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Soziale Medien: »Beauty-Filter verändern, wie wir die Welt sehen«

Schmale Nase, volle Lippen, makellose Haut: Beauty-Filter boomen in sozialen Netzwerken. »Sie zeigen, wie stark Schönheitsideale in der Gesellschaft verankert sind«, sagt der Psychologe Helmut Leder.
Zwei junge Frauen machen ein Selfie mit ihrem Smartphone
Viele Menschen möchten sich auf Fotos gerne vorteilhaft präsentieren. Soziale Netzwerke haben nun eine technische Lösung dafür gefunden: Beauty-Filter.

Der Wunsch nach Körpervielfalt wächst, und Schönheitsideale werden zunehmend kritisch hinterfragt. Dennoch lassen sich immer mehr Menschen von Beauty-Filtern in sozialen Netzwerken ködern. Für Aufregung sorgte jüngst vor allem der Filter »Bold Glamour« von TikTok, der Nutzerinnen und Nutzern in ihren Videos per Klick ein makelloses Make-up und einige Schönheitskorrekturen ins Gesicht zaubert. Das Endprodukt wirkt im Vergleich zu denen anderer Filtern, denen man die Bildbearbeitung oft auf den ersten Blick ansieht, verhältnismäßig echt. Warum viele Menschen solche Anwendungen spannend finden, sie unsere Wahrnehmung aber auf ungünstige Weise beeinflussen können, erklärt der Psychologe und Ästhetik-Forscher Helmut Leder im Interview.

»Spektrum.de«: Herr Leder, gängige Schönheitsideale werden heutzutage zunehmend in Frage gestellt und aufgebrochen. Warum nutzen dennoch so viele Menschen – zum Beispiel auf TikTok oder Instagram – Filter, um ihre Nase schmaler, die Haut feinporiger und den Mund voller aussehen zu lassen?

Helmut Leder: Die Körper und Gesichter, die wir in den Medien, der Werbung und auf sozialen Netzwerken wie TikTok und Instagram sehen, sind tatsächlich diverser geworden. Das ist erst einmal begrüßenswert. Gleichzeitig erweckt es den Eindruck, dass sich auch die Schönheitsideale ändern. Beauty-Filter zeigen uns hingegen, dass das so nicht stimmt. Merkmale wie eine schmale Nase, reine, faltenlose Haut, volle Lippen und große Augen finden anscheinend immer noch sehr viele Menschen schön und erstrebenswert. Wir vermuten, dass das auch biologische Ursachen hat.

Können Sie das erklären?

Helmut Leder | ist Professor für Allgemeine Psychologie an der Universität Wien, wo er 2004 den Forschungsschwerpunkt Empirische Ästhetik begründete. 2020 erhielt Leder den Arnheim Award der American Psychological Association (APA) für herausragende Leistungen in Psychologie und Kunst.

Die Filter lassen Menschen jünger aussehen. Und jugendliches Aussehen finden wir aus evolutionsbiologischen Gründen anziehend, weil wir es mit einem guten Fortpflanzungspotenzial verbinden. Dazu zeigt uns der Boom an Beauty-Filtern, wie stark die traditionellen Schönheitsideale in unserer Gesellschaft verankert sind. Um diese zu ändern, braucht es vermutlich mehrere Generationen. Das Problem ist, dass die Filter die Merkmale, die viele als schön empfinden, stark überbetonen. Sie schaffen also Ideale, die für einen Großteil der Menschen gar nicht erreichbar sind.

Und das schlägt vielen wiederum auf die Psyche?

Genau. Das Posten, Liken und Kommentieren idealisierter Bilder setzt Menschen unter Druck und kann das Selbstwertgefühl mindern. Das fördert Gefühle von Unzulänglichkeit und macht im Extremfall unglücklich oder kann zur Entwicklung einer Essstörung beitragen. Daran sind dann natürlich nicht allein die Filter schuld, sie liefern jedoch den passenden Nährboden.

Einige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Boston University sprechen schon von »Snapchat-Dysmorphia«, gemeint sind damit die Selbstzweifel, die durch das ständige Bearbeiten von Selfies entstehen können. Eine junge Frau schreibt auf Instagram beispielsweise, sie fände sich ohne Filter gar nicht mehr schön.

Den Begriff kannte ich so noch nicht. Das Phänomen kann ich mir jedoch gut vorstellen. Wenn ich die Fotos, die ich von mir mache, mit Filtern immer wieder korrigiere und manipuliere, schaffe ich ein Ideal von mir selbst, das mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun hat, was dann wiederum zu Unzufriedenheit und Selbstzweifeln führt. Auch aus diesem Grund steigt die Zahl der Schönheitsoperationen vermutlich seit Jahren.

Jugendliche scheinen besonders gefährdet zu sein. Woran liegt das?

