Tasmaniens Waldkriege: Der Kampf um die uralten Baumriesen
Grün, tropfnass, still, riesig und alt: Wer einmal unter Tasmaniens uralten Eukalypten stand, vergisst diese Baumriesen nicht. Ihr Alter und ihre schiere Größe sind Respekt einflößend. Leider ist ihr Erhalt hart erkämpft. Jahrzehntelang haben die so genannten Waldkriege, die forest wars, weite Teile der Gesellschaft von Tasmanien gespalten, einem sonst eher friedlichen Inselbundesstaat im Süden des australischen Kontinents. Während einerseits die Forstwirtschaft das einkommensschwache Bundesland mit Jobs und die Industrie mit Holz und Zellstoff versorgt, sehen Naturschützer andererseits uralte Baumbestände nachhaltig gefährdet oder zerstört. Diese wachsen im kühlen Klima der gemäßigten tasmanischen Regenwälder nur langsam. Und mit ihnen gehen Lebensräume für seltene und bedrohte Arten verloren.
2013 sorgte das so genannte Tasmanian Forest Agreement für einen Waffenstillstand: Der Friedensdeal zwischen Forstwirtschaft, Gewerkschaften und Naturschutzinitiativen bewahrte mehr als 500 000 Hektar Wald vor den Motorsägen; einige Gebiete wurden damals sogar zu neuen Reservaten: das Styx Valley zum Beispiel, in dem die größten und höchsten Riesen-Eukalypten der Erde wachsen: Manche dieser eucalytpus regnans sind gut 500 Jahre alt, haben einen Umfang von über 20 Metern und wachsen mehr als 90 Meter hoch.
Viele andere Vereinbarungen des Deals wurden seither modifiziert oder ganz über Bord geworfen. 2014 kamen in Tasmanien die konservativen Liberals wieder an die Macht, kündigten den so genannten Waldfriedensvertrag auf und machten aus Sicht der Umweltschützer der Forstwirtschaft einige Geschenke. Unter anderem wurden knapp 400 000 Hektar Wald großteils im Nordwesten neu klassifiziert: Was zuvor »Künftiges Reservatsland« war, bekam den Namen »Future Potential Production Forest« (FPPF) – künftiger Produktionswald.
Per Geländewagen durch Relikte der Aborigines
Seit April 2020 darf die Holzindustrie also 356 000 Hektar zuvor geschützte Wälder roden. Während des Lockdowns in Australien galten für die Forstwirtschaft als »wesentlicher Dienstleister« Sonderregeln. Doch auch die Protestbewegung schlief nicht, schließlich gilt eine Wildnisregion im Nordwesten als akut gefährdet: die Takayna oder Tarkine, die mit 447 000 Hektar Australiens größtes zusammenhängendes Gebiet gemäßigten Regenwaldes darstellt und die nicht nur durch die Forstwirtschaft bedroht ist: Bergbauunternehmen sind scharf auf Zinn und andere Metalle. Geländewagenfahrer lieben die wilden Dünen und Strände der abgelegenen Region und brettern über ungeschützte Artefakte der Aboriginals.
Auf vielen Landkarten taucht Tarkine nicht einmal auf: Im Norden begrenzt der Arthur Fluss, im Süden der Pieman Fluss die Region, im Osten der Murchison Highway und im Westen der Ozean. Mehr als 30 000 Jahre lebte hier die Aboriginal-Gruppe der Takayna, an deren Kultur eine Vielzahl von Relikten erinnern.
Im Mai lockerte sich die Corona-Isolation, und die ersten Aktivisten stiegen unter Berücksichtigung der »social distancing«-Vorgaben auf Bulldozer und blockierten Rodungsgerät. Tasmaniens Regierung drohte, der Naturschutzbewegung das Demonstrationsrecht zu entziehen, weil es »nicht sicher« sei, auf Bäume zu klettern.
