Meerwasserentsalzung: Trinkwasser mit schmutzigem Geheimnis
Fast 30 Prozent der Menschheit haben laut Weltgesundheitsorganisation keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Trinkwasser. Mit der Weltbevölkerung wächst jedoch auch der Bedarf des lebenswichtigen Elixiers weiter an. Gleichzeitig nehmen die globalen Süßwasservorräte ab, zum einen auf Grund des Klimawandels, zum anderen durch Verschmutzung, Versalzung oder andere Belastungen des Grundwassers, etwa durch die Landwirtschaft.
Meerwasser und Brackwasser hingegen sind im Übermaß vorhanden. Deshalb gilt die Technologie der Entsalzung bis heute als Mittel der Wahl, um trinkbares Wasser in Mangelgebieten herzustellen. Das betrifft nicht nur die klassischen Wüstenstaaten des Mittleren Ostens, sondern auch Länder in Asien und Afrika, Europa und auf dem amerikanischen Kontinent, allen voran die USA.
Doch die Rückstände, die bei der Entsalzung anfallen, sind ein ökologisches Problem. Das jedenfalls sagen Umweltwissenschaftler am Institut für Wasser, Umwelt und Gesundheit der Universität der Vereinten Nationen (UNU-INWEH) im kanadischen Ontario in einer im Januar 2019 in »Science of the Total Environment« veröffentlichten Studie. Weltweit seien 15 906 Entsalzungsanlagen im Betrieb, die pro Tag 95 Millionen Kubikmeter Trinkwasser produzieren – und enorme Mengen Salzlauge. Diese übrig bleibenden Lösungen enthalten nicht nur hochkonzentrierte Salze des Meerwassers, sondern auch Chemikalien und Metalle, die dem zu entsalzenden Wasser zugesetzt werden oder aus den Anlagen erodieren. Wie aus der Studie zu entnehmen ist, summieren sie sich weltweit auf beinahe 52 Milliarden Kubikmeter pro Jahr.
Was von der Entsalzung bleibt
Je nach Verfahren handelt es sich um unterschiedliche Gruppen von Chemikalien – zum Beispiel Antifoulingmittel (Biozide), Antikalkbildner und Antischaumbildner – sowie deren und andere Abbauprodukte. In der Regel werden sie zusammen mit den Salzen ins Meer geleitet. Überall auf der Erde stehen die Entsalzungsanlagen deswegen entweder direkt an der Küste oder in Küstennähe, meist nicht weiter als einen bis zehn Kilometer vom Ozean entfernt. An Standorten im Inland werden die Rückstände auch in Oberflächengewässer wie Flüsse, Seen, Kanäle und Verdunstungsteiche gespült oder in Tiefbrunnen verpresst.
Die Entsalzung beruht grundsätzlich auf zwei verschiedenen Verfahren, die in unzähligen Varianten vorkommen: entweder auf Verdampfung und anschließender Kondensation – dies traditionell in den ölreichen Golfstaaten – oder auf der so genannten Umkehrosmose. Seit den 1980er Jahren hat sich die Umkehrosmose immer weiter verbreitet. Dabei wird Wasser unter Druck durch eine halb durchlässige Membran gepresst, die das flüssige Element passieren lässt und Salze zurückhält. Je salzhaltiger das Wasser, desto höher muss der Druck sein. Bei Brackwasser sind es weniger als zehn Bar, Meerwasser braucht zwischen 55 und 70 Bar. Das ist zwar technisch anspruchsvoller, verbraucht aber weniger Energie als das technisch einfachere Erhitzen und Verdampfen.
In Europa ist Spanien führend auf dem Gebiet der Entsalzung. Die im Jahr 2002 im spanischen Jávea bei Alicante errichtete Entsalzungsanlage mit Umkehrosmose, die 150 000 Menschen mit Trinkwasser versorgt, gilt dort als Pionier in der Solebehandlung, weil die salzhaltigen Rückstände erst mit Meer- und Oberflächenwasser verdünnt werden, bevor sie über 16 Rohre an verschiedenen Stellen in das mediterrane Hafenbecken fließen. Das soll eine möglichst schnelle Verteilung und weitere Verdünnung der potenziellen Schadstoffe (Biozide) gewährleisten.
In Deutschland wird auf der Insel Helgoland bereits seit Jahrzehnten Meerwasser entsalzt; seit Inbetriebnahme der Anlage 1976 ist es dort üblich, die anfallende Lauge zu verdünnen. Das Trinkwasser stammt zu rund 80 Prozent aus entsalztem Nordseewasser, der Rest wird aus Brackwasserbrunnen gewonnen – entsalzt werden jedoch beide Wasserarten. Bevor die Sole in die Nordsee gelangt, wird sie verdünnt: mit Wasser aus dem Meerwasserschwimmbad, dem Kurmittelhaus sowie mit Kühlwasser des Heizkraftwerks.
