am Computer entweder einen schmächtigen oder einen muskulösen Oberkörper verpasst hatten. Die Teilnehmer bewerteten den Muskelprotz als deutlich unsympathischer. Wir mögen Menschen weniger, wenn sie uns gefährlich werden könnten.
Freunde ticken ähnlich
Eine wichtige Rolle spielt aber auch, wie sehr eine Person uns gleicht. Wer ähnliche Hobbys hat, dieselbe Musik hört und über die gleichen Dinge lachen kann, den finden wir tendenziell nett. »Soziale Homophilie« nennen das Wissenschaftler. Je mehr solcher Gemeinsamkeiten es gibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass aus Sympathie eines Tages Freundschaft wird, hat der Oxforder Psychologe Robin Dunbar herausgefunden.
Freunde ticken ähnlich – eine Tatsache, die sogar im Hirnscanner sichtbar wird, wie die Sozialpsychologin Carolyn Parkinson von der University of California zeigte. Sie spielte Studierenden verschiedene Videoclips vor und zeichnete derweil die Hirnaktivität der Teilnehmer auf. Bei den Befreundeten unter ihnen glichen sich die neuronalen Muster sehr viel stärker als bei Studierenden, die einander kaum kannten.
»Mimikry ist eine spontane Verhaltensweise, durch die wir anderen ähnlicher werden«
Psychologin Maike Salazar Kämpf, Universität Leipzig
Für erste Sympathiepunkte reichen sogar schon oberflächliche Übereinstimmungen aus. Das belegen Forschungen zu einem Phänomen aus der Biologie: der Mimikry. Der Begriff bezeichnet Formen der Nachahmung, die für den Imitator vorteilhaft sein können. So haben sich Schwebfliegen im Lauf der Evolution ein schwarz-gelbes Streifenmuster zugelegt. Sie lassen sich daher leicht mit einer stachelbewehrten Wespe verwechseln und verschrecken dadurch ihre Fressfeinde.
Der Chamäleon-Effekt
Psychologen verstehen unter Mimikry die Tendenz von Menschen, einander im Gespräch nachzuahmen, vor allem in der Sprechweise, Mimik und Gestik – meist automatisch und ohne dass es ihnen bewusst wird. »Mimikry ist eine spontane Verhaltensweise, durch die wir anderen ähnlicher werden«, erklärt Maike Salazar Kämpf von der Universität Leipzig. »Vielleicht fühlt sich unser Gegenüber dadurch mit uns verbundener.« Die US-Psychologin Tanya Chartrand und ihr Kollege John Bargh haben dafür den Begriff »Chamäleon-Effekt« geprägt. In einem Experiment konnten sie zeigen, dass Mimikry Sympathie fördert. Anders gesagt: Wer nachgeahmt wird, mag sein »Chamäleon« danach mehr.
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Augenscheinlich gleichen sich soziale Chamäleons vor allem Menschen an, die sie sympathisch finden. Diese finden ihre Nachahmer im Gegenzug netter und imitieren sie vermutlich dann ebenfalls stärker. In diese Richtung weist zumindest eine Studie, die Salazar Kämpf 2018 zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Leipzig durchgeführt hat. Mimikry wirkt also in einer Art Kreislauf und stärkt so die gegenseitige Sympathie der Gesprächspartner. Die Autoren sprechen auch von einem sozialen Klebstoff. Derzeit untersucht die Psychologin, welche Rolle Mimikry in der Beziehung zwischen Psychotherapeuten und Patienten spielt.
»Die Angleichung signalisiert Gruppenzugehörigkeit«
Sprachwissenschaftler Jan Michalsky, Universität Oldenburg
Die Mimikry erstreckt sich sogar auf die Stimme, wie ein Projekt der Universität Oldenburg zeigte. Der Sprachwissenschaftler Jan Michalsky und seine Kollegin Heike Schoormann hatten Studentinnen und Studenten zum Speed-Dating gebeten. Die jeweils rund viertelstündigen Gespräche wurden auf Video aufgezeichnet. Zu Beginn und am Ende gaben die Teilnehmenden einander Sympathienoten. Je sympathischer sie sich fanden, desto stärker glichen sich ihre Stimmen mit der Zeit an. Das galt für die Stimmhöhe und für die Bandbreite der Stimmfrequenzen – vereinfacht gesagt: wie eintönig oder abwechslungsreich die beiden sprachen.
