»The Midnight Sky«: Das Ende von fast allem
Die Erde ist unbewohnbar geworden. Warum, ist unklar. Fest steht bloß, dass Anfang des Jahres 2049 etwas Schreckliches geschehen sein muss. Die Menschen fliehen aus den Bevölkerungszentren der ganzen Welt auf Raumschiffe oder in unterirdische Bunker. Armeehubschrauber evakuieren schließlich die astronomische Forschungsstation Barbeau Observatory am gleichnamigen Berg auf der Ellesmere-Insel im äußersten Nordosten Kanadas. Zurück bleibt im Film »The Midnight Sky« nur der todkranke Astronom Augustine Lofthouse (George Clooney). Er ist weit über 70 und verkriecht sich in die leere Station zum Sterben.
Eine Aufgabe hat Lofthouse sich noch vorgenommen: Er will das Raumschiff »Aether« kontaktieren, das von einer Jupiter-Expedition zur Erde zurückfliegt. Sollte die Besatzung auf der Erdoberfläche landen, müsste sie sterben. Besser also, sie kehrt um. Während Lofthouse darauf wartet, dass »Aether« in Funkreichweite kommt, entdeckt er ein stummes, sechsjähriges Mädchen in der Station. Er erfährt, das sie Iris heißt, aber nicht, warum sie zurückblieb. Die Sendeleistung des Observatoriums reicht für den Funkverkehr mit »Aether« nicht aus, und so muss Lofthouse mit Iris durch den arktischen Winter zu der weiter nördlich gelegenen Wetterstation Lake Hazen fahren, die über eine bessere Antenne verfügt. Es wird ein Höllentrip.
Die Besatzung des Raumschiffs »Aether« unter der Missionsleiterin Sullivan rätselt derweil, was mit der Erde geschehen ist. Sie haben jeglichen Kontakt verloren und müssen zunächst allein klarkommen. Eigentlich kommen sie mit guten Nachrichten: Der von Lofthouse vor vielen Jahren entdeckte Jupitermond K-23 hat sich als eine Art zweite Erde herausgestellt. Die Temperaturen sind lebensfreundlich, die Luft kann man atmen, es gibt dort Leben. Menschen könnten sogar ohne Schutzanzüge leben. Aber auf der Erde ist offenbar niemand mehr, der sie in Empfang nehmen könnte. Schließlich kommt das Raumschiff unerwartet vom Kurs ab und gerät in ein gefährliches Gebiet.
»The Midnight Sky« bietet keine konsistente Geschichte
Der zweifache Oscarpreisträger George Clooney führt Regie und spielt den alten Astronomen Augustine Lofthouse. Der Film adaptiert das Buch »Good Morning, Midnight« von Lily Brooks-Dalton aus dem Jahr 2016. Clooney konnte aus dem Vollen schöpfen: Für die Produktion standen 100 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Leider ist ihm aber trotz des Aufwands kein wirklich guter Film gelungen. An der Kameraführung und der Bildregie liegt es nicht. Die Kamera fängt die Weite, Leere und Einsamkeit der Arktis hervorragend ein, die Gebäude wirken verloren und fremdartig in der grandiosen Landschaft. Auch die Szenen in den Gebäuden und im Raumschiff sind exzellent gefilmt und gut geschnitten. George Clooney spielt sehr gut, das übrige Ensemble immerhin routiniert.
Aber Drehbuchautor Mark L. Smith und Regisseur Clooney erzählen einfach keine konsistente Geschichte – von den vielen haarsträubenden Fehlern ganz abgesehen. Geht es um den sterbenden Wissenschaftler, der über seine glänzende Karriere vergessen hat zu leben? Um das Ende der Welt? Die Einsamkeit in der lebensfeindlichen Eislandschaft? Die Entdeckung einer zweiten Erde? Um die Astronauten, die nach heldenhaften Anstrengungen zu einem toten Heimatplaneten zurückkehren? Der Film verhebt sich an der Last dieser gewaltigen Themen. Er reißt sie an, ohne auch nur eins davon zu vertiefen.
