Topologisches Qubit: Warum der Microsoft-Durchbruch keiner ist

Ob »New York Times«, »The Guardian« oder »The Verge«: Überall wird vom außergewöhnlichen Durchbruch berichtet, den das US-Unternehmen Microsoft erreicht hat. Es soll einen neuen Materiezustand erzeugt haben, der es ermöglicht, neuartige Quantencomputer zu entwickeln, die deutlich störungsresistenter sind als bisherige Modelle. Auf Social Media äußern Expertinnen und Experten allerdings Bedenken. Die meisten Fachleute sind sich sicher, dass die vollmundigen Behauptungen der US-Firma nicht stimmen.
Seit Jahren jagen Physiker einem Geist nach, dem Majorana-Teilchen. Dank einer Art »Quanten-Gedächtnis« könnte es Quantencomputern ungeahnte Fähigkeiten verleihen. Einem solchen Majorana kann man aber nicht in freier Wildbahn begegnen – als Elementarteilchen scheidet es aus. Doch wie theoretische Physiker gezeigt haben, ließe es sich in Festkörpern erzeugen. Dazu muss man ein Material so geschickt beeinflussen, dass sich die Elektronen im Innern wie die vorhergesagten Majorana-Teilchen verhalten. Auch wenn die Theorie gut verstanden ist, hapert es aber noch bei der Umsetzung: Trotz jahrelanger Bemühungen ist es bislang keinem Forschungsteam gelungen, Majorana-Zustände hervorzurufen.
Am 19. Februar 2025 verkündete Microsoft in einer Pressemitteilung, die es zusammen mit einem Fachartikel bei »Nature« veröffentlichte, das habe sich nun geändert. In der Pressemitteilung erklärt der leitende Wissenschaftler von Microsoft, Chetan Nayak, erstmals einen Majorana-Zustand in einem Nanodraht nachgewiesen zu haben. Diese Behauptung zweifeln viele Fachleute jedoch an, darunter auch die Gutachter der »Nature«-Arbeit: »Das Redaktionsteam möchte darauf hinweisen, dass die Ergebnisse in diesem Manuskript keinen Beweis für das Vorhandensein von Majorana-Zuständen in den berichteten Geräten darstellen.«
Das große Rennen um die Qubits
Firmen, Start-ups und Universitäten auf der ganzen Welt liefern sich einen unerbittlichen Wettstreit um die Entwicklung leistungsfähiger Quantencomputer. Diese Geräte, die mit quantenmechanischen Informationseinheiten namens Qubits statt mit klassischen Bits rechnen, könnten Aufgaben lösen, die für gewöhnliche Computer außer Reichweite sind. Damit ließen sich neue Medikamente oder Materialien entwickeln. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Quanten-Geräte extrem empfindlich sind: Kleinste Störungen können die Qubits beeinflussen und eine Berechnung verfälschen.

Während Unternehmen wie Google oder IBM bereits Geräte mit bis zu 1000 Qubits verwirklicht haben, verfolgt Microsoft einen anderen Ansatz. Bisher gab es ihre Vision eines Quantencomputers nur auf Papier. Anders als die Konkurrenz wollte die Firma ein »topologisches« Qubit erzeugen. Eine solche mathematisch vorhergesagte Informationseinheit wäre wesentlich robuster als andere Qubits – und könnte dadurch zuverlässige Berechnungen ermöglichen, ohne dass man die Systeme besonders aufwändig von der Umgebung abschotten muss. Eine Möglichkeit, ein solches topologisches Qubit zu realisieren, bieten die beschriebenen Majorana-Zustände in Festkörpern.
Das Problem ist nur: Von diesen Zuständen fehlt bislang jede Spur. Obwohl Microsoft bereits hunderte Millionen US-Dollar in die Entwicklung von topologischen Qubits gesteckt hat, ist die Forschung von Misserfolgen geprägt. 2017 eröffnete die US-Firma ein Forschungszentrum in der Nähe der Technischen Universität Delft, das Leo Kouwenhoven, ein Professor am dortigen QuTech-Institut, leiten sollte. Ein Jahr darauf veröffentlichte das Team eine Arbeit in »Nature«, in der es verkündete, erstmals einen Majorana-Zustand nachgewiesen zu haben. Doch die ehemaligen Mitarbeiter von Kouwenhoven, Sergey Frolov und Vincent Mourik, machten im Frühling 2020 darauf aufmerksam, dass sich die Ergebnisse der Gruppe in Delft nicht reproduzieren lassen. Schließlich gestand auch Kouwenhoven ein, dass er und sein Team Fehler bei der Auswertung der Ergebnisse gemacht hätten, und zog seine Arbeit im März 2021 zurück. Andere Forschungsgruppen hatten in der Vergangenheit ebenfalls von einem Durchbruch berichtet, nur um die Behauptungen kurze Zeit später zurückzuziehen.
Das Problem besteht hauptsächlich darin, die Majorana-Zustände zweifelsfrei nachzuweisen. Denn in Festkörpern können allerlei andere Anregungen entstehen, die ähnliche Merkmale besitzen. Ein glaubhafter Nachweis müsste das Quanten-Gedächtnis der Zustände enthüllen – dafür müsste man mehrere Majorana-Zustände miteinander vertauschen und zeigen, dass sich die Vertauschung in ihrer Wellenfunktion ablesen lässt. Es genügt also nicht, einfach nur ein Majorana zu erzeugen, sondern man braucht gleich mehrere und muss diese extrem gut kontrollieren können. Eine echte Herausforderung.

