Gedächtnis: Traumata fördern geistige Disziplin
Traumatische Erfahrungen können die Psyche stark belasten: Manche Betroffene erleben eine gefährliche Situation in intensiven Erinnerungen und Träumen immer wieder aufs Neue. Doch die meisten Menschen, die Gewalt, Katastrophen und Unfällen ausgesetzt sind, entwickeln anschließend keine solche Posttraumatische Belastungsstörung. Verblassen bei ihnen die schrecklichen Eindrücke einfach nach einer Weile? Oder lernen sie durch das Trauma vielleicht, ihre Erinnerungen besser zu kontrollieren?
Für Letzteres spricht eine neue Studie des Gedächtnisforschers Michael Anderson von der University of Cambridge und seines Kollegen Justin Hulbert vom Bard College in Annandale-on-Hudson. Ihre Versuchspersonen sollten zunächst eine Reihe willkürlich ausgewählter Wortpaare auswendig lernen wie »Kofferraum – Violine« oder »Straße – Leiche«. Danach wurde ihnen zum weiteren Training nur ein Begriff genannt, und den zweiten sollten sie ergänzen. Bei einigen Wörtern jedoch erhielten sie die Anweisung, möglichst nicht an das passende Gegenstück zu denken. Zum Schluss wurde abgefragt, wie gut sie die Wortpaare gelernt hatten. Um ihre Motivation bei diesem Test sicherzustellen, konnten die Probanden mit richtigen Antworten etwas Geld verdienen.
Tatsächlich hatten die Teilnehmer am Ende eher jene Wortpaare wieder vergessen, an die sie aktiv nicht denken sollten. Bei Versuchspersonen, die in ihrem Leben bereits traumatische Erfahrungen gemacht hatten, war dieser Effekt stärker ausgeprägt: Ihnen gelang es offenbar besser, die Assoziationen aus dem Kopf zu verbannen.
Traumata könnten demnach dazu führen, dass Menschen den Abruf ihrer Gedächtnisinhalte besser steuern lernen, schlussfolgern die Forscher. Viele Traumapatienten würden berichten, dass sie versuchen, möglichst wenig an das Geschehene zu denken. Dies wirke vermutlich wie eine Form kognitiven Trainings. Schon länger ist bekannt, dass widrige Erfahrungen in vielen Fällen die psychische Widerstandskraft auf lange Sicht eher stärken als schwächen – vor allem bei weniger drastischen Vorfällen. Das Phänomen wird als »posttraumatisches Wachstum« bezeichnet.
Hulbert und Anderson zufolge halten es viele Therapeuten für ungesund, Erinnerungen zu unterdrücken. Allerdings könne diese Strategie wirklich zur Löschung von Gedächtnisinhalten führen. Dafür müsse man sich aber Hinweisreizen aussetzen, die mit dem Trauma in Verbindung stehen. Nur dann könne man die anflutenden Erinnerungen gezielt abwehren.
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