spektrumdirekt unterwegs: Trauriges Schützenfest
Die Küsten der Balkanstaaten sind für Zugvögel wie Oasen in der Wüste und überlebensnotwendige Raststätten. Das wissen auch die Jäger, die hier auf sie lauern und schießen - oft illegal. Doch vor Ort keimt langsam Widerstand auf, wie Daniel Lingenhöhl für spektrumdirekt erleben durfte.
![Tote Vögel Tote Vögel](https://static.spektrum.de/fm/912/f2000x857/5x2.581160.jpg)
© Martin Schneider-Jacoby (Ausschnitt)
© Martin Schneider-Jacoby (Ausschnitt)
Lockvögel | Die Idylle trügt: Die Enten sind nicht echt, sonder Lockvögel, die ihre realen Ebenbilder ins verderben ziehen sollen.
Zumindest hier haben Martin Schneider-Jacoby von der Schutzorganisation Euronatur und der bosnische Filmemacher Ilhan Dervovic kein Glück mit ihrer Suche. Doch ist die Rohrdommel eigentlich auch gar nicht das Ziel ihrer viertägigen Reise auf dem Balkan. Es geht vielmehr um die weiterhin ausufernde Jagd auf Zugvögel in den wichtigsten Rastgebieten an der Adria, obwohl diese längst gesetzlich untersagt ist. Von der bosnischen Hauptstadt Sarajevo aus, wo 1984 die olympischen Winterspielen stattgefunden hatten, steht deshalb der Besuch einiger Projektgebiete auf dem Programm.
© Daniel Lingenhöhl (Ausschnitt)
Narzissen | Vorzeitiger Ostergruß: Auf dem Balkan blühen bereits die wilden Narzissen und bringen gelbe Farbtupfer in die noch braunen Wälder und auf die Wiesen.
"Ich kenne Deine Kinder. Überlege, ob Du mich anzeigst."
Der Krieg hat auch dazu geführt, dass der Tourismus lange brach lag, obwohl Bosnien viel zu bieten hätte: eine atemberaubende Landschaft mit schneebedeckten Bergen, wilden Flüssen und Schluchten, die ältere Leser wohl aus Karl Mays "In den Schluchten des Balkans" kennen dürften. Jetzt – zu Beginn des Frühlings – stehen viele der Talböden, die so genannten Poljes, unter Wasser und sollten Tausenden von Wasservögeln als Tankstelle zwischen Afrika und Osteuropa dienen. Doch Fehlanzeige: Wilderer schießen auf alles, was ihnen vor die Flinte fliegt. An günstigen Standorten türmen sich Patronenhülsen und stehen Schießstände im Schilf – kein Wunder, dass die Tiere scheu sind und schnell das Weite suchen. Geschossen werden sogar seltene Arten wie Moor- oder Knäkenten, deren Zahlen europaweit in die Knie gehen.
© Daniel Lingenhöhl (Ausschnitt)
Patronenhaufen | Ein allzu vertrauter Anblick: Berge leerer Patronen markieren besonders lukrative Jagdstandorte.
Je weiter man danach nach Süden fährt, desto schlimmer wird es: In Buljarica entdeckt Schneider-Jacoby direkt am Strand – einem "Naturmonument" – Jägerunterstände mit Lockenten, die Vögel anziehen sollen. In einem der Verstecke liegen frische tote Knäkenten und ein geschossener Graureiher, die als geschützte Arten illegal außerhalb der Jagdzeit erlegt worden waren. Noch als Martin Schneider-Jacoby und Ilhan Dervovic dies dokumentieren, tauchen vier zwielichtige Gestalten auf, von denen einer mit einem Gewehr bewaffnet ist. Das Auto ist zugeparkt, und die Situation droht zu eskalieren, denn immer wieder berichten Vogelschützer von handfesten Begegnungen mit Jägern. Die Erklärung, dass es sich nur um einen "Strandspaziergang" gehandelt hatte, beruhigt die Nimrode fürs Erste, so dass die Ausländer die "Flucht" antreten können – eine Ausrede, die am nächsten Ziel nicht mehr so locker aufgenommen wird.
Die Front am Strand
© Daniel Lingenhöhl (Ausschnitt)
Wilderei | Martin Schneider-Jacoby von Euronatur und Darko Saveljic betrachten ein frisch gewildertes Tüpfelsumpfhuhn – eine streng geschützte und seltene Art.
Dieser kleine Triumph wird mit Balkanbier, Schafsspeck und Käse mit Brot gefeiert – er ist der positive Höhepunkt des Tages. Denn nun geht es ins Hotel: in einen sozialistischen Betonbunker namens Olympic, der seine besten Zeiten vor etwa 30 Jahren hatte, als deutsche Touristen noch die regionalen Strände vollständig besetzt hielten. Vom einstigen Glanz ist jedoch nichts mehr geblieben: die Teppiche fleckig und speckig, der Aschenbecher voll, die Möbel abgenutzt, das warme Wasser abgedreht, der morgendliche Kaffee geruchlich und geschmacklich ein Mix aus Spülwasser und Kohleaufguss.
© Daniel Lingenhöhl (Ausschnitt)
Kastanienriesen | An den Ufern des Skutarisees wachsen urtümliche Kastanien, die immer noch traditionell genutzt werden.
Illegale Jagd – offen geduldet
Der Blick von einem Aussichtshügel offenbart weitere Wilderer, die von Booten aus auf dem Bojana-Fluss jagen und sogar in die Saline von Ulcinj eingedrungen sind, obwohl dies strikt verboten ist. Dort fliehen die Nimrode vor dem nahenden Landrover der Vogelschützer, doch zuvor haben sie ganze Arbeit geleistet. Die Becken der Salzfabrik könnten zehntausenden Vögeln eine sichere und ergiebige Rast- und Brutstelle bieten, doch versammeln sich nur wenige Enten, Reiher und Löffler sowie einige hundert Watvögel in der Nähe der Pumpstation. Dorthin wagt sich kein Jäger wegen der Fabrikarbeiter.
Die restlichen Teiche sind leergefegt, die Tiere geflohen. Ein Anblick, der Martin Schneider-Jacoby bedrückt: "Es ist erschreckend und traurig, dass Montenegro seine eigenen Gesetze nicht einhält. Die illegale Jagd wird offen geduldet. Das geht nicht nur zu Lasten der Zugvögel, sondern damit schneidet sich die Regierung auch ins eigene Fleisch." Offizielle Strategie ist es schließlich, den Tourismus in der Frühjahrs- und Herbstsaison wieder zu beleben, doch Naturreisende – die hier reichlich zu sehen bekommen könnten – lockt man so nicht.
© Daniel Lingenhöhl (Ausschnitt)
Skutarisee | Schneebedeckte Berge überragen Mitte März noch den Skutarisee zwischen Albanien und Montenegro.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben