Topologische Datenanalyse: (K)ein Job für Quantencomputer
Um Quantencomputer wird viel Wirbel gemacht. In Wahrheit wissen wir aber immer noch nicht, wozu sie gut sein werden. Die neuartigen Geräte nutzen die kuriose Physik der subatomaren Welt und haben das Potenzial, Berechnungen durchzuführen, die gewöhnliche Computer nicht bewältigen können. Allerdings ist es schwierig, konkrete Algorithmen zu finden, die einen eindeutigen »Quantenvorteil« besitzen – die also die Fähigkeiten klassischer Maschinen weit übersteigen.
In den 2010er Jahren glaubten Computerwissenschaftler, eine Gruppe von Anwendungen ausgemacht zu haben, die diesen Vorteil belegt: Bestimmte Verfahren zur Datenanalyse schienen exponentiell schneller zu laufen, wenn ein Quantencomputer sie ausführte. Doch 2018 fand die damals 18-jährige Hochschulabsolventin Ewin Tangeinen Weg, der es auch klassischen Computern ermöglicht, jene Aufgaben effizient zu lösen. Damit verschwand der Vorteil, den Quantenalgorithmen versprochen hatten. »Eine Anwendung nach der anderen wurde einfach aus dem Weg geräumt«, erinnert sich der theoretische Informatiker Chris Cade bei QuSoft, einem niederländischen Forschungszentrum für Quantencomputer.
Eine 18-Jährige räumt unter den viel versprechenden Quantenalgorithmen auf
Ein Hoffnungsträger überstand jedoch Tangs Methode unbeschadet: Ein Quantenalgorithmus zur topologischen Datenanalyse (TDA), mit dem sich die »Form« von Daten untersuchen lässt, scheint erheblich effizienter zu sein als seine klassischen Varianten. Nach mehreren im September 2022 veröffentlichten Arbeiten sind einige Fachleute nun davon überzeugt, dass sich diese Art von Berechnungen gewöhnlichen Rechnern entzieht – vielleicht wegen einer verborgenen Verbindung zur Quantenphysik. Jener Quantenvorteil scheint jedoch nur unter ganz bestimmten Bedingungen aufzutreten, was die praktische Anwendbarkeit wieder in Frage stellt.
Der Informatiker Seth Lloyd vom Massachusetts Institute of Technology, der den TDA-Quantenalgorithmus mitentwickelt hat, erinnert sich noch lebhaft an dessen Entstehung im Jahr 2015. Damals hatten er und sein Kollege Paolo Zanardi einen Workshop in einem idyllischen Ort in den Pyrenäen besucht. Ein paar Tage nach Beginn der Veranstaltung schwänzten sie einige Vorträge und unterhielten sich stattdessen auf der Hotelterrasse angeregt über ein »extrem abstraktes« Datenanalyse-Verfahren, von dem sie gehört hatten.
»Das ist eine dieser mathematischen Disziplinen, die alles durchdringt. Topologie ist einfach überall«Vedran Dunjko, Quanteninformatiker
Zanardi hatte sich sofort in das Gebiet der Topologie verliebt, das der TDA zu Grunde liegt. Es befasst sich mit den Eigenschaften geometrischer Objekte, die erhalten bleiben, wenn man sie zusammendrückt, auseinanderzieht oder verdreht. »Das ist eine dieser mathematischen Disziplinen, die alles durchdringt«, so der Quanteninformatiker Vedran Dunjko von der Universität Leiden, »Topologie ist einfach überall.« Eine der zentralen Größen des Bereichs ist die Anzahl der Löcher in einem Objekt, die so genannte Betti-Zahl.
Topologen gehen dabei oft über unsere gewohnten drei Raumdimensionen hinaus und bestimmen die Betti-Zahlen in 4-, 10- oder sogar 1054-dimensionalen Strukturen. Das macht die Disziplin zu einem nützlichen Werkzeug, um große Datensätze zu untersuchen, die komplexe Korrelationen und Verbindungen in hunderten Dimensionen umfassen können.
