Materialwissenschaften: Theorie für rasende Risse
Ratsch - ein Riss zieht sich durch eine zuvor gleichmäßige Oberfläche. Nicht nur Physiker hätten gern eine genaue Vorstellung davon, was dabei auf atomarer Ebene vor sich geht. Aufwändige Computersimulationen zeigen nun, dass manches doch nicht so einfach ist wie bislang vermutet.
![Spitze eines Risses Spitze eines Risses](https://static.spektrum.de/fm/912/f2000x857/133484.jpg)
© M. Buehler/Massachusetts Institute of Technology (Ausschnitt)
© M. Buehler/Massachusetts Institute of Technology (Ausschnitt)
Riss im Schema | Schematisches Bild, das die Entstehung von Bruchinstabilitäten zeigt. Nach spiegelglatten Kanten ("mirror") wird der Riss bei langsamer Ausbreitung des Risses immer rauer ("mist"), bis er sich schließlich sogar verzweigt ("hackle").
Seit einigen Jahren ist daher klar, dass man bei der Entstehung solcher Phänomene die Atome in die Erklärung einbeziehen muss – doch es blieb ein Rätsel, wie. Welche Physik spielt dabei im Detail eine Rolle? Wie kann man die Geschwindigkeit der Rissausbreitung berechnen? Die existierenden Modelle standen nicht im Einklang mit der Realität oder Computersimulationen und widersprachen sich bisweilen sogar.
© M. Buehler/Massachusetts Institute of Technology (Ausschnitt)
Auftreten von Bruchinstabilitäten | Auftreten von Bruchinstabilitäten. Bei einer kritischen Geschwindigkeit wird die Bewegung eines Risses instabil. Er breitet sich dadurch nicht mehr geradlinig aus, was zu immer unebeneren Oberflächen führt.
"Wir haben entdeckt, dass sich die Ungereimtheiten in der Literatur lösen lassen, wenn man das Verhalten des Materials beim Aufbrechen der atomaren Bindungen betrachtet, anstatt nur Materialeigenschaften unter kleinen Zugbelastungen in die Rechnungen einzubeziehen, wie es bislang geschah", so Buehler. "In Spezialfällen geht unsere neue Theorie in bestehende Modelle über. Sie erlaubt aber eine einheitliche Behandlung des Instabilitätsproblems bei einer viel größeren Klasse Materialien."
© M. Buehler/Massachusetts Institute of Technology (Ausschnitt)
Instabilität an der Rissspitze | Das Auftreten von dynamischer Instabilität an der Rissspitze. Während die Geschwindigkeit des Risses zunimmt, wird seine Vorwärtsbewegung immer instabiler: Der Riss ändert seine Richtung und hinterlässt eine immer unregelmäßigere Oberfläche.
In das Modell lassen sich auch ungewöhnliche Änderungen der Elastizität an der Spitze des Risses integrieren. So verändert sich zum Beispiel in bestimmten Materialien die Elastizität mit der Deformation – Gummi etwa ist weich, wenn man ihn wenig dehnt, bei starker Dehnung wird er dagegen hart. Daher wird die Deformationsenergie, die beim Reißen auftritt, je nach Deformation unterschiedlich stark geschluckt. Die neue Theorie zeigt: In solchen Materialien können sich Risse schneller als der Schall ausbreiten. Dies steht im Widerspruch zu allen gängigen Theorien, ist aber im Einklang mit den neu entwickelten Konzepten. Überschallrisse wurden kürzlich auch im Experiment entdeckt – die neue Theorie könnte als Erklärung dafür dienen.
© M. Buehler/Massachusetts Institute of Technology (Ausschnitt)
Komplexe Rissmuster | Komplexe Rissmuster entstehen, wenn sich ein Riss weiter durch das Material ausbreitet.
© Max-Planck-Gesellschaft
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist eine vorwiegend von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung der Grundlagenforschung. Sie betreibt rund achtzig Max-Planck-Institute.
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