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Biophysik: Tropfen für Tropfen

Trinken kann schon kompliziert sein, zumindest wenn man einen Schnabel hat. Einige Vogelarten legen für jeden Schluck den Kopf in den Nacken. Odinshühnchen dagegen machen sich die physikalischen Eigenschaften des Wassers zu Nutze.
Odinshühnchen
Der Sommer naht, und das Wetter lädt zum Faulenzen in der Hängematte ein, am besten mit einem Glas Limonade, die man genüsslich durch den Strohhalm schlürft. Dank beweglicher Lippen, welche uns erlauben, einen Unterdruck in der Mundhöhle zu erzeugen, fällt uns das Einsaugen des Getränks auch nicht weiter schwer. Komplizierter wäre es da, wenn wir stattdessen einen Schnabel hätten, der in seiner starren Form keinen Unterdruck produzieren kann.

Phalaropus lobatus
Trotzdem wollen auch beschnabelte Tiere wie das Odinshühnchen (Phalaropus lobatus) trinken, auch wenn es ihnen weniger um erfrischenden Geschmack als vielmehr um im Wasser lebende, winzige Krustentiere geht. Um ihre Beute zu fangen, erzeugen die zu den Wassertretern gehörenden Vögel einen Strudel, indem sie in engen, kreisförmigen Bahnen paddeln. Der Wirbel zieht die Krebschen an die Wasseroberfläche – und genau jetzt schlägt der Vogel zu: Durch blitzschnelle Pickbewegungen nimmt Phalaropus Wassertropfen mitsamt der Beute auf und schluckt sie, ohne dabei den Kopf in den Nacken werfen zu müssen.

Nur wie transportiert es das Wasser ohne Unterdruck entgegen der Schwerkraft den Schnabel hinauf bis in seinen Rachen? Mit dieser Frage beschäftigten sich Forscher um Manu Prakash vom Massachusetts Institute of Technology.

Beutefang mit Oberflächenphysik | Durch schnelles Öffnen und Schließen des Schnabels kann das Odinshühnchen einen Wassertropfen schrittweise entgegen der Schwerkraft in seinen Schlund transportieren. Dies wird ermöglicht durch die spezielle Interaktion zwischen der- Wasser und der Schnabeloberfläche, genannt Hysterese.
Einen ersten Hinweis gab ihnen die Beobachtung, dass die Vögel ihre Schnäbel pinzettengleich in schnellem Wechsel öffnen und schließen. Mit Hilfe eines mechanischen Modells dieses Mundwerkzeugs gelang es den Wissenschaftlern, den Prozess zu simulieren, zu filmen und seine Bedeutung für den Wassertransport in Zeitlupe zu analysieren.

Dabei stellte sich heraus, dass die Bewegung in Kombination mit der Oberflächenspannung des Wassers tatsächlich die treibende Kraft darstellt, durch welche der Flüssigkeitstropfen in Richtung Schlund befördert wird.

Tropfen im Schnabel | Der aufgenommene Tropfen wird durch schnelles Öffnen und Schließen des Schnabels in den Rachen transportiert.
Schließt der Vogel den Schnabel, so wird der zwischen den Schnabelhälften aufgehängte Tropfen in die Breite gedrückt und benetzt eine größere Oberfläche. Ein Teil des Tropfens bewegt sich dadurch auch in Richtung Schlund und somit die gewünschte Richtung. Beim Öffnen zieht sich der Tropfen wieder zusammen und sollte erwartungsgemäß in seine Ausgangsposition zurückkehren. Genau das passiert jedoch nicht; stattdessen rutscht der Tropfen beim wiederholten Schnabelöffnen und -schließen immer weiter zum Rachen.

Wie kann diese minimale Schnabelbewegung Hubkraft erzeugen? Die Ursache liegt an den rachenwärts und -abgewandten Kontaktflächen zwischen der Flüssigkeit und der hornigen Substanz des Schnabels. Auf beiden Seiten des Tropfens können sie durch jeweils einen Winkel beschrieben werden. Dieser Winkel ändert sich beim Öffnen und Schließen des Schnabels und entscheidet darüber, wie schnell die Benetzung der festen Oberfläche abläuft.

Transport des Wassertropfens Richtung Schlund | Beim Schließen des Schnabels wird der Tropfen in die Breite gedrückt, wobei das Wasser den Schnabel schlundwärts schneller benetzt als entgegengesetzt. Beim Öffnen zieht sich die rachenwärts gelegene Kontaktlinie langsamer zurück als die abgewandte. Auf diese Weise wird der Tropfen durch wiederholtes Öffnen und Schließen nach und nach Richtung Schlund transportiert.
Der rachenwärts gelegene Kontaktwinkel begünstigt, dass der Tropfen den Untergrund beim Schließen des Schnabels auf dieser Seite schnell benetzt, sich beim Öffnen jedoch langsam zurückzieht. Auf der schlundabgewandten Seite sieht es genau umgekehrt aus: Schließt der Vogel den Schnabel, benetzt das Wasser die hornige Oberfläche hier langsamer, zieht sich beim Öffnen aber schneller zurück. Ähnlich einer Ziehharmonika, die nur an einem Ende auseinandergezogen und am anderen Ende zusammengedrückt wird, treibt die Schnabelbewegung den Tropfen Stück für Stück zum Rachen hin.

Für diesen physikalischen Trick sind die Mundwerkzeuge der Odinshühnchen perfekt geformt, was einmal mehr Charles Darwins Feststellung bestätigt, dass die Schnabelformen auf die Ernährungsweise schließen lassen. Zwei bis drei Schnabelbewegungen reichen aus, um einen Tropfen von der Schnabelspitze bis in den Rachen zu befördern, und das mit einer Geschwindigkeit von bis zu einem Meter pro Sekunde. Die ebenfalls zu den Wassertretern gehörenden Thorshühnchen sind etwas weniger gut angepasst: Sie benötigen sieben bis acht Bewegungen.

Ihre spezielle Methode der Futteraufnahme macht diese Vögel jedoch sehr anfällig für Verschmutzungen des Wassers oder ihrer Mundwerkzeuge. Wird die Oberflächenspannung des Wassers beispielsweise durch seifige Substanzen herabgesetzt oder der Schnabel zum Beispiel mit Öl verschmutzt, stört dies die Interaktion zwischen der Flüssigkeit und der hornigen Oberfläche und macht den Transport der Wassertropfen entgegen der Schwerkraft unmöglich.

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  • Quellen
Prakash, M. et al.: Surface Tension Transports of Prey by Feeding Shorebirds: The Capillary Ratchet. In: Science 320(5878), S. 931–934, 2008.

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