Direkt zum Inhalt

Teilchenphysik: Geradeaus denken!

In immer größeren Beschleunigerringen lassen Wissenschaftler verschiedene Atomkerne aufeinanderprallen, um das Innerste der Materie zu erforschen. Theoretiker sitzen aber längst an Methoden, auch Elektronen auf Rekordenergien zu bringen - und einen Linearbeschleuniger en miniature zu entwickeln.
Das kennen Sie vielleicht noch aus der Schule: Elektrische Felder beschleunigen geladene Teilchen. Die wohl am weitesten verbreitete Anwendung dürfte die Fernseherröhre sein, in der Elektronen auf den Bildschirm gelenkt werden. Physiker leiten daraus sogar eine Einheit ab: Durchläuft ein Elektron eine Spannung von einem Volt, erhält es dadurch eine Energie von einem Elektronvolt. Das ist in Joule ausgedrückt zwar eine winzige Zahl, ein Quant des sichtbaren Lichts hat aber auch nur wenig mehr Energie.

In heutigen Teilchenbeschleuinigern werden hingegen ganz andere Dimensionen erreicht: Die Partikel tragen dort Giga- oder Teraelektronvolt, also ein Milliardenfaches oder Billionenfaches eines Elektronenvolts, mit sich herum. Dafür müssen sie allerdings sehr angeschubst werden, weswegen die meisten Beschleuniger als Ringe angelegt werden – man schickt die Teilchen einfach viele Male auf die Bahn.

Lageplan des LHC | Diese Grafik zeigt den LHC und den SPS-Vorbeschleuniger (in blau) sowie die Verbindungen zwischen ihnen (rot) am Europäischen Teilchenforschungszentrum CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) in Genf.
Die Sache hat allerdings einen Haken: Die Partikel müssen mittels starker Magnetfelder um die Kurve gezwungen werden und geladene Teilchen geben dabei einen Teil ihrer Energie als elektromagnetische Strahlung wieder ab. Nach den ringförmigen Anlagen, den Synchrotrons wie das DESY in Hamburg oder das BESSY in Berlin, wird diese Emission Synchrotronstrahlung genannt.

Natürlich wollen Physiker die Verluste so gering wie möglich halten, weshalb sie den Radius der Kurve so groß wie möglich machen. Der Large Hadron Collider (LHC) am Forschungszentrum CERN in Genf ist der Rekordhalter, sein unterirdischer Ring hat einen Durchmesser von rund achteinhalb Kilometern. Sind die derzeitig laufenden Reparaturen abgeschlossen, sollen die Partikel dort auf Energien von etwa sieben Teraelektronvolt (TeV) kommen.

Energiekrise im Speicherring

Besonders betroffen von den Synchrotronverlusten sind Leptonen – leichte Teilchen wie Elektronen und ihre Antiteilchen, die Positronen –, da sie bei gleicher kinetischer Energie mit höherer Geschwindigkeit unterwegs sind und somit mehr Strahlung abgeben. Wollen die Physiker auch mit ihnen experimentieren, kommt nur ein kurvenloser Beschleuniger in Frage, also ein "Linear Accelerator". SLAC, der größte unter ihnen, wird von der kalifornischen Stanford University betrieben, und hat eine Länge von gut drei Kilometern. In ihm können Elektronen auf 50 Gigaelektronenvolt gebracht werden.

Verglichen mit dem LHC ist diese Energie recht bescheiden. Längere Anlagen, wie der geplante International Linear Collider (ILC), sind aber entsprechend aufwändiger und die Finanzierung droht zu scheitern. Nun jedoch haben Physiker um Allen Caldwell vom Max-Planck-Institut für Physik in München eine Methode präsentiert, mit der auch an Ringbeschleunigern mit Leptonen experimentiert werden kann.

Laser-getriebene PWFA | Läuft ein Laserpuls (Ellipse) durch ein Plasma, beschleunigt das Feld (Wellenstruktur) die Elektronen in seinem "Gefolge" (gelbe Punkte) auf Energien von Gigaelektronvolt und mehr.
Ihre Arbeit beruht auf der so genannten Plasma Wakefield Acceleration. Bisher wurde dabei mit einem Laser ionisiertes Gas – in der Fachsprache "Plasma" – beschossen und so die positiven und negativen Teilchen darin versetzt, wodurch sich im Gefolge (engl.: wake) des Laserstrahls ein enorm starkes elektrisches Feld aufbaut. In diesem werden die Partikel bis auf einige Gigaelektronvolt beschleunigt. Durch den Einsatz dieser Technik konnte 2007 die Energieausbeute des SLAC verdoppelt werden – bei einer zusätzlichen Länge von nur einem Meter!

Neue Einblicke

Das Team um Caldwell schlägt nun vor, statt dem Laser einen gepulsten Strahl von Protonen zu verwenden, der beispielsweise aus einem herkömmlichen Beschleuniger stammt. Den Simulationen der Gruppe zufolge gibt der Strahl seine Energie in einem einzigen Plasmadurchgang an die Elektronen ab. Somit stünden den Teilchenphysikern mit einem Schlag neben den schweren aus Quarks zusammengesetzten Hadronen, wie etwa Protonen, auch punktförmige Leptonen wie Elektronen und Positronen bei TeV-Energien zur Verfügung. Und das könnte ihnen ganz neue Einblicke in die Welt der Elementarteilchen erlauben.

Bei der praktischen Umsetzung dieses Vorhabens sollten sich die Forscher um Caldwell jedoch nicht allzu viel Zeit lassen. Denn ihre Kollegen am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien planen mittels immer stärker werdender Laser, die ursprüngliche Plasma Wakefield Acceleration so zu verbessern, dass damit aus etwa hundert Beschleunigermodulen in Reihe eine neue geradlinige Rekordanlage gebaut werden könnte, welche die Teilchen auf TeV-Energien bringt – bei einer Länge von nur wenigen hundert Metern.
  • Quellen
Caldwell, A. et al.:Proton-driven plasma-wakefield acceleration. In: Nature Physics 10.1038/nphys1248, 2009.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.