Neue Verfahren sind schon unterwegs
Wie groß das Problem mit solchen Rückständen weltweit tatsächlich ist, dazu gibt es unterschiedliche Ansichten. Der Ingenieur Claus Mertes zum Beispiel nennt die Zahlen der Studie »veraltet«, da sie von 2014 und früher stammen. Er ist auf Entsalzungstechnologien spezialisiert und berät als Geschäftsführer der DME GmbH auch Bundes- und Landesministerien. Sein Institut unterhält eine eigene Datenbank, Desalfacts genannt, in der weltweit fast 19 000 Anlagen verzeichnet sind – deutlich mehr, als die Studie der UN-Forscher nennt. Sie generieren rund 100 Millionen Kubikmeter Trinkwasser täglich – und 85 Milliarden Kubikmeter Salzlauge im Jahr.
Der Anteil der Umkehrosmose liegt nach Mertes' Angaben bei 80 Prozent und nicht, wie in der UN-Studie angegeben, bei 69 Prozent. Damit wäre immerhin das zweite große Umweltproblem der Entsalzungsanlagen kleiner: der erhebliche Energieverbrauch. Der stört das Bild zwar auch bei der Umkehrosmose, obwohl da kein Öl direkt verbrannt wird, wie oft bei der Verdampfungstechnik. Solange aber die Energie für die Membrantechnologie aus fossilen Brennstoffen stammt, geht das ebenfalls mit Luftverschmutzung und dem Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase einher – so wie bei anderen Industrieanlagen. Ingenieure arbeiten jedoch stetig daran, die Effizienz der Entsalzungsprozesse zu verbessern, um den Energieverbrauch und damit nicht zuletzt die Kosten zu senken. Zu den umweltfreundlicheren Ansätzen gehört der Einsatz von Sonnen- oder Windenergie oder zumindest der Ausgleich von CO2-Emissionen.
Auf Helgoland ist man auf diesem Weg schon recht weit. Der Strom für die Insel kommt seit 2009 per Seekabel vom Festland und somit aus dem öffentlichen Netz. Er stammt im windreichen Schleswig-Holstein schon zu einem erheblichen Anteil aus erneuerbaren Energien. Die direkte Versorgung von Helgoland per Windstrom wäre zwar technisch möglich, scheitert bislang aber an regulatorischen Hindernissen sowie Einwänden aus Sicht des Naturschutzes.
Versteckte Schätze in der Lauge
Auch bei der Behandlung der zurückbleibenden Salzlösungen zeichne sich seit einigen Jahren ein Paradigmenwechsel bei der Meerwasserentsalzung ab, erklärt Mertes, der seinerzeit Maschinenbau an der Technischen Hochschule in Aachen studiert hat: Man versuche heute, feste Inhaltsstoffe wie Salze und Metalle aus dem Wasser herauszuholen, und das möglichst selektiv. Hierbei konzentrieren sich die Wissenschaftler auf die rund 3,5 Prozent Feststoffe im Wasser. Die entsprechende Technik heißt kapazitive Deionisierung (CDI). »Salze und Metalle, wie zum Beispiel Lithium und Magnesium, haben einen hohen kommerziellen Wert«, so Mertes. »Die lassen sich auf diese Weise gewinnen, und trinkbares Wasser könnte dadurch quasi nebenbei anfallen.«
Mit der CDI-Technologie beschäftigen sich unter anderem Forscher an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen. Das Team um Professor Matthias Wessling präsentierte im Jahr 2014 ein Verfahren zur umweltfreundlichen Wasserentsalzung, das auf elektrochemischen Prozessen beruht. Dabei werden neuartige Elektroden eingesetzt, so genannte Flow-Elektroden, die aus Suspensionen positiv und negativ geladener Kohlenstoffpartikel bestehen. »Die Kohlenstoffpartikel der Elektroden binden das im Wasser vorhandene Salz extrem gut«, erklärte Forschungsleiter Wessling damals. »Mit 260 Milligramm Salz pro Gramm Kohlenstoffpartikel liegt der Wert mindestens um den Faktor zehn höher als bei zuvor beschriebenen Prozessen dieser Art.« Für seine Verdienste auf dem Gebiet der Membranforschung, die auch für die Wasserentsalzung unerlässlich ist, erhielt Wessling 2019 den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
Bis das neue Verfahren marktreif ist, werden noch einige Jahre vergehen. Was die Betreiber der heutigen Anlagen schon tun können, um negative Umwelteinflüsse zu reduzieren oder kompensieren, dafür gibt es außer auf Helgoland noch weitere Beispiele, unter anderem in Australien. Mertes verweist darauf, dass für eine sehr große Entsalzungsanlage in Sydney, die per Umkehrosmose 500 000 Kubikmeter Trinkwasser täglich produziert, ein Windpark errichtet wurde, der die notwendige Energie dafür erzeugt. Außerdem hat die Stadt die Betreiber zum Umweltmonitoring verpflichtet, bei dem Biologen der Universität die Auswirkungen der Anlage auf die marine Fauna untersuchen. Und im Bundesstaat Südaustralien, in der Nähe von Port Augusta, produziert eine Firma in einem 20 Hektar großen Gewächshaus Gemüse wie Tomaten, Gurken und Paprika komplett ohne Grundwasser und ohne fossile Energie: nur mit Hilfe von selbst entsalztem Meerwasser und einem solarthermischen Turmkraftwerk.
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