Ökologie: Tödliche Erholungsmaßnahmen
Überfischung hat auch die Forellenpopulationen in manchen Seen an den Rand des Aussterbens gebracht. Mehr Futter, so möchte man meinen, sollte ihnen helfen, sich langsam zu erholen. Doch Ergebnisse aus Norwegen plädieren für das exakte Gegenteil.
Im frühen 20. Jahrhundert beherrschte die Forelle (Salmo trutta) den nordnorwegischen nährstoffarmen Takvatn-See. Doch nur wenige Jahrzehnte später hatte sich das Bild vollständig gewandelt: Überfischung hatte die Forellenbestände stark minimiert, die ihren Lebensraum zudem seit den 1930ern mit dem Seesaibling (Salvelinus alpinus) teilen mussten. Der Mitbewohner konkurrierte zwar mit Jungforellen um Futter wie Insektenlarven, diente aber durchaus auch als zusätzliche Nahrung. Trotzdem dominierte der Neubürger schnell die Fischgesellschaft im See.
See in Not
1980 schließlich war es höchste Zeit, etwas zu unternehmen – denn die Forellen waren, trotz der reichlichen Seesaibling-Futterversorgung, nahezu ausgelöscht. Doch was tun? Das auf den ersten Blick Naheliegende wäre: Forellen einsetzen, eine durchaus übliche Praxis. Doch norwegische Forscher durchdachten das Problem noch einmal und wählten einen zunächst verblüffend erscheinenden anderen Weg: Sie nahmen den Forellen ihre Beute, den Seesaibling, weg. Allerdings nur die alten, ausgewachsenen Exemplare. Und der Erfolg, den sie nun sehen, gibt ihnen Recht.
Dahinter steckt ein Mechanismus, der auf dem Effekt größenabhängiger Prädation beruht – wenn also ein Räuber Beute einer bestimmten Körpergröße bevorzugt. Angelt er sich gern die kleineren Exemplare heraus, verringert sich in dieser Größenklasse die innerartliche Konkurrenz. Bei weniger Gerangel um das eigene Futter können sich die verbleibenden Tiere besser und schneller entwickeln und auch selber wieder erfolgreicher fortpflanzen. Anders als vielleicht gedacht, sinkt also durch den Beutedruck auf die kleinen Individuen deren Dichte nicht, sondern sie steigt durch die angekurbelte Nachwuchsproduktion.
Werden die hungrigen Regulatoren nun allerdings selten – wie im Falle der Forellen –, bleibt der Wettbewerb unter den Beutetieren erhalten. Sie wachsen daher langsamer heran und bekommen später Nachwuchs. Die Folge: Die Versorgungslage für die noch verbleibenden Räuber verschärft sich immer weiter. Der Kollaps ihrer Population scheint unausweichlich.
Beute reduzieren
An genau dieser Stelle wollten die Wissenschaftler um Per-Arne Amundsen, Anders Klemetsen und Rune Knudsen einhaken: Von 1984 bis 1989 wurden insgesamt 666 000 ausgewachsene Seesaiblinge aus dem See gefischt. 1991, so berichten die Forscher um Erstautor Lennart Persson von der Universität Umeå, lebte nur noch ein Fünftel der ursprünglichen Saibling-Population im Takvatn-See. Mit dieser Maßnahme wollten sie die Fortpflanzung der Beutetiere anregen und so wieder für mehr fressbaren Nachwuchs sorgen. Auf dieser Grundlage sollten sich dann die Forellen erholen und bei wachsender Zahl auch in der Lage sein, den Bestand der Beute wieder selbst zu kontrollieren.
Der Plan ging auf. Die Zahl der Seesaiblinge erreichte zwar noch einmal knapp die Hälfte ihres Bestands von 1984, doch nimmt seitdem wieder, langsamer werdend, ab. Die Forellendichte hingegen stieg von 1989 bis 1992 und hält sich seitdem auf dem Niveau von etwa zwölf Prozent der Saibling-Dichte. Ein durchaus natürlicher Wert: In einem Kontrollsee liegt der Forellenanteil bei 15 Prozent. Das ganze System, so zeigt sich, ist auf dem besten Weg zurück zu stabilen Verhältnissen.
Voller Erfolg
Dies lässt sich nicht nur an den absoluten Zahlen der Fischpopulationen sehen. Wie in den theoretischen Überlegungen vorhergesagt, nahm die Beutedichte abgesehen von den kleinsten Vertretern ab und die Räuberdichte zu, die Saiblinge zeigen nun wieder ein breiteres Größenspektrum – Anfang der 1980er waren bei weitem die meisten Tiere zwischen 16 und 21 Zentimetern lang –,der Anteil der kleinen, als Futter für die Forellen geeigneten Exemplare hat deutlich zugenommen und die Tiere wachsen deutlich schneller. Ihr Bestand zeigt regelmäßige Schwankungen – "das deutet klar darauf hin, dass das System sich über gedämpfte Oszillationen einem Gleichgewicht nähert", so die Forscher. In Jahren mit guter Saiblingbestückung waren denn auch die Forellen in bester körperlicher Verfassung.