Die Antiprotestgesetzgebung der Insel ist berüchtigt: Der Oberste Gerichtshof setzte einige besonders scharfe Gesetze zuletzt 2017 zwar außer Kraft; doch nur zwei Jahre später wurden sie leicht variiert und erneut ins Parlament eingebracht. Mehrere Naturschutzorganisationen kämpfen gemeinsam mit Sponsoren wie Patagonia dafür, die gesamte Tarkine-Region als Weltnaturerbe schützen zu lassen.
Der Ursprung der Waldkriege
Das Vorbild: der Südwesten Tasmaniens, in dem dieser Schutzstatus seit Jahren Realität ist. 1,5 Millionen Hektar Wald, Flüsse und Gebirge werden dort als Weltnaturerbe geschützt: Zur Tasmanian Wilderness World Heritage Area gehören inzwischen der Cradle Mountain und der Lake St. Clair Nationalpark, die Hartz Mountains sowie die Mount Field, Wall of Jerusalem und South West Nationalparks. Wandern und bewundern ist hier erlaubt, Bäume fällen verboten. Seit 1983 gehört auch der Franklin und Gordon Wild Rivers Nationalpark dazu.
Hier zwischen den mächtigen Bäumen am Franklin tragen riesige Scheinulmen Mäntel aus Moos, zwischen olivfarbenen Flechten bahnt sich der Fluss einen Weg über Gestein und zerborstene Stämme. Herrlich unaufgeräumt ist das Grün des gemäßigten Regenwaldes. Es riecht nach Pilzen, graugrüne Flechten hängen wie Elfenhaare von schimmernden Ästen. Irgendwo ruft ein Gelbbauchsittich, sonst ist es völlig still.
Der Franklin River ist ein Symbol: Er steht für den größten Umweltprotest, den Australien je erlebt hat. Hier im Süden des Bundesstaats Tasmanien haben vor 35 Jahren die Naturschützer einen Sieg erzielt. Der Fluss gehört heute zu jenem Fünftel der Insel, das als Welterbe geschützt ist. Nach den massiven Protesten verhinderte dort schließlich das Oberste Gericht, dass Regenwald und mäandernde Flussläufe – wie der Gletschersee Lake Pedder weiter südlich – unter einem Stausee verschwanden. Im gleichen Jahr erklärte die Unesco die Flusslandschaften zum Welterbe.
»Den Franklin zu fluten, wäre wie die Mona Lisa zu zerkratzen«Bob Brown
Ein Schild am Ufer erzählt von dem Umweltprotest, der die Tasmanier über Jahre hinweg spaltete: in Befürworter von Wasserkraftwerk Nummer 24 und Gegner desselben, die mit jahrelangen Kampagnen und zuletzt Blockaden das Fluten der Flüsse verhinderten. Mehr als 6000 Menschen hatten damals im abgelegenen Küstenort Strahan gegen den Staudamm demonstriert. Protestmärsche auf dem Kontinent unterstützten die Kampagne. 1500 Protestierende wurden auf dem Fluss festgenommen.
Bob Brown, seit 1992 Chef der australischen Grünen, war damals Direktor der Wilderness Society und einer der Initiatoren des Protests. Er paddelte zwischen hunderten anderen in Schlauchbooten auf dem »besetzten« Fluss, wurde von Gegnern angegriffen und von Polizisten festgenommen. »Den Franklin zu fluten, wäre wie die Mona Lisa zu zerkratzen«, sagte Brown damals. 2012 zog sich Australiens berühmtester Grüner aus Parlament und Parteipolitik zurück. Er gründete die Bob Brown Foundation, mit der er seither nicht weniger entschlossen für Natur und Umwelt kämpft, vor allem in seiner Heimat Tasmanien.
Rodungen bedrohen Artenvielfalt
Welche Auswirkungen die Rodungen auf die Artenvielfalt haben, zeigt die Entwicklung bei bedrohten Vögeln in Tasmanien. Ein Sorgenkind der Bob Brown Foundation ist beispielsweise der Swift Parrot. Der leuchtend grüne Schwalbensittich mit rotgelbem Gesicht und türkisfarbenen Flügelfedern brütet nur in Tasmanien. Im Südhalbkugelwinter fliegt er zur Nahrungssuche über die Bass-Straße auf das australische Festland.