George Clooney gibt den todkranken Wissenschaftler als entschlossenen alten Mann, der sich nie Gedanken über verpasste Chancen macht. In kurzen Rückblenden zeigt der Film die Wendepunkte seines langen Lebens. Das kleine Mädchen Iris ist ihm eher lästig, dennoch kümmert er sich mit echter Sorge um sie. Die Astronauten gewinnen wenig individuelle Konturen. Sie sind Profis, ausgesucht nach der Stabilität ihrer Psyche. Frotzeleien fliegen hin und her, die fehlende Verbindung zur Erde ist ein Problem, das man zu gegebener Zeit lösen wird. Keiner von ihnen redet über seine Pläne nach der Ankunft.
Wie konnte Galilei diesen riesigen Mond übersehen?
Die britische Schauspielerin Felicity Jones, »Star Wars«-Fans bekannt als Jyn Erso aus »Rogue One«, spielt die Missionschefin »Sully« Sullivan als in sich ruhende Astronautin. Sie erwartet ein Kind von Flugkommandant Adewol. Die Vorstellung, im Raumschiff zu gebären, bereitet ihr keine schlaflosen Nächte.
Den Jupitermond K-23 zeigt der Film nur kurz in einem Traum von Sully. Wir erfahren nichts über das außerirdische Leben dort. Nach den Angaben im Film wäre er etwa erdgroß und soll im Bereich der galileischen Monde kreisen. Damit wäre er der mit Abstand größte Jupitermond, und man fragt sich, wie Galilei – und alle anderen Astronomen nach ihm – einen solchen Giganten übersehen konnten.
Auch in anderen Punkten strapaziert das Drehbuch die Gesetze der Physik. Himmelskörper bewegen sich auf festen Bahnen. Ein Raumschiff kommt also nicht plötzlich vom Kurs ab. Dazu müsste es seine Triebwerke zünden und seine Bahn aktiv verändern. Auch auf der Erde scheinen übernatürliche Kräfte zu wirken. Der alte und todkranke Astronom überlebt im ewigen Eis Gefahren, die selbst Indiana Jones umgebracht hätten.
Große Schnitzer aus wissenschaftlicher Sicht
Augustine Lofthouse fällt mitten im arktischen Winter ins eiskalte Wasser, taucht nach seiner Ausrüstung, zieht sich ans Ufereis und läuft weiter. Das wäre selbst für einen Spitzensportler eine schier unmögliche Leistung. Dann läuft er tagelang über Eisfelder, durch einen Schneesturm und arktischen Nebel, bis er die Wetterstation vor sich sieht. Ein einzelner Schutzengel reicht da nicht aus.
Seltsamerweise erwähnt niemand, was eigentlich mit der Erde geschehen ist. Der Film visualisiert das apokalyptische Ereignis auf einem Monitor als rote, runde Flächen, die sich um die wichtigsten Städte ausbreiten. Wenn es sich um radioaktiven Fallout nach einem Atomkrieg handeln soll, ist die Darstellung grundfalsch. Ein Fallout, also aus der Luft absinkender radioaktiver Staub, breitet sich in Wirklichkeit als lange schmale Ellipse in Windrichtung aus. Einige der technischen Einzelheiten im Raumschiff oder bei einer Reparatur an der Hülle wirkten dagegen sehr überzeugend. Hier kam George Clooney wahrscheinlich die Erfahrung aus dem Film »Gravity« zugute.
Letztlich ist der Film nicht komplett misslungen, aber für eine Produktion mit einem neunstelligen Budget ist das Ergebnis zu schwach. Die eindrucksvolle Kameraarbeit reicht für eine positive Bewertung nicht aus. Das Drehbuch kann sich nie auf eine stimmige Geschichte festlegen, und aus wissenschaftlicher Sicht trüben grobe Schnitzer das Bild. Bedingt sehenswert.
»The Midnight Sky« läuft ab dem 23. Dezember 2020 ab 9 Uhr auf Netflix. George Clooney spielt eine der Hauptrollen und hat Regie bei der Adaption des Romans »Good Morning, Midnight« von Lily Brooks-Dalton geführt.
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