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Marianengraben: Tiefseekrebse ernähren sich von Atombomben-Fallout

Wissenschaftler haben überraschend viel radioaktiven Kohlenstoff in mehr als 6000 Meter tiefen Meeresgräben nachgewiesen - im Körper recht bizarrer Flohkrebse.
Explosion einer Atombombe

Die Atombombentests der 1950er und 1960er Jahre bliesen große Mengen radioaktiven Materials in die Atmosphäre. Der meiste Fallout ist heute verschwunden, aber Wissenschaftler können nach wie vor Überreste aufspüren. So auch ein Team um Ning Wang von der Chinese Academy of Science: In mehr als 6000 Meter tiefen Meeresgräben im Pazifik entdeckten die Meeresbiologen Flohkrebse, in deren Körper sich ungewöhnlich viel Kohlenstoff-14 angesammelt hat.

Tiefseebewohner | Flohkrebse der Art Hirondellea gigas können selbst in tiefen Meeresgräben überleben. Im Körper der Tiere entdeckten Forscher nun überraschend viel radioaktiven Kohlenstoff.

Das radioaktive Isotop mit einer Halbwertszeit von rund 5700 Jahren kann durch Kollisionen von Teilchen aus dem Weltall und Molekülen der Erdatmosphäre entstehen. Durch die oberirdischen Atombombentests verdoppelte sich der Gehalt von Kohlenstoff-14 jedoch, da die in den Explosionen freigesetzten Neutronen mit Stickstoff in der Luft reagierten.

Schon lange ist klar, dass sich dieses Material in den oberen Ozeanschichten ausbreitete. Dort nutzen es immer wieder Meerestiere, die sich von organischem Material ernähren, für ihren Stoffwechsel. Ganz offensichtlich gilt dies jedoch auch für die tiefsten Nischen der Meere, darunter den Marianengraben im Westpazifik: Das Muskelgewebe dort gefangener Flohkrebse enthalte bis zu sechs Prozent mehr radioaktiven Kohlenstoff als man natürlicherweise erwarten würde, berichtet die Gruppe um Ning Wang im Fachmagazin »Geophysical Research Letters«. Das seien Werte, die man sonst nur von Organismen kenne, die knapp unterhalb der Meeresoberfläche leben.

Die Forscher wollten mit ihrer Studie in erster Linie verstehen, wie die Nahrungskette von Flohkrebsen und anderen Lebewesen in der Tiefsee funktioniert. Kohlenstoff-14 gilt hier als wichtiger Signalstoff, da es einzig aus der Atmosphäre stammen kann. Dass es sich in dieser Menge im Körper der untersuchten Flohkrebse anreichert, spreche dafür, dass die Nahrung der Tiere an der Oberfläche mit dem Isotop angereichert wird und dann direkt in die Tiefe sinkt, schreiben die Meeresbiologen. Folglich seien selbst solche schwer zugänglichen Habitate nicht vor den Abfällen der Menschheit sicher.

Verblüfft war das Team auch vom Alter und der Größe der Tiere. Kommen Artgenossen in flachen Gewässern meist nur auf eine Lebensspanne von zwei Jahren, werden die Tiefseeflohkrebse teils älter als zehn. Auch sind sie mit neun Zentimetern mehr als viermal so groß wie ihre Verwandten nahe der Meeresoberfläche. Das hat aber nichts mit Atombomben zu tun: Die Tiere seien einfach an den extremen Lebensraum angepasst, so die Arbeitsgruppe. Größere Tiere nutzen Energie effizienter; gleichzeitig leben sie wegen ihres stark gedrosselten Stoffwechsels länger und haben mehr Zeit zum Wachsen.

Anmerkung: In einer früheren Version des Textes war eine zu hohe Zahl für den Gehalt an radioaktivem Kohlenstoff im Muskelgewebe der Flohkrebse angegeben. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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