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Naturkatastrophen: Tod und Verderben am Vesuv

"Schon war es anderswo Tag, dort war Nacht, schwärzer und dichter als alle Nächte." Mit diesen Worten schildert Plinius der Jüngere die letzten Stunden seines Oheims Plinius der Ältere, der sich während des Untergangs von Pompeji todesmutig in die Evakuierung der Stadt stürzte. Dieser Ausbruch des Vesuvs 79 n. Chr. gilt als einer der schlimmsten unseres Kontinents - doch weit heftigere könnten drohen.
Verschütteter der Avellino-Eruption am Vesuv
Die Zerstörung Pompejis kam nicht überraschend – sie kündigte sich an. Das Hors d'oeuvre des Vernichtungswegs bildete eine gewaltige Explosion, die den verstopften Schlot des Vesuv frei pustete und anschließend die Städte Pompeji, Herculaneum und Stabiae unter einer drei Meter mächtigen Aschedecke begrub: Giftige Gase erstickten die ersten Unglücksseligen, während Bimssteine, Schlacken und Lapilli wie ein Trommelfeuer auf die Dächer der römischen Siedlungen prasselten.

Wer konnte, floh aus den Städten oder in die unter Beschuss stehenden Häuser. Vielen boten diese eine vorerst sichere Zuflucht, anderen wurden sie aber zum Sarg, weil sie unter der Last von Vesuvs feurigem Sputum zusammenbrachen: Etwa ein Drittel der Bewohner Pompejis kam in diesem ersten Feuersturm ums Leben. Dann aber gewährte der Berg den Überlebenden eine Pause, weshalb auch die Geflohenen zurückkehrten, um sich an die Aufräumarbeiten zu machen oder um Hab und Gut in Sicherheit zu bringen.

Doch die Ruhe war nur jene vor dem endgültigen Inferno, denn einen Tag später, am 25. August 79 n. Chr., sandte der Vesuv einen zweiten Gruß aus den Gluthöllen der Erde: Pyroklastische Ströme – heiße, staubgefüllte Gaswolken – schossen die Flanken des Vulkans hinab und versengten jegliches Leben in ihrem Einflussbereich: Geschätzte 12 000 bis 15 000 Menschen kamen in jener ersten, vor Ort durch Plinius den Jüngeren wissenschaftlich dokumentierten Naturkatastrophe ums Leben.

Skelett als Zeuge | Zeuge der Vergangenheit: Manche konnten oder wollten nicht vor dem Vesuv fliehen und blieben als Zeugnis für die Archäologen erhalten.
Durch diese Aufzeichnungen, mehr aber noch durch die archäologischen Ausgrabungen seit dem 19. Jahrhundert – als Pompeji und seine Nachbargemeinden von der Forschung wiederentdeckt wurden – gehört der Untergang der römischen Siedlungen zu den bekanntesten Naturkatastrophen, die durch Vulkane ausgelöst wurden. Der Vesuv thronte aber zu allen Zeiten seiner Existenz über dem Golf von Neapel als unruhiger Feuerberg, dessen Ruhephasen immer trügerische waren und dann in vernichtenden Eruptionen endeten. Und das lässt auch für die Zukunft nichts Gutes erwarten, leben doch heute im Umfeld des Vesuvs Millionen Menschen.

Ausgehend von den Zeugnissen vergangener Katastrophen warnen denn auch Geologen um Guiseppe Mastrolorenzo vom italienischen Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie in Neapel vor den Gefahren durch den schlafenden Botschafter des römischen Feuergottes Volcanus. Zu diesem Zwecke rekonstruierten sie den Ablauf eines noch weit älteren Ausbruchs, der vor 3780 Jahren stattfand und als so genannte Avellino-Eruption in die Lehrbücher der Vulkanforscher einging.

Schon damals zerstörte eine für den Vesuv typische heftige plinianische Eruption – benannt zu Ehren von Plinius – bronzezeitliche Dörfer bis in 25 Kilometer Entfernung vom Krater durch heftigen Ascheregen und pyroklastische Ströme, wie sie später eben auch Pompeji heimsuchten. Insgesamt gingen damals mehr als vier Kubikkilometer Material auf die Umgebung hernieder und erstickten dort jegliches Leben, sofern es nicht fliehen konnte. Bei ihren Ausgrabungen fanden die Forscher denn auch die Skelette von trächtigen Ziegen und anderen Haustieren, die in ihren Ställen zurückgelassen wurden, sowie von Menschen, die ebenfalls die Gefahr nicht erkennen wollten oder konnten.