Die Fischeinsetzmethode hätte übrigens dem Modell der Forscher zufolge riesige Mengen an Forellen erfordert, um zum selben Erfolg zu gelangen. Das Entfernen von älteren Beutefischen erweist sich daher als die praktikablere Lösung, sicher auch für viele andere Seen, in denen ähnlich niedriger Raubfischbesatz mit Kleinfisch-Futtervorlieben für vergleichbare Probleme sorgt. Darüberhinaus gibt es den Effekt der größenabhängigen Prädation auch in zahlreichen anderen Lebensgemeinschaften aller Sorten. Vielleicht also funktioniert die zunächst so merkwürdig anmutende Rettungsidee aus einem nordnorwegischen See auch in einem Trockengebiet südlich der Sahara, einem bedrohten Korallenriff oder einem Fleckchen Regenwald.
See in Not
1980 schließlich war es höchste Zeit, etwas zu unternehmen – denn die Forellen waren, trotz der reichlichen Seesaibling-Futterversorgung, nahezu ausgelöscht. Doch was tun? Das auf den ersten Blick Naheliegende wäre: Forellen einsetzen, eine durchaus übliche Praxis. Doch norwegische Forscher durchdachten das Problem noch einmal und wählten einen zunächst verblüffend erscheinenden anderen Weg: Sie nahmen den Forellen ihre Beute, den Seesaibling, weg. Allerdings nur die alten, ausgewachsenen Exemplare. Und der Erfolg, den sie nun sehen, gibt ihnen Recht.
Dahinter steckt ein Mechanismus, der auf dem Effekt größenabhängiger Prädation beruht – wenn also ein Räuber Beute einer bestimmten Körpergröße bevorzugt. Angelt er sich gern die kleineren Exemplare heraus, verringert sich in dieser Größenklasse die innerartliche Konkurrenz. Bei weniger Gerangel um das eigene Futter können sich die verbleibenden Tiere besser und schneller entwickeln und auch selber wieder erfolgreicher fortpflanzen. Anders als vielleicht gedacht, sinkt also durch den Beutedruck auf die kleinen Individuen deren Dichte nicht, sondern sie steigt durch die angekurbelte Nachwuchsproduktion.
Werden die hungrigen Regulatoren nun allerdings selten – wie im Falle der Forellen –, bleibt der Wettbewerb unter den Beutetieren erhalten. Sie wachsen daher langsamer heran und bekommen später Nachwuchs. Die Folge: Die Versorgungslage für die noch verbleibenden Räuber verschärft sich immer weiter. Der Kollaps ihrer Population scheint unausweichlich.
Beute reduzieren
An genau dieser Stelle wollten die Wissenschaftler um Per-Arne Amundsen, Anders Klemetsen und Rune Knudsen einhaken: Von 1984 bis 1989 wurden insgesamt 666 000 ausgewachsene Seesaiblinge aus dem See gefischt. 1991, so berichten die Forscher um Erstautor Lennart Persson von der Universität Umeå, lebte nur noch ein Fünftel der ursprünglichen Saibling-Population im Takvatn-See. Mit dieser Maßnahme wollten sie die Fortpflanzung der Beutetiere anregen und so wieder für mehr fressbaren Nachwuchs sorgen. Auf dieser Grundlage sollten sich dann die Forellen erholen und bei wachsender Zahl auch in der Lage sein, den Bestand der Beute wieder selbst zu kontrollieren.
Der Plan ging auf. Die Zahl der Seesaiblinge erreichte zwar noch einmal knapp die Hälfte ihres Bestands von 1984, doch nimmt seitdem wieder, langsamer werdend, ab. Die Forellendichte hingegen stieg von 1989 bis 1992 und hält sich seitdem auf dem Niveau von etwa zwölf Prozent der Saibling-Dichte. Ein durchaus natürlicher Wert: In einem Kontrollsee liegt der Forellenanteil bei 15 Prozent. Das ganze System, so zeigt sich, ist auf dem besten Weg zurück zu stabilen Verhältnissen.
Voller Erfolg
Dies lässt sich nicht nur an den absoluten Zahlen der Fischpopulationen sehen. Wie in den theoretischen Überlegungen vorhergesagt, nahm die Beutedichte abgesehen von den kleinsten Vertretern ab und die Räuberdichte zu, die Saiblinge zeigen nun wieder ein breiteres Größenspektrum – Anfang der 1980er waren bei weitem die meisten Tiere zwischen 16 und 21 Zentimetern lang –,der Anteil der kleinen, als Futter für die Forellen geeigneten Exemplare hat deutlich zugenommen und die Tiere wachsen deutlich schneller. Ihr Bestand zeigt regelmäßige Schwankungen – "das deutet klar darauf hin, dass das System sich über gedämpfte Oszillationen einem Gleichgewicht nähert", so die Forscher. In Jahren mit guter Saiblingbestückung waren denn auch die Forellen in bester körperlicher Verfassung.
Die Fischeinsetzmethode hätte übrigens dem Modell der Forscher zufolge riesige Mengen an Forellen erfordert, um zum selben Erfolg zu gelangen. Das Entfernen von älteren Beutefischen erweist sich daher als die praktikablere Lösung, sicher auch für viele andere Seen, in denen ähnlich niedriger Raubfischbesatz mit Kleinfisch-Futtervorlieben für vergleichbare Probleme sorgt. Darüberhinaus gibt es den Effekt der größenabhängigen Prädation auch in zahlreichen anderen Lebensgemeinschaften aller Sorten. Vielleicht also funktioniert die zunächst so merkwürdig anmutende Rettungsidee aus einem nordnorwegischen See auch in einem Trockengebiet südlich der Sahara, einem bedrohten Korallenriff oder einem Fleckchen Regenwald.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.