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Tendaguru: Revival des Dinosaurierhügels

Zur Kaiserzeit wurden in Tansania Aufsehen erregende Entdeckungen gemacht. Nun besuchte ein tansanisch-deutsches Team die Stelle erneut. Der Erfolg scheint sich zu wiederholen.
Ein Teammitglied aus Tansania bei der Freilegung eines Sauropodenknochens

Oliver Hampe ist noch immer begeistert. Der Paläontologe vom Museum für Naturkunde (MfN) Berlin ist gerade mit einem tansanisch-deutschen Team auf Fossilienjagd gewesen. Die kleine Gruppe suchte dazu am Tendaguru-Hügel im Südosten Tansanias nach versteinerten Knochen – und wurde mit einer überreichen Ausbeute belohnt: mehr als eine Tonne Dinosaurierknochen in nur fünf Tagen im Feld. Die Fossilien stammen vermutlich aus der Zeit vor 150 Millionen Jahren und gehörten einst Sauropoden, jenen langhälsigen, dickbeinigen Kolossen unter den Sauriern.

Mit seiner Expedition weckt das Team eine der wichtigsten Fundstellen der Welt für diese Tiere aus dem Dornröschenschlaf. Schließlich hatte das MfN dort bereits zwischen 1909 und 1913 mehr als 200 Tonnen Fossilien gefunden, die ebenfalls überwiegend von den gewaltigen Dinosauriern stammten. Das Material steht noch immer im Mittelpunkt der Sauropodenforschung, so konnte beispielsweise erst 2019 die MfN-Paläontologin Daniela Schwarz mit ihrem Team anhand der Knochen die bisher unbekannte Sauropodengattung Wamweracaudia identifizieren. An diesen mehr als 100 Jahre alten Welterfolg der Fossiliensuche könnten die jetzt begonnenen Grabungen anknüpfen.

Fossilien aus dem Kaiserreich

Allerdings geschieht das unter völlig neuen Voraussetzungen in völlig neuen Zeiten. Im Jahr 1909 stand Tansania noch als Kolonie Deutsch-Ostafrika unter der Herrschaft des Kaiserreichs. Was die Kolonialherren damals an Knochen fanden, verschifften sie umgehend ins ferne Deutschland und insbesondere an das MfN. Das Material, so viel war schon damals klar, ist außergewöhnlich. Es enthalte nicht etwa nur einzelne Arten, sagt Oliver Hampe, »sondern eine große Vielfalt mit etlichen verschiedenen Sauropodengattungen und damit eine gesamte Community der damaligen Zeit.« Dazu zählen kleinere Arten, die aber trotzdem sofort als Sauropoden zu erkennen sind, und eben jene massigen Riesen wie Giraffatitan brancai. Von diesem Tier haben die Präparatoren des MfN aus versteinerten Resten mehrerer Exemplare das mit 13,27 Meter Höhe weltgrößte montierte Skelett eines Dinos zusammengesetzt. Auch heute noch dominiert es die Eingangshalle des Museums.

Eine Frage der Haltung | Die Sauropodenskelette im Berliner Naturkundemuseum zeigen die unterschiedlichen Varianten der Körperhaltung der Riesen. Sie hing davon ab, welche Nahrung eine Art bevorzugte.

Neben einem massigen Körper, der auf vier säulenartigen Beinen steht, hatten diese Dinos meist einen relativ langen Hals mit einem eher kleinen Kopf. Am anderen Ende des Körpers balancierte ein langer Schwanz als Gegenwicht die große Masse des langen Halses aus.

Frühere Annahmen, nach denen die Tiere ihren Schwanz auf dem Boden schleifen ließen, gelten heute als falsch. So hatten etliche Sauropoden an den Oberschenkelknochen deutlich sichtbare und oft sehr große Ansatzstellen für einen kräftigen Muskel. Mit diesem hielten sie vermutlich ihren Schwanz über dem Boden und bewegten ihn geschickt, um den langen Hals auszubalancieren.

Hälse für die obere und für die untere Etage

Bei manchen Arten waren die Hinterbeine kräftiger, sie hielten offenbar ihren Hals eher waagrecht und weideten die unteren Etagen der Vegetation ab. Arten wie der in Berlin gezeigte Giraffatitan brancai aber haben einen deutlich anderen Bauplan. Die Besucher im MfN erkennen sofort, dass die Arme des Tiers länger sind als die Beine und so den Oberkörper ein wenig »aufrichten«. Ähnlich wie heutige Giraffen konnten diese Tiere mit ihren langen Hälsen wohl die oberen Etagen der Koniferen abweiden, die damals im tropischen und subtropischen Klima der Weltgegend wuchsen, die heute der Tendaguru-Hügel ist.

Nach allem, was man weiß, lag damals die Fundstätte an der Küste. Im Brackwasser eines Sees lagerten sich mit der Zeit Sedimente ab. Sie konservierten gut die Überreste von verendeten Sauropoden, die in den See gefallen waren. »Im Lauf von etwa zehn Millionen Jahren bildete sich so eine Sedimentschicht, die heute 140 Meter mächtig ist«, erklärt der Paläontologe und Geologe Hampe. Häufig finde sich in dieser Schicht Holzkohle. »Offensichtlich brannten wohl in den Trockenzeiten immer wieder einmal die Nadelwälder.«

Die neue Expedition sichtet die Ergiebigkeit der Lagerstätte

Solche Schlussfolgerungen stützen sich noch heute auf das 1909 bis 1913 geborgene Material sowie auf die Ergebnisse einer Expedition, die im Jahr 2000 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert und vom MfN und etlichen weiteren Forschungsorganisationen durchgeführt wurde. Ihr Ziel war es, mehr über die Umweltverhältnisse der Gegend vor 150 Millionen Jahren herauszufinden.