Die Pubertät ist per se eine vulnerable Phase. Junge Menschen emanzipieren sich in dieser Zeit von ihren Eltern, streben nach Autonomie und fragen sich, wer sie sind und wer sie sein wollen. Dazu verändert sich der Körper, und die Hormone sind in Aufruhr, was wiederum die Stimmung schwanken lässt. Menschen, deren Selbstwertgefühl noch nicht so stabil ist, versuchen dann möglicherweise, dieses über ihr Aussehen zu stärken, verbunden mit der Vorstellung: Wenn ich schön bin, bin ich glücklich, gehöre dazu und werde gemocht. Das kann ein Grund für Jugendliche sein, ihr Gesicht mit Filtern zu manipulieren. Problematisch ist außerdem, dass die vielen bearbeiteten Gesichter dazu führen können, dass sich unser Prototyp von Schönheit verändert.

Was meinen Sie damit?

Wir beurteilen Attraktivität anhand einer Art Prototyp, der repräsentiert, was wir als attraktiv empfinden und nach dem wir uns selbst und die Menschen um uns herum bewerten. Gebildet wird dieser Prototyp durch die Summe der Erfahrungen, die wir im Lauf unseres Lebens machen, also durch die Masse an Gesichtern, die wir sehen. In der Regel finden wir daher durchschnittlich aussehende Gesichter besonders attraktiv, also solche, deren Merkmale durchschnittlich stark ausgeprägt sind: mittelgroße Nase, mittelbreites Kinn und so weiter. Besteht diese Masse an Bildern, aus denen wir unseren Prototyp formen, nun allerdings immer mehr aus künstlich bearbeiteten Gesichtern, entfernt er sich zunehmend von der Realität.

Der Prototyp, auf dessen Grundlage wir die Welt vermessen und unsere Schönheitsideale bilden, spiegelt also nicht mehr den Durchschnitt wider.

Richtig. Für Jugendliche, deren Prototyp noch nicht so gefestigt ist, ist das natürlich besonders gefährlich. Denn es kann dazu führen, dass sie sich selbst und auch andere als weniger schön empfinden. Mit zunehmender Lebenserfahrung lässt sich das vielleicht wieder etwas korrigieren. Doch dazu bräuchte es wohl viel Zeit und massive Interventionen, wie den Verzicht auf künstlich verschönerte Gesichter.

Neu ist dieses Phänomen ja eigentlich nicht. Im Grunde kennen wir bearbeitete Gesichter und unrealistische Körperbilder aus zahlreichen Werbungen, von Spielzeugen wie Barbiepuppen oder auch aus Filmen von Walt Disney.

Der Unterschied ist allerdings die schiere Anzahl an Bildern, mit denen wir heutzutage konfrontiert sind, und dass jeder Mensch seine Selfies selbst bearbeiten kann. Das war früher, als wir vielleicht nur an einigen Plakaten von gephotoshopten Personen vorbeigelaufen sind und danach noch durch eine Modezeitschrift geblättert haben, nicht der Fall. Inzwischen lassen sich außerdem nicht mehr bloß Fotos künstlich manipulieren, sondern auch Videos. Kennzeichnungen wie »Dieses Foto oder dieses Video ist bearbeitet« helfen hier kaum, da unser Gesichtserkennungsprogramm innerhalb von Millisekunden funktioniert und Fotos für Abbildungen der Realität hält.

In Großbritannien verbot man Influencerinnen und Influencern im Jahr 2021 sogar, Filter zu benutzen, um bestimmte Effekte von Kosmetikprodukten zu bewerben. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Das ist zumindest ein Signal. Filter lassen sich jedoch kaum verbieten; tatsächlich ist ja nicht jeder Filter schädlich. Neben Schönheitsfiltern gibt es auch solche, mit denen wir uns älter und faltiger aussehen lassen können, wieder andere verwandeln unser Gesicht in das eines Neugeborenen oder eines Tiers. Das kann durchaus lustig sein.

Kann das Verwenden von Filtern also auch positive Effekte haben?

Wenn Jugendliche sich fragen, wie sie sind, könnten Filter dabei helfen, verschiedene Identitäten auszuprobieren und sich auszutesten. Ein spielerischer Umgang unterstützt dabei vielleicht sogar, sein Aussehen nicht mehr so wichtig zu nehmen. Das sind aber nur Hypothesen, die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen noch überprüfen müssen. Wie bei jedem Medium geht es vermutlich auch bei Filtern um die Frage, wie man sie nutzt. Filter an sich sind ja nicht gefährlich.

Empfehlungen zum Umgang mit Beauty-Filtern

Eine gute Übersicht an Tipps geben etwa die Autoren und Autorinnen der EU-geförderten Projekte saferinternet.at oder auch klicksafe.de. Sie raten beispielsweise …

  • die Benutzung von Filtern bewusst zu reflektieren. Das gilt für die Bilder von anderen, aber auch für eigene Selfies.
  • Filter nicht als ein Muss anzusehen. Mittlerweile präsentieren sich auch in sozialen Medien immer mehr Menschen bewusst ungeschönt. Verwendet werden hier Hashtags wie #nofilter oder #facepositivity.
  • Filter auch humorvoll zu nutzen. So genannte Spaßfilter können einen kreativen und humorvollen Umgang mit dem eigenen Aussehen fördern.
  • die Nutzung von sozialen Netzwerken bewusst zu reduzieren, falls man merken sollte, dass einen die Bilder unter Druck setzen. Hilfreich kann es außerdem sein, die »Gefällt mir«-Angaben – wo möglich – auszuschalten.

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