Ein Ausflug in den Pyrenäen dient als Inspiration
Gegenwärtig sind klassische Computer häufig nur dazu in der Lage, Betti-Zahlen in bis zu vier Dimensionen zu bestimmen. Auf der Terrasse ihres Hotels in den Pyrenäen versuchten Lloyd und Zanardi, diese Grenze zu durchbrechen. Nach etwa einer Woche intensiver Diskussionen hatten sie das Grundgerüst eines Quantenalgorithmus entworfen, der Betti-Zahlen selbst für hochdimensionale Datensätze schätzen kann. Ihr Verfahren wurde kurz darauf in eine Gruppe von Kandidaten für Datenanalyse-Methoden aufgenommen, die einen eindeutigen Quantenvorteil haben könnten.
Inzwischen ist die TDA die einzige Anwendung der Gruppe, für die sich durch Tangs Arbeit kein effizienter klassischer Algorithmus finden ließ. Vedran Dunjko und seine Kolleginnen und Kollegen bewiesen 2020, dass sich die TDA durch Tangs Methode nicht beschleunigen lässt. Wenn überhaupt, bräuchte man dafür einen völlig anderen Ansatz. Damit ist zwar noch nicht ausgeschlossen, dass es klassische TDA-Verfahren gibt, die mit der Quantenversion mithalten können – aber es erscheint zunehmend unwahrscheinlich. Einen weiteren Hinweis darauf lieferte der theoretische Physiker Marcos Crichigno vom kalifornischen Start-up QC Ware zusammen mit Cade im Jahr 2021. Die zwei Wissenschaftler haben eine der TDA extrem ähnliche Aufgabe (jedoch ohne praktischen Bezug) ausgemacht, die klassische Computer nachweislich nicht effizient lösen können. Crichigno versucht nun, das Ergebnis auf die TDA zu übertragen.
Die Supersymmetrie als Schlüssel
Der Physiker hat auch eine Vermutung, weshalb Quantencomputer diese Art von Aufgaben besser meistern. Es könnte eine bisher unerwartete Verbindung zwischen der Quantenmechanik und der TDA geben: die Supersymmetrie. Sie bildet verschiedene physikalische Systeme aufeinander ab. In ihrer quantenmechanischen Version kommt diese Symmetrie ohne hypothetische Extrateilchen aus und erweist sich bei einigen Berechnungen als besonders hilfreich, zum Beispiel wenn man die Energieniveaus in Wasserstoffatomen bestimmen möchte. In den 1980er Jahren hatte der theoretische Physiker Edward Witten bewiesen, dass sich supersymmetrische Systeme leicht beschreiben lassen, wenn man die mathematischen Werkzeuge der Topologie verwendet. Davon inspiriert, nutzt Crichigno die Supersymmetrie, um topologische Größen zu bestimmen. Dieser Zusammenhang zur Quantenwelt könnte das sein, was die TDA von anderen Anwendungen unterscheidet, glaubt Cade: »Im Grunde ist TDA ein quantenmechanisches Problem, auch wenn es nicht so aussieht.«
Inzwischen haben Forschungsarbeiten von Amazon Web Services (AWS), Google und Lloyds Labor am MIT die möglichen Szenarien, in denen der Quantenvorteil von TDA am offensichtlichsten ist, allerdings erheblich eingegrenzt. Damit der Quantenalgorithmus exponentiell schneller läuft als klassische Verfahren (was der üblichen Messlatte für einen Quantenvorteil entspricht), muss die Anzahl hochdimensionaler Löcher in den Datensätzen unvorstellbar groß sein – in der Größenordnung von Billionen.
»Ich würde weder mein Haus noch mein Auto oder meine Katze darauf verwetten«Vedran Dunjko, Quanteninformatiker
»Solche Bedingungen sind in der realen Welt nur schwer zu finden«, sagt Cade. Es sei unklar, ob derartige Daten überhaupt existieren, so Ryan Babbush, einer der Hauptautoren der Google-Studie. Ewin Tang, die jetzt an der University of Washington promoviert, hält die TDA nicht für jene praktische Quantenanwendung, nach der die Informatiker suchen. Sie geht davon aus, dass Quantencomputer am ehesten nützlich sein werden, um etwas über Quantensysteme zu lernen – und nicht, um klassische Daten zu analysieren. Ein neuer kreativer Ansatz könnte jederzeit das schaffen, was Tang und ihren Kollegen bisher nicht gelang: ein effizientes TDA-Verfahren zu entwerfen, das auf gewöhnlichen Rechnern läuft. »Ich würde weder mein Haus noch mein Auto oder meine Katze darauf verwetten, dass das nicht passieren wird«, sagt Dunjko.
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