Gruppenbild des Forscherteams | Die Zusammenarbeit von deutschen und tansanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern soll auch die Kompetenz des afrikanischen Landes in der Dinosaurierforschung voranbringen.

Um die Fossilien der Riesen und anderer Dinos, die in dieser Umwelt lebten, ging es dabei allerdings nicht. Wie steht es um die Fossillagerstätte heute, mehr als 100 Jahre später? Sollte die hohe Erosion, die in dieser Weltregion auftritt, neue Knochen frei gelegt haben? Um diese und andere Fragen zu beantworten, finanziert das Auswärtige Amt Deutschlands mit 1,7 Millionen Euro das Projekt »Fossil Heritage in Tanzania«, das neben Oliver Hampe und Daniela Schwarz vom MfN von Agness Gidna vom Nationalmuseum Tansanias geleitet wird. Die deutschen Forscher treten hier nicht mehr als Abgesandte einer Kolonialmacht auf, sondern als Partner, die eng mit Forschern und den zuständigen Behörden in Tansania zusammenarbeiten. Die Covid-19-Pandemie hatte zur Folge, dass die Feldarbeit einige Male verschoben werden musste. Hampe, Schwarz und Team flogen nach Tansania und führten gemeinsam mit der Gruppe um Gidna vom 25. September bis zum 1. Oktober 2021 die eigentliche Feldarbeit am Tendaguru-Hügel durch.

Funde bleiben in Tansania

In kleinen Gruppen von drei oder vier Personen durchkämmten sie das Gelände und suchten nach Fossilien. »Wir waren alle sehr überrascht, als wir so viele und vor allem auch große und gut erhaltene Knochen von Sauropoden fanden«, erzählt Oliver Hampe. Prunkstücke sind ein Oberarmknochen und ein 141 Zentimeter langer Oberschenkelknochen, aber auch Wirbel, Rippen und andere Skelettbestandteile sowie ihre Bruchstücke kamen zum Vorschein. Nach gerade einmal fünf Tagen hatte das Team gezeigt, dass der Südosten Tansanias auch mehr als ein Jahrhundert nach den Expeditionen der Kolonialmacht immer noch eine außergewöhnliche Fundstelle für Sauropodenfossilien ist.

Eine Tonne Fossilien | Sauropodenfossilien sind groß, dennoch ist es keine Selbstverständlichkeit, in so kurzer Zeit eine derart große Menge an Knochen aufzulesen.

Welche Schätze sie genau geborgen hat, weiß die Gruppe bisher noch nicht. Anders als am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die neu gefundenen Fossilien nicht nach Deutschland verschifft. Sie bleiben in Tansania, wo sie auch weiter untersucht werden. »Allerdings haben sich die tansanischen Forschungsorganisationen bisher vor allem um die weltberühmten Frühmenschenfunde in ihrem Land gekümmert«, sagt Hampe. Deshalb gibt es kaum Paläontologen oder auch Präparatoren im Land. »Daher wollen wir im weiteren Verlauf des Projekts Präparatoren in Tansania ausbilden, wir wollen die Menschen in den Forschungsorganisationen für die Paläontologie begeistern und ihnen auch die modernen Methoden dieser Disziplin zeigen.« Mit der Zeit soll so das Knowhow entstehen, mit dem die tansanischen Paläontologen unabhängig weiterforschen können.

Dinosaurier aus der Vogelperspektive

Gleichzeitig testen die Forscherinnen und Forscher auch moderne Luftbildmethoden, wie sie bereits in der Archäologie angewendet werden, um vorab aussichtsreiche Stellen zu identifizieren. Luftbildmethoden könnten in Tansania die Arbeit erheblich erleichtern, da die Schicht mit den Sauropodenfossilien sich an ihrer breitesten Stelle über mindestens 80 Kilometer ausdehnt und im Prinzip fast überall Fossilien verborgen sein könnten. Zunächst wurde diese Fläche mit einer Drohne genau kartiert. In diesen Plan werden künftig die tatsächlichen Fundstellen eingezeichnet, anschließend prüft man, ob diese Punkte charakteristische Gemeinsamkeiten haben, die aus der Luft erkennbar sind und nach denen man bei der nächsten Expedition gezielt Ausschau halten könnte.

Auch ein Präparator aus Berlin soll nach Tansania kommen und die angehenden Fachkräfte vor Ort aus- und weiterbilden. Das Projekt »Fossil Heritage in Tanzania« soll daher längere Zeit laufen, am besten, bis die tansanische Paläontologie auf eigenen Beinen steht. Gut möglich also, dass in einigen Jahren aus dem Südosten Tansanias neue Highlights der Sauropodenforschung vermeldet werden. Vielleicht werden auch die Fossilien der Raubsaurier gefunden, die ebenfalls dort unterwegs waren und für die sich Daniela Schwarz brennend interessiert. Das Team aus Berliner MfN, tansanischen Forschungsbehörden und Forschungsorganisationen im Land ist jedenfalls davon überzeugt, die richtigen Grundlagen für solche Überraschungen gelegt zu haben.

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