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Vogeluhr: Tierisch genau

Frühlingszeit, Vogelstimmenzeit: Nach und nach kehren jetzt die Zugvögel aus ihren sonnigen Winterquartieren in ihre Brutgebiete zurück und stimmen ein in den Chor ihrer hierzulande überwinternden Sangesbrüder. Wer aber genau aufpasst, kann fast seine Uhr nach den Piepmätzen stellen.
Rotkehlchen
Für passionierte Vogelliebhaber – wie es auch der Verfasser dieses Artikels von sich behaupten darf – gibt es wohl kaum etwas Schöneres, als vom morgendlichen Gezwitscher, Gepfeife und Tirilieren von Amsel, Drossel, Fink und Star geweckt zu werden. Hartgesottene Ornithologen stehen sogar noch zu nachtschlafender Zeit auf, um sich bereits vor dem Einsetzen des Morgenkonzerts in den Wäldern und Auen der Umgebung einzufinden, um ja keinen der Organisten, Trompeter oder Flötisten zu verpassen.

Auf der anderen Seite muss man allerdings ebenso eingestehen, dass es auch menschliche Eulen gibt, die den Amseln am liebsten ein Auftrittsverbot zur frühen Stunde erteilen würden und die Vögel zur Einhaltung der gesetzlichen Lärmimmissionswerte verpflichten möchten. Doch anscheinend pünktlich auf die Minute setzen immer neue Sänger mit ihrem musikalischen Beitrag ein, bis es schließlich aus allen Ecken und Enden wohltönend und vollmundig klingt – ein Phänomen, das als Vogeluhr bezeichnet wird.

Star: der Spätstarter | Der Star ist der Spätstarter in der Vogeluhr: Er schaltet sich erst zehn Minuten nach dem Sonnenaufgang in das morgendliche Vogelkonzert mit ein.
Was ist diese Vogeluhr aber genau? Und wie funktioniert sie? Prinzipiell gibt sie die zeitliche Abfolge an, in der verschiedene in Deutschland heimische Vogelarten mit ihrem morgendlichen Gesang einsetzen. Gesteuert wird dies vom Zeitpunkt des Sonnenaufgangs, der sich natürlich im Laufe des Frühjahrs nach vorne verlegt, und damit von der Entwicklung des Tageslichts. Deshalb starten auch die Vögel im Quartalsverlauf zunehmend eher in den Tag. Der zeitliche Abstand zwischen dem ersten Pfiff und dem tatsächlichen Erscheinen der Sonne bleibt allerdings weitest gehend gleich.

So begrüßt der Gartenrotschwanz als erste Leitart der Vogeluhr den Tag immer bereits neunzig Minuten, bevor unser stellarer Glutball am Horizont auftaucht – nimmt man Mitte Mai als maßgeblichen Zeitraum, dann wäre dieser zunehmend seltene Zugvogel um vier Uhr morgens zu hören. Ihm folgt zehn Minuten später das Rotkehlchen mit seinem plätschernden Trällern und nach weiteren fünf Minuten die Amsel, deren kraftvoll tönender wie melodiöser Gesang wohl schon einige früher als geplant aus dem Bett getrieben hat.

Girlitz | Kein Teil der Vogeluhr, aber ebenfalls ein kraftvoller Sänger, der erst im Laufe des letzten Jahrhunderts weite Teile Mittel- und Nordeuropas erobert hat.
Um 4.20 Uhr schließt sich ihnen dann der Zaunkönig an, dessen unglaublich lautes Organ umgekehrt proportional zu seinem kleinen Körper ist. Nach ihm folgen zehn Minuten Einsatz-Pause, bis sich um halb fünf der Kuckuck einschaltet, dessen Name seine Lautäußerung widerspiegelt. Als nächstes startet um 4.40 Uhr die Kohlmeise mit ihrem Keckern in den Tag und um 4.50 Uhr der Zilpzalp, der ebenfalls nach seinem Ruf benannt wurde. Zur nächsten vollen Stunde beteiligt sich der Buchfink mit seinem "zizizizjazjazoritiu-zip" – von manchen ins Deutsche übersetzt als "zipzipzip-willst-du-mit-mir-gehn?" – an den Lautäußerungen. Gegen 5.20 Uhr erwacht schließlich der allseits bekannte und beliebte Haussperling, bevor um halb sechs die Sonne aufgeht. Erst zehn Minuten nach diesem einschneidenden Ereignis ruft endlich der Star aus dem Kirschbaum oder vom Leitungsdraht und beteiligt sich damit am sangeschronometrischen Wecker .

Sumpfrohrsänger | Ebenfalls kein Teil der Vogeluhr, aber auch ein begnadeter Sänger, der – wie der Name schon andeutet – in Röhrichten an Seen und Teichen lebt.
Die zeitliche Abstimmung dient natürlich nicht dem Ärgernis oder der Freude der Menschen, sondern hat selbstverständlich biologische Gründe: Indem sie nacheinander singen, vermeiden die Vögel vielstimmige Überlagerungen, und so geht der Einzelne gesanglich nicht gleich unter. Dies erleichtert den Arten sowohl die Abgrenzung des Reviers als auch die Brautwerbung, denn die Männchen können dadurch leichter geortet werden. Auch ist morgens die Akustik am besten, da atmosphärische Störungen wie Winde allenfalls schwach auftreten. Durch die Erhitzung verstärken sie sich im Tagesverlauf und können dadurch die Übertragung der Vogelstimmen beträchtlich beeinflussen – einer der Gründe für die Abnahme der Sangestätigkeit im Tagesverlauf, die erst gegen Abend wieder anschwillt. Wichtig ist auch die Erkennung von Fraßfeinden, die sich an Lautäußerungen orientieren: Folglich setzen Vögel schon mit dem Singen ein, wenn die Lichtstärke ihnen genügt, um entsprechende Räuber rechtzeitig zu entdecken, diese aber noch nicht intensiv ist, um selbst dem Fresstrieb nachzugehen.

Da sich die Zeit des Sonnenaufgangs von Süd nach Nord unterscheidet, beginnen die Vögel von Region zu Region zu abweichenden Zeiten mit ihrem Gesang. Selbst in den tropischen Regenwäldern dirigiert das Morgenlicht die Konzerte – Morgenmuffel entkommen also auch dort dem regen Federvieh nicht.

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