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Teilchenphysik: Erste Schritte für einen Teilchenbeschleuniger mit Myonen

Forschende haben erstmals Myonen – die schwereren, instabilen Cousins der Elektronen – kontrolliert beschleunigt. Das ist ein entscheidender Schritt für den Bau neuartiger Teilchenbeschleuniger.
Illustration eines Teilchens
Myonenbeschleuniger könnten kleiner und günstiger sein als herkömmliche Teilchenbeschleuniger – und dabei in höhere Energiebereiche vordringen.

Zum ersten Mal haben Forschende Myonen in einem kontrollierten Strahl beschleunigt. Damit haben sie die Vision eines Myonenbeschleunigers einen Schritt näher an die Realität gebracht.

Ein Team im Japan Proton Accelerator Research Complex (J-PARC) in Tokai beschoss einen Myonenstrahl mit einem Laser, um die fast lichtschnellen Teilchen stark abzubremsen. Dann legten die Fachleute ein elektrisches Feld an, um diese »gekühlten« Myonen auf etwa vier Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen. Die Ergebnisse haben sie im Oktober 2024 in einer noch nicht begutachteten Arbeit veröffentlicht.

Für den Bau eines Myonenbeschleunigers ist das ein wichtiger Fortschritt. Ein solcher Teilchenbeschleuniger könnte äußerst empfindliche Messungen durchführen und so den Weg für die Entdeckung neuer physikalischer Phänomene bereiten. Gleichzeitig könnten durch ein solches Projekt weniger Kosten anfallen als bei anderen Teilchenbeschleunigern, erklärt die Teilchenphysikerin Tova Holmes von der University of Tennessee in Knoxville.

Myonen sind kurzlebige Elementarteilchen, die Elektronen ähneln – aber etwa 200-mal so schwer sind. In den letzten zehn Jahren gab es immer stärkere Bestrebungen, einen kompakten Myonenbeschleuniger zu bauen, der die Energien von riesigen Protonen- und Elektronenbeschleunigern wie dem 27 Kilometer langen Large Hadron Collider am CERN erreichen oder gar übertreffen könnte. Ein 10-Kilometer-Myonenbeschleuniger würde Berechnungen zufolge Teilchen mit ähnlichen Energien erzeugen wie eine 90-Kilometer-Protonenmaschine. Grund dafür ist, dass Myonen im Gegensatz zu Protonen Elementarteilchen sind, wodurch ihre gesamte Energie in jede Kollision fließt. Protonenkollisionen hingegen finden zwischen den Quarks statt, aus denen sie bestehen.

Schwer zu fassende Teilchen

Myonen lassen sich jedoch sehr schwer beschleunigen, da sie nur etwa zwei Mikrosekunden lang existieren, bevor sie in ein Elektron und zwei Arten von Neutrinos zerfallen. Außerdem sausen sie in verschiedene Richtungen und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten umher, was es schwierig macht, sie in einem engen, hochintensiven Strahl zu bändigen. Obwohl Forschende schon früher Myonen beschleunigt haben, waren die Strahlen »stark divergent«, sagt der Teilchenphysiker und Koautor der Studie Shusei Kamioka von der High Energy Accelerator Research Organization im japanischen Tsukuba. Daher lassen sich die Strahlen nicht für empfindliche Messungen verwenden.

Kamioka und seine Kollegen überwanden dieses Hindernis: Sie schossen einen Strahl positiv geladener Antimyonen, die Antiteilchen von Myonen, auf Silika-Aerogel – ein schwammartiges Material, das häufig als Wärmeisolator genutzt wird. Wenn die positiven Antimyonen auf Elektronen im Aerogel treffen, bilden sich neutrale Myoniumatome. Die Forscher beschossen diese Atome mit einem Laser, um ihnen die Elektronen zu entziehen, so dass sie sich wieder in positive Antimyonen verwandelten, die an Ort und Stelle eingefroren waren. Durch diese Abkühlung wurden die Geschwindigkeiten und Richtungen der Teilchen einheitlich.

Anschließend beschleunigten die Forscher die verlangsamten Myonen in einem elektrischen Feld auf eine Energie von 100 Kiloelektronvolt und erreichten damit etwa vier Prozent der Lichtgeschwindigkeit.

Auch wenn diese Ergebnisse viel versprechend sind, ist es laut Holmes noch ein weiter Weg zu Myonenbeschleunigern. Der Ansatz müsse erweitert werden, um noch engere Strahlen mit höherer Intensität zu erzeugen.

Derzeit arbeiten Kamioka und sein Team an einer weiteren Technologie. Sie soll Myonen auf 94 Prozent der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen. Dieses Ziel hoffen die Forschenden bis 2028 zu erreichen. »Das ist unser nächster Meilenstein«, sagt  er.

Neben dem Bau eines künftigen Beschleunigers könnten Physiker die hochenergetischen Myonenstrahlen auch für Experimente nutzen, die über das Standardmodell der Teilchenphysik hinausgehen, etwa zur präzisen Messung des magnetischen Moments des Myons. Kamioka zufolge fällt das Moment in Experimenten stärker aus als von der Theorie vorhergesagt.

  • Quellen
doi.org/10.48550/arXiv.2410.11367

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