All das haben die Fachleute bei Microsoft jedoch nicht gemacht. In ihrer bei »Nature« erschienenen Arbeit beschreiben sie einen supraleitenden Nanodraht aus Indiumarsenid. In Supraleitern bilden Elektronen immer Paare. Die Forschenden erklären, in dem Draht eine ungerade Anzahl an Elektronen gemessen zu haben, so dass eines davon ungepaart ist. In diesem Fall spaltet sich das überschüssige Elektron scheinbar auf: An jedem Ende des Drahts entsteht eine Anregung, die einem Majorana-Zustand entspricht. So zumindest die Theorie.
»Diese Messungen allein sagen nichts darüber aus, ob die nachgewiesenen niederenergetischen Zustände topologisch sind«Microsoft-Paper
Die Fachleute haben ein spezielles Protokoll genutzt, um nachzuweisen, dass der Nanodraht tatsächlich ein zusätzliches Elektron beherbergt. »Diese Messungen allein sagen nichts darüber aus, ob die nachgewiesenen niederenergetischen Zustände topologisch sind«, warnen die Autoren in der »Nature«-Veröffentlichung. Das betonen auch die Gutachter der Arbeit in ihrem Report.
Allerdings gibt Microsoft in der begleitenden Pressemitteilung an, in Folgeexperimenten zwei Nanodrähte in eine Überlagerung aus zwei Zuständen geführt zu haben. In einem Zustand befinde sich das zusätzliche Elektron im ersten Nanodraht, im zweiten Zustand sei es im zweiten Nanodraht. Eine solche quantenmechanische Überlagerung aus zwei Zuständen ist das, was Fachleute als Qubit bezeichnen. Doch das beweist nicht, dass der quantenmechanische Zustand wirklich topologisch ist und sich von herkömmlichen Qubits unterscheidet.
»Wenn sie neue Ergebnisse haben, die nichts mit dieser Arbeit zu tun haben, warum warten sie nicht, bis sie genug Material für eine separate Veröffentlichung haben?«, sagte der Physiker Daniel Loss von der Universität Basel gegenüber »Nature«. Er hatte im Mai 2024 zusammen mit Kollegen gezeigt, dass das von Microsoft genutzte Protokoll, um Majorana-Zustände zu detektieren, nicht zweifelsfrei funktioniert. Ebenjenes Protokoll zogen die Microsoft-Fachleute in ihrer aktuellen Studie aber heran. »Die Basler Theoretiker führten das Protokoll an Nicht-Majorana-Daten durch, und es ergab positive Ergebnisse«, erklärt Sergey Frolov, der in der Vergangenheit mit Microsoft gearbeitet hatte.
Neben dem Fachartikel hat die US-Firma auch einen Fahrplan veröffentlicht, in dem sie erklärt, wie sie künftig einen topologischen Quantencomputer bauen will. »Der Ansatz, einen Quantencomputer auf der Grundlage topologischer Majorana-Qubits zu bauen, wie er von Microsoft verfolgt wird, wird grundsätzlich nicht funktionieren« kommentiert Vincent Mourik vom Forschungszentrum Jülich. »Die Microsoft-Manager verbreiten seit Jahren die Geschichte, dass ihre Qubits und ihre Architektur viel besser und störungsresistenter sind als jede andere Plattform. Das ist einfach nicht wahr.«
Zudem äußern Fachleute Kritik an dem Fachmagazin »Nature«, das die Beiträge veröffentlicht hat. »Ich habe Zweifel, ob diese Arbeit es verdient, in der Zeitschrift ›Nature‹ veröffentlicht zu werden, weil ich denke, dass (…) die Beweise für eine tatsächliche topologische Phase bestenfalls dünn sind«, schreibt der Physiker Christian Dickel von der Universität zu Köln auf LinkedIn. »Es gibt definitiv noch kein topologisches Qubit.«
Auch die Wahl der Gutachter für den Artikel wird kritisiert: Einer von ihnen ist der Physiker Hao Zhang, der in der Vergangenheit nicht nur mit Microsoft zusammen veröffentlicht hat, sondern auch Koautor der zwei zurückgezogenen Fachartikel über Majorana-Zustände war. »Dass ›Nature‹ sich für Zhang als Gutachter entschieden hat, ist ein schwerer Fehler, der das Vertrauen in das Journal untergräbt«, schreibt Frolov auf der Social-Media-Plattform Bluesky.
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