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Teilchenphysik: "Wir Teilchenforscher legen die Messlatte höher"

Es wird wild spekuliert, ob ein untypisches Signal des Beschleunigers Tevatron eine neue Physik ankündigt. Der Physiker Thomas Naumann vom deutschen Teilchenforschungszentrum DESY sieht die Sache nüchterner, wie Gerhard Samulat im Gespräch für "Spektrum der Wissenschaft" erfahren hat.
Collider Detector am Fermilab (CDF)
spektrumdirekt: Kurz vor Ende des Experimentierbetriebs des Beschleunigers Tevatron am Fermilab in den USA sorgt dort eine Entdeckung für Aufsehen. Der Detektor CDF zeichnete ein Signal auf, das sich bislang nicht durch das Standardmodell der Teilchenphysik erklären lässt. Müssen die Physikbücher nun umgeschrieben werden?

Thomas Naumann: Das beobachtete Signal ist mit der invarianten Masse eines Teilchens verträglich, das etwa 150 Mal schwerer ist als ein Proton. Es hatte eine so genannte Signifikanz von etwas mehr als drei Standardabweichungen. Das heißt, es könnte sich hierbei mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit noch um einen statistischen Ausreißer handeln.

Thomas Naumann | arbeitet am deutschen Teilchenforschungszentrum DESY in Zeuthen und ist Mitglied der ATLAS-Kollaboration am Large Hadron Collider LHC des Europäischen Zentrums für Kernforschung CERN bei Genf.
Derartige Signale habe ich in meinem Forscherleben als Physiker leider bereits mehrere Male kommen und gehen sehen, darunter die Anzeichen für so genannte Leptoquarks, die eine Verbindung aus Vertretern der Teilchenklasse der Leptonen und der Quarks darstellen sollen, sowie die exotischen Pentaquarks, die aus fünf Quarks bestehen. Für eine Entdeckung legen wir Teilchenforscher die Messlatte daher höher, nämlich auf eine Signifikanz von fünf Standardabweichungen.

Übertreiben die Medien also etwas?

Die Physiker von CDF verhalten sich jedenfalls meiner Meinung nach völlig korrekt: Sie publizieren, was sie beobachten und geben die statistische Signifikanz ihrer Beobachtung an. Sie enthalten sich dabei jeglicher Interpretation ihrer Messung. Auch das Fermilab ist damit noch sehr zurückhaltend.

Ist dies eventuell das viel gesuchte Higgs-Boson?

Das CDF-Team sieht in der invarianten Masse zweier Teilchenjets, die zusammen mit einem W-Boson erzeugt werden, das die schwache Kraft vermittelt, einen Hinweis auf eine Resonanz bei etwa 144 Gigaelektronenvolt. Sie enthält sich aber in ihrer Publikation weit gehender Interpretationen. Merkwürdig ist jedoch, dass das Signal offenbar in anderen Zerfallskanälen noch nicht nachgewiesen werden konnte. Daher muss man weitere Analysen abwarten.

Warum hatte man das Signal bisher übersehen?

Schwere Teilchen haben eine Vielzahl an Zerfallsmöglichkeiten. Zu diesen Teilchen zählen etwa das viel gesuchte Higgs-Boson, das den anderen Elementarteilchen ihre Masse verleiht, das Top-Quark sowie die W- und Z-Bosonen der schwachen Wechselwirkung, die in den energiereichen Kollisionen am Tevatron und am Large Hadron Collider LHC in Genf laufend als Untergrundrauschen produziert werden. Das Higgs-Boson wurde beispielsweise bislang vor allem in anderen favorisierten Zerfallskanälen gesucht. Aber auch die Kolleginnen und Kollegen der CDF-Kollaboration vermuten, dass es sich bei diesem Signal – falls es sich denn als solches manifestieren sollte – nicht von einem Higgs-Boson des Standardmodells der Elementarteilchenphysik stammt.

Sieht man ähnliche Signaturen auch am Large-Hadron-Collider LHC des CERN bei Genf oder gehen die Nachweisgeräte dort nun erst auf die Suche?

Zuerst sollten die Forscher am CDF die Signifikanz des Signals steigern und alle Daten, die sie im Laufe des Betriebs gesammelt haben, zur Auswertung heranziehen. Zudem läuft unter dem Namen D0 am Tevatron ein weiteres Experiment, mit dem die Kollegen messen könnten, ob sie an der Stelle ebenfalls eine Signatur ausmachen. Und schließlich sollten ebenso die Detektoren Atlas und CMS am Large Hadron Collider eine unabhängige Analyse durchführen. Weil der LHC aber erst seit etwa einem Jahr im Experimentierbetrieb läuft, hat er noch nicht die Datenmenge sammeln können, die am Tevatron vorliegt.

Was können wir erwarten, wenn es soweit ist?

Der LHC ist mit seiner mehr als dreifach höheren Energie im Vergleich zum Tevatron vorzüglich für diese Versuche geeignet – wenngleich er noch nicht bei voller Intensität läuft. Wenn alle Experimente die gleichen Signaturen sehen, ist der Effekt nicht mehr weg zu diskutieren. Aber dafür braucht es noch etwas Zeit. Selbst die amerikanischen Kolleginnen und Kollegen gehen ja davon aus, dass das noch einige Monate dauern kann.

Was würde es bedeuten, wenn sich das Signal bestätigen würde?

Bevor man darüber spekuliert, müssten die Experimentalphysiker am Tevatron und am LHC sorgfältig nach weiteren möglichen Zerfallskanälen eines solchen Teilchens suchen. Für ein derart schweres Teilchen wäre es zumindest höchst ungewöhnlich, wenn es nur auf genau eine Weise zerfiele. Erst wenn dies geschehen ist, kann man Aussagen darüber machen, ob das Teilchen in unser Standardmodell passt – oder ob es eventuell ein erster Hinweis auf eine Physik jenseits davon ist.

Herr Naumann, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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