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Syphilis: Kolumbus brachte die tödliche Seuche wohl nach Europa

Am Ende des 15. Jahrhunderts wütete plötzlich eine unbekannte, meist tödlich verlaufende Seuche in Europa. Eine neue Genanalyse soll nun eine alte Streitfrage klären: Kam die Syphilis aus Amerika?
Christoph Kolumbus, Gemälde von ebastiano del Piombo, ca. 1519.
Christoph Kolumbus und seine Nachfolger haben viele Krankheitserreger über den Globus verteilt. Doch brachten sie auch die Syphilis nach Europa?

Während des Italienfeldzugs des französischen Königs Karl VIII. brach plötzlich eine schreckliche Seuche in der Armee aus. Die Krankheit bedeckte die Körper ihrer Opfer mit offenen Pusteln, verursachte schwere neurologische Störungen und tötete die Infizierten oft binnen einiger Wochen. All das geschah im Jahr 1495 – nur drei Jahre nach der ersten Reise von Christoph Kolumbus in die Karibik. Brachte der Abenteurer das Bakterium Treponema pallidum pallidum, Auslöser der später Syphilis genannten Horrorseuche, aus der Neuen Welt nach Europa? Oder entwickelte sich ein einheimischer, vormals harmloser Erreger unter den gegebenen Umständen zu einem gefährlichen Killer?

Darüber streiten Fachleute seit Jahrzehnten, denn für beide Hypothesen gibt es gute Argumente. Nun legt ein Team um Rodrigo Barquera vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig eine neue Analyse vor, die auf Kolumbus als Seuchentaxi hindeutet. Wie das Team in der Fachzeitschrift »Nature« berichtet, deuten Genomanalysen darauf hin, dass der Erreger sich auf dem amerikanischen Kontinent entwickelte. In Europa wurde er dann zur epidemischen, durch Geschlechtsverkehr übertragenen Krankheit

Das Team extrahierte Treponema-Erbgut aus den Knochen von fünf Individuen aus Nord- und Südamerika. Vier von ihnen lebten in der Zeit vom 11. bis 15. Jahrhundert, also vor dem Kontakt, die fünfte Person lebte etwa zur Zeit des Kontakts oder etwas danach Demnach waren die verschiedenen krankmachenden Treponemen der Neuen Welt – einschließlich des Syphilis-Erregers – Schwesterarten. Sie stammen alle von einem gemeinsamen Vorfahren ab, der in den vergangenen 9000 Jahren lebte. Die naheliegendste Interpretation des Befunds ist, dass diese Krankheiten auch in dieser Region entstanden.

Eigentlich sollte sich die Frage nach der Herkunft der Syphilis recht einfach klären lassen. Treponema pallidum pallidum verursacht typische Schäden an den Knochen eines Erkrankten, die noch nach Jahrtausenden am Skelett sichtbar sind. In Europa reichen derartige anatomische Indizien in eine Zeit 2000 Jahre vor Kolumbus zurück. Das deutet auf einen europäischen Ursprung der Syphilis hin. Unglücklicherweise hat die Bakteriengattung Treponema eine ganze Sippschaft von unangenehmen und entstellenden Krankheitserregern hervorgebracht. Das macht die Sache kompliziert. Neben der Syphilis verursachen verwandte Arten die Krankheiten Frambösie, Bejel und Pinta.

Frühe Syphilis-Indizien könnten deswegen auch von anderen Treponema-Arten stammen. Zumal die Epidemie von 1495 ausdrücklich eine unbekannte Krankheit war – oder war es doch nur eine neue, tödliche Variante eines alten Erregers? Schließlich hat sich die Syphilis nach ihrem womöglich ersten Auftritt in Europa schnell gewandelt: von einem gemeinen Killer zu einer schleichenden, fast chronischen Krankheit. Der neue genetische Stammbaum lässt solche Szenarien nun unwahrscheinlicher erscheinen – auch wenn die Fachleute ebenfalls davon ausgehen, dass sich Syphilis um 1500 dramatisch veränderte. Endgültig geklärt ist die Herkunft der Syphilis damit jedoch keineswegs. Fünf Genome sind zu wenig, um eine so komplexe Frage sicher zu beantworten. Zumal es auch einen genetischen Stammbaum gibt, der für einen europäischen Ursprung spricht.

  • Quellen
Barquera, R. et al.; Nature 2024, 10.1038/s41586–024–08515–5

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