Plinianische Ausbrüche haben allerdings den Vorteil, dass sie sich schon Tage oder Monate im Voraus durch allerlei vulkanische Aktivität ankündigen. Und wenn es dann soweit ist, setzen sie mit der Ausschüttung enormer Aschemengen ein, die zwar lästig und in Einzelfällen lebensbedrohlich sind. Aber sie gewähren den Anwohnern zuerst noch eine Chance zum Exodus. Entsprechende Zeichen entdeckten die Wissenschaftler ebenfalls, denn sie legten ebenso unzählige konservierte Fußspuren von Mensch und Tier in den Lavaschichten frei, die aus dem Krisengebiet fortführen.

So dürfte die Zahl der damaligen Opfer außerhalb des unmittelbaren Kraterumfelds für eine Katastrophe dieses Ausmaßes vergleichsweise gering geblieben sein. Was die Forscher jedoch schreckte, waren vor allem zwei Aspekte: Die Spuren der Evakuierung fanden sich nur sieben Kilometer außerhalb der heutigen Stadt Neapel, die selbst von etwa drei Meter dicken Ablagerungen zugeschüttet wurde. Ein derart heftiges, neuerliches Erwachen des Vesuvs könnte also auch die süditalienische Metropole treffen und dort das öffentliche Leben zum Erliegen bringen.

Spuren in der Asche | Spuren in der Asche bezeugen den Exodus der Bewohner rund um den Vulkan – sie gingen und kamen über Jahrzehnte nicht mehr wieder.
Was die Angelegenheit für heutige Tage allerdings noch bedenklicher macht, ist der anschließende Fehlversuch, das Notstandsgebiet wieder zu besiedeln. So hatten einige Überlebende neue Hütten direkt oberhalb der so genannten Avellino-Aschen errichtet. Das absolute Fehlen weiterer archäologischer Zeugnisse eines normalisierten Alltags lässt Mastrolorenzo und seine Kollegen aber vermuten, dass die Gegend bald wieder für mehrere Jahrhunderte von den Heimkehrern aufgegeben wurde. Selbst noch in siebzig Kilometern Entfernung gibt es nach Angaben der Vulkanologen und Archäologen keine Zeugnisse einer entsprechenden Wiederbesiedelung. Denn Vulkanasche ist nicht von Anfang an jenes fruchtbare Substrat, das vulkanische Böden so begehrt für Ackerbau macht. Vielmehr führt sie anfänglich zu einer regelrechten Desertifikation, denn es hat kein natürliches Bodengefüge und bindet Wasser nur schlecht. Schlammströme treten bei Starkregen häufig auf, zudem ist die Asche mit giftigen Elementen angereichert: Ackerbau und Viehzucht scheiden folglich auf lange Zeit aus.

Zudem beeinträchtigen die feinen Stäube, giftige Ausgasungen und verseuchtes Wasser über kurz oder lang die Gesundheit der Bevölkerung, sodass nicht nur der Mangel an Nahrungsmitteln zum Problem wird. All das lässt die Wissenschaftler eine scharfe Warnung für heute aussprechen, denn ein neuer katastrophaler Ausbruch dürfte in nächster Zeit bevorstehen: Der Vesuv scheint alle 2000 Jahre ein entsprechend heftiges Lebenszeichen auszusenden, und die Forscher geben eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit für ein derartiges Ereignis im nächsten Jahr an.

Heute leben mehr als drei Millionen Menschen im Großraum Neapel, mehr als 50 000 Häuser wurden überwiegend illegal in der roten Zone – dem unmittelbaren Gefahrenbereich jedes halbwegs großen Ausbruchs – errichtet. Und wie ein Amphitheater öffnet sich die Caldera des Vesuvs gen Westen, was pyroklastische Ströme leicht in diese Richtung und damit gen Neapel lenken könnte. In seinen Briefen schrieb Plinius: "Jetzt schien es uns ratsam, die Stadt zu verlassen. Eine verstörte Menschenmenge schließt sich uns an, lässt sich – was bei einer Panik beinahe wie Klugheit aussieht – lieber von fremder statt von der eigenen Einsicht leiten und stößt und drängt uns in endlosem Zuge mit sich fort." Das aber würde heute nicht mehr ausreichen.

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