Der Entrainment-Effekt
»Wir nennen diesen Effekt Entrainment«, erklärt Michalsky. »Die Angleichung signalisiert Gruppenzugehörigkeit.« Denn grob gesagt gilt: Menschen, denen der Schnabel auf eine ähnliche Weise gewachsen ist, stammen oft aus demselben sozialen Milieu. Oder, wie Michalsky es ausdrückt: »Je geringer die soziale Distanz, desto geringer ist in der Regel auch die sprachliche Distanz.« Sympathie vergrößert die sprachliche Nähe und damit vermutlich auch das gegenseitige Vertrauen. Sehr wahrscheinlich sei das ein wechselseitiger Prozess, ist Michalsky überzeugt: »Wenn ich mich an meinen Gesprächspartner angleiche, weil ich ihn sympathisch finde, führt das im Gegenzug auch bei ihm zu mehr Sympathie.«
Weniger eindeutig ist die Studienlage zu der Frage, ob bestimmte Stimmen per se sympathischer wirken. Tiefe Männerstimmen etwa gelten als wärmer, angenehmer und kompetenter als hohe. Bei Frauen könnte es umgekehrt sein. »Leider ist jedoch die Forschungslage zu diesem Thema dünn«, bedauert Michalsky. »Und die Ergebnisse, die es gibt, sind oft widersprüchlich.« Welche Stimmen wir sympathisch finden, hänge vermutlich zu einem großen Teil von persönlichen Vorlieben ab, glaubt er. »Sympathie ist individuell – nicht jeder kann dieselben Menschen gleich gut leiden.«
»Wir können am Geruch erkennen, ob jemand krank ist«
Ilona Croy, Professorin für Klinische Psychologie an der TU Dresden
Bei einigen Gerüchen sind sich die meisten Menschen allerdings – unbewusst – einig. So macht Schweißgeruch laut einer US-Studie unsympathischer, erstaunlicherweise aber nur dann, wenn der Mief unter der Wahrnehmungsschwelle liegt. Sobald der unangenehme Geruch ins Bewusstsein dringt, verschwindet der Effekt. Vielleicht steuern wir in solchen Fällen willentlich gegen, um unser Urteil davon nicht beeinflussen zu lassen.
Der Geruch einer Person verrät aber nicht nur, dass sie gerade Sport gemacht hat und noch keine Zeit hatte zu duschen. »Wir können an ihm zum Beispiel erkennen, ob jemand krank ist«, erklärt Ilona Croy, die an der TU Dresden unter anderem den Einfluss des Geruchssinns auf Wohlbefinden und Verhalten erforscht. »Wenn im Körper einer Person entzündliche Prozesse ablaufen, empfinden wir ihren Geruch als unangenehmer.« Ähnlich bei Mundgeruch – auch der könne ein Signal für bestimmte Erkrankungen sein. Was das für die Sympathie bedeutet, kann Croy nicht sagen. Anders als zum Zusammenhang zwischen Gerüchen und Attraktivität gebe es zu dieser Frage noch zu wenig Forschung. Einiges spreche jedoch dafür, dass wir Menschen, die krank riechen, eher meiden – etwa das so genannte behaviorale Immunsystem. »Das ist ein Repertoire von Verhaltensweisen, die uns dazu bringen, uns vor möglichen Infektionen zu schützen«, erläutert Croy.
Womöglich nimmt es so unbemerkt Einfluss auf unsere Vorlieben und Abneigungen. Die US-Forscher Nicholas Christakis und James Fowler beobachteten etwa, dass Freunde einander in bestimmten Genen, die das Immunsystem steuern, weniger ähneln als zufällig ausgewählte Fremde. Eventuell umgeben wir uns also bevorzugt mit Menschen, deren Immunsystem auf andere Krankheiten spezialisiert ist als unser eigenes. Auch das könnte einen besseren Schutz vor Infektionen bedeuten. Forscher gehen davon aus, dass wir riechen können, wie ähnlich oder unähnlich Mitmenschen uns in immunologischer Hinsicht sind. So könnte die Nase bei der Wahl des sozialen Umfelds tatsächlich eine wichtige Rolle spielen.
Nähe verschafft Sympathiepunkte
Nicht zuletzt kann der Zufall einen Beitrag zur Sympathie leisten. Schon vor fast 50 Jahren beobachteten Psychologen der University of California in einer Neubausiedlung, dass sich deren Bewohner eher anfreundeten, wenn sie näher beieinander wohnten. Je häufiger sich Bewohner über den Weg liefen, desto netter fanden sie einander. Das Phänomen kennt man unter Fachleuten als »Mere-exposure-Effekt«, den Effekt des bloßen Kontakts.
Bei den ersten Treffen lassen wir uns offenbar unbewusst durch manches beeinflussen, was eigentlich nicht so wichtig sein sollte. Doch je länger eine Bekanntschaft dauert, desto mehr kommen andere Dinge zum Tragen, wie echtes Interesse und Verlässlichkeit. Wenn wir uns dazu entscheiden, jemanden näher kennen zu lernen, wird der erste Eindruck immer weniger wichtig. Die Typen, die wir anfangs so gut leiden konnten, erweisen sich mit der Zeit womöglich als gar nicht so sympathisch – und ein Kerl mit breitem Schädel könnte zum besten Freund werden.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.