Der Swift Parrot hat eine eigene Twitterfangemeinde und wird erforscht und unterstützt von Vogelforschern an der Australian National University (ANU), der Difficult Bird Research Group. Er ist vom Aussterben bedroht, wie viele seiner Artgenossen: In ganz Australien wird das Überleben von mindestens zehn der 156 bedrohten Vogelarten als kritisch eingestuft.
Auch der Forty Spotted Pardalote gehört zu diesen bedrohten Vogelarten. Die getupften Panthervögel sind nicht größer als eine Streichholzschachtel und leben inzwischen nur noch auf einigen vorgelagerten Inseln vor Tasmanien wie Bruny Island. Ihr Überleben in Tasmanien ist – wie das der Orangenbauchsittiche und der Neuhollandeulen – durch Habitatverlust und Rodung in Gefahr.
First swift #parrot nestlings for the breeding season pic.twitter.com/qrU3qy2Vw3
— SWIFT PARROT (@teamswiftparrot) November 5, 2019
»In Tasmanien ist nur noch begrenztes Habitat für den Swift Parrot übrig. Zugleich hört die Abholzung seines kritisch gefährdeten Lebensraums nicht auf, obwohl es dringend notwendig ist, den dramatischen Rückgang der Art aufzuhalten«, sagt Jenny Weber, Sprecherin der Bob Brown Foundation. Sie kritisiert die Abholzung der südlichen Inselwälder. »Tasmaniens Forstbehörde hätte 2020 einen Plan verabschieden sollen, der alle einheimischen Wälder von der Abholzung ausschließt.« Bleibt zu hoffen, dass die Fangemeinde des schillernden Papageis Swift Parrot eines Tages genug Druck aufbauen kann, um dessen Lebensraum zu sichern.
Der Tasmanische Wald in Zahlen
Tasmanien hat eine Fläche von 6,81 Millionen Hektar – 68 100 Quadratkilometer – und ist damit etwas kleiner als Irland. Fast die Hälfte der Insel – 3,35 Millionen Hektar – ist bewaldet, davon sind 91 Prozent heimischer Wald, die übrigen neun Prozent Forstplantagen.
69 Prozent des heimischen Waldes ist Eukalyptuswald. Zu den Nichteukalyptuswäldern gehören Regenwälder und Wälder mit Mimosen, Myrthenheiden, Silber-Akazien, Kausarinen und Zypressenarten.
Wie kompliziert der tasmanische Wald ist, zeigt die Tatsache, dass sich in Australiens kleinstem Bundesland nicht weniger als vier Behörden um ihn kümmern, beziehungsweise darum, was mit den Hölzern der Wälder passiert. Gleich zwei von ihnen – Sustainable Timber Tasmania und Private Forests Tasmania – schreiben in ihren Selbstdarstellungen das Wort »nachhaltig« (sustainable) groß.
Ob sie das immer auch so meinen, ist umstritten. Zu ihren Aufgaben gehört die Regulierung der Holzwirtschaft auf staatlichem und privatem Land. Zudem reguliert und verwaltet die Forest Practices Authority Markt und Umwelt, und über allen dreien steht das Department of State Growth, das sich um die wirtschaftliche Entwicklung des Bundeslandes im Allgemeinen kümmert.
Knapp zwei Drittel (59 Prozent) der heimischen Wälder Tasmaniens, das sind 1,79 Millionen Hektar, stehen unter Schutz, dazu gehören 85 Prozent der alten Wälder. Im Wirtschaftsjahr 2018/19 wurden Bäume zu 5,813 Millionen Tonnen Holzfasern beziehungsweise Zellstoff verarbeitet. Etwa 78 Prozent davon kam aus Plantagen. Gut 3000 Menschen waren in dem Zeitraum direkt in der Holzindustrie beschäftigt.
Quelle der Zahlen: Department of State Growth
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