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Biogeografie: Tierische Geschichte

Was vor Millionen Jahren geschah, können wir nur ahnen - schließlich war keiner dabei. Glücklicherweise liefert unsere unbelebte Umwelt eine Menge Hinweise, mit denen sich Ereignisse rekonstruieren lassen. Und manchmal macht die Biologie daraus dann eine richtig runde Geschichte.
Winkelzahnmolch
Ein paar Millionen Jahre hin oder her sind aus Geologensicht meist vernachlässigbar. Doch so manchmal wüssten Forscher schon gern genauer, wann sich denn nun welche Kontinente aufgespalten oder auch zusammengefunden haben, wie schnell sich so manches Gebirge hob oder Meeresbecken schloss. Und so versuchen sie, mit klassischem Handwerkszeug wie Fossilien oder Isotopen-Analysen die Geschichte der Erde so detailgenau wie möglich aufzudecken.

Auch Biogeografen interessieren sich brennend für diese geotektonischen Grundlagen – in ihrem Metier gilt es, die Evolution und Ausbreitung von Tieren und Pflanzen im Laufe der Jahrmillionen zu rekonstruieren. Geografische Barrieren wie Gebirge, Meeresbecken oder auseinander driftende Kontinente spielen dabei eine entscheidende Rolle, bewirken sie doch meist eine Aufspaltung im Stammbaum der betrachteten Organismen. Die Daten der Geologen helfen ihnen daher, ihre Verwandtschaftsanalysen zu untermauern.

Oder umgekehrt: Forscher um David Wake von der Universität von Kalifornien in Berkeley wählten die asiatische Salamanderfamilie der Winkelzahnmolche Hynobiidae, um geotektonische Ereignisse in deren Heimat zu datieren. Auf der Basis genetischer Analysen der mitochondrialen DNA heutiger Vertreter ermittelten sie molekulare Uhren für die evolutionäre Entwicklung der Gruppe – eine nicht ganz unumstrittene Methode, die einfacher klingt, als sie ist. So mussten Wake und seine Kollegen beim Vergleich mit anderen solchen Daten aus der Amphibienwelt beispielsweise feststellen, dass sie keine einheitliche molekulare Uhr für die ganze Familie annehmen konnten. Die Angehörigen verschiedener Verwandtschaftsgruppen entwickelten sich also unterschiedlich schnell – eine beachtliche Fehlerquelle aus Sicht von Kritikern.

Den Berechnungen der Forscher zufolge lebte der letzte gemeinsame Vorfahre aller noch heute existenter Winkelzahnmolche vor etwa 110 Millionen Jahren. Wahrscheinlich bewohnten sie fließende Gewässer und nicht, wie sonst vermutet, Teiche, denn diese Lebensweise pflegen die laut Wakes und Co entwickelten Stammbaum ursprünglichen Formen. Durch die Neuordnung geraten nun allerdings Teichbewohner in verschiedene Gruppen – was aber kein Problem darstellt: Es bedeutet nur, dass sich verschiedene Anpassungen an das Leben in Stillgewässern mehrfach unabhängig voneinander entwickelt haben und nicht von einem gemeinsamen Vorfahren vererbt wurden. Kein Einzelfall in der Evolution.

Den Ursprungsort sehen die Wissenschaftler im heutigen Nordchina. Warum? Weil von dort bislang die meisten Fossilien stammen – und weil eine der am frühesten abgespaltenen Gattungen dort vorkommt. Außerdem kennen Forscher bislang zwar Überreste der Familie aus Europa, nicht aber aus Nordamerika. Wären die Winkelzahnmolche aber zu jener Zeit in Europa entstanden, hätten sie sicherlich über die damals noch bestehende Landverbindung zwischen den Nordkontinenten auch Amerika besiedelt, erklären Wake und Co. So aber mussten sie sich von Ostasien aus erst ihren Weg bahnen – der ihnen damals mangels Himalaja in flacher Landschaft mit feuchtem Klima durchaus noch offenstand. Als sie dann schließlich vor etwa 50 Millionen Jahren den westlichen Rand Eurasiens erreichten, war Nordamerika schon entschwunden – der Sprung in die Neue Welt blieb ihnen damit verwehrt.

Ohne den entsprechenden Umweltdruck in der für sie angenehmen Umwelt war in diesen Jahrmillionen auch evolutionstechnisch nicht viel passiert: Erste Verzweigungen im jungen Stammbaum stellten die Wissenschaftler erst mit Beginn des Tertiärs vor 65 Millionen Jahren fest, die sich dann im Eozän häufen. Barrieren mussten entstanden sein, um dieses Muster zu erklären. Sie sind schnell gefunden: Indien hatte zu dieser Zeit seine Ozeanüberquerung beendet und war auf den eurasischen Kontinent geprallt. Die neu angedockte Landmasse im Süden veränderte gravierend die Niederschlagsmuster im Hinterland. Das Austrocknen der Inneren Mongolei, das demnach um 50 Millionen Jahre vor heute eingesetzt haben musste, machte die einst so ausgedehnte Heimat höchst ungemütlich für die feuchtebedürftigen und wenig wanderfreudigen Amphibien, die nun durch Trockenregionen verinselt wurden.

Nur zehn Millionen Jahre später beobachteten die Forscher in ihren Analysen eine ähnliche Zersplitterung. Unter anderem tritt nun erstmals eine Gattung auf, deren Angehörige als einzige der Hynobiidae oberhalb von 2500 Metern noch existieren. Dementsprechend muss also mindestens der östliche Teil des Tibetischen Hochplateus vor 40 Millionen Jahren diese Höhe überschritten haben, folgern Wake und seine Kollegen – ein weiteres Zeichen für die oft diskutierte schnelle Hebung des Plateaus. Der letzte Streich in der Artentstehung folgte dann vor etwa 24 Millionen Jahren. Damals, so schließen die Wissenschaftler, wurde Südost-Tibet Zeuge intensiver Gebirgsbildung.

Bleibt die Frage, ob die Analysen der Forscher Anklang finden. Denn häufig gilt die Maxime: Wer ähnlich aussieht, wird wohl verwandt sein. Bei den Winkelzahnmolchen beispielsweise gibt es Arten mit vier und solche mit fünf Zehen an den Hinterfüßen. Es liegt also nahe, die Vierzeher einer Gruppe zuzuordnen und die Fünfzeher einer anderen, zumal wenn noch weitere Merkmale jeweils übereinstimmen. Doch manchmal, das ist der Lauf der Wissenschaft, sind einfache Annahmen einfach falsch. Oder zumindest diskussionswürdig. So wäre es auch im Fall der Hynobiidae: Nach Wakes Stammbaum würden morphologisch ähnliche Gruppen auseinander gerissen und völlig bunt neu zusammengestellt werden. Hier dürfte daher weitaus mehr Diskussionsstoff liegen als in der molekularbiologischen Datierung geotektonischer Ereignisse – denn ein paar Zehen mehr hin oder her sind mit Sicherheit umstrittener als ein paar Millionen Jahre.

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