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Tiefsee: Unsichtbare Lawinen graben die tiefsten Schluchten der Erde

Trübeströme tief im Meer gehören zu den größten Naturereignissen überhaupt. Sie graben gewaltige Schluchten, lassen Internetkabel reißen und Pipelines bersten. Doch bisher wusste man praktisch nichts über sie.
3-D-Ansicht des Kontinentalschelfs vor Los Angeles.
Blick auf den Kontinentalschelf vor Los Angeles. Die tiefen Canyons, die sich zur Tiefsee hin öffnen, entstanden durch Trübeströme am Meeresboden.

Bis nach New York war im November 1929 ein gewaltiges Erdbeben an den Grand Banks vor der Südküste Neufundlands in Kanada zu spüren. Als der Meeresboden bebte, setzte er riesige Mengen an Sand und Schlamm in Bewegung, die einen Unterwasser-Canyon hinabstürzten und so eine dramatische Lawine im Meer auslösten. Dabei bewegte sich Material mit dem Volumen von zwei Mount Everests und der resultierende Tsunami tötete mehr als 25 Menschen.

Dieses Ereignis ist das größte bekannte Beispiel für eine Unterwasserlawine – aber längst nicht das einzige. Unter der Meeresoberfläche bilden sich an den Küsten und inmitten der Ozeane regelmäßig die größten Lawinen der Welt. Sie höhlen die tiefsten und längsten Schluchten unseres Planeten aus – meistens, ohne dass es jemand bemerkt. Jahrhundertelang waren Fische und Tiefseetiere die einzigen Zeugen dieser Ereignisse. Sie wurden mitgerissen oder sie ernährten sich von den nährstoffreichen Sedimenten, die die Ströme transportierten. Erst in jüngerer Vergangenheit zeugten dann geplatzte Gasleitungen oder gerissene Kommunikationskabel davon, dass auf dem Meeresboden etwas Extremes vor sich geht. Was genau, wurde schließlich in den letzten Jahren klar.

Mit einer Reihe von Experimenten und etwas Glück ist es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nämlich gelungen, diese erdverändernden Ereignisse in Aktion festzuhalten. Es stellte sich heraus, dass die labyrinthartigen Unterwasserschluchten ganz und gar nicht geologisch inaktiv sind, wie man lange glaubte. Mit Hilfe der neuen Daten machen Fachleute sich allmählich ein Bild von den unterseeischen Lawinen. Sie verstehen nun besser, wie sie die Erde formen und welche entscheidende Rolle sie dabei spielen, Kohlenstoff zu binden.

Riesige Mengen an Material stürzen in die Tiefe

Diese tiefsten und längsten Schluchtensysteme unseres Planeten ähneln in Größe und Form dem Grand Canyon in Arizona, USA. Doch während ihre Pendants an Land durch das kontinuierliche Abtragen von Sand und Kies durch Flüsse entstehen, bilden sich Unterwasserschluchten durch unregelmäßig auftretende Lawinen, die vom Kontinentalschelf in die Tiefen des Ozeans stürzen. Das Material dazu kommt aus Flüssen, die Schlamm auf dem Festlandsockel anhäufen, bis die Ablagerungen – manchmal ausgelöst durch ein Erdbeben, Sturm oder eine Überschwemmung an Land – schließlich instabil werden. Die entstehenden Lawinen erodieren große Canyonsysteme auf dem Meeresboden.

Diese so genannten Suspensionsströme, auch Trübeströme genannt, bewegen mehr Material als jeder andere natürliche Prozess auf der Erde. Sie transportieren Sedimente, die reich an organischem Kohlenstoff sind, und nehmen unterwegs weiteres Material auf, darunter verrottende Algen, Pflanzenreste und Meereslebewesen. Sobald diese Lawinen auf die Tiefseeebene treffen – ein flaches Gebiet, das mehr als die Hälfte des gesamten Meeresbodens ausmacht – bilden sie ein Mosaik aus spezialisierten Lebensräumen. In einigen Regionen legen sie methanhaltige Sedimente frei, während sie andere Gebiete mit sauerstofffreiem Schlamm ersticken. Diese ungewöhnlichen Umgebungen beherbergen vielfältige und einzigartige Ökosysteme, darunter spezialisierte chemosynthetische Gemeinschaften aus Bartwürmern und Vesicomyiden-Muscheln, die normalerweise in der Nähe untermeerischer Hydrothermalquellen vorkommen und von Schwefelwasserstoff und Methan leben. Seegurken graben verrottende Häppchen aus dem frisch abgelagerten Schlamm, während Seeanemonen mitgerissen werden und gelegentlich mitten auf einem reich gedeckten Tisch landen.

Wie Trübeströme entstehen | Flüsse transportieren permanent lockeres Sediment vom Land auf den Kontinentalschelf. Dieses aufgetürmte Material wird im Lauf der Zeit instabil. Schließlich beginnt es den Abhang zur Tiefsee hinabzufließen. Die dichte Mischung aus Schlamm und Wasser ist schwer und bewegt sich mit hoher Geschwindigkeit, so dass es tiefe Schluchten graben und Kabel zerreißen kann. Schließlich lagert sich das Material in der Tiefsee ab.

Ähnlich wie ihre Pendants auf schneebedeckten Bergen beschleunigen die unterseeischen Lawinen an Abhängen und gewinnen so an Energie. »Dadurch können sie bis weit in die Tiefsee gelangen und große Mengen an Material transportieren«, sagt David Hodgson, Geologe an der University of Leeds in England. Die enormen Sedimentverschiebungen begraben den Kohlenstoff, der in organischer Materie enthalten ist, und schließen ihn für Millionen von Jahren am Meeresboden ein. Auf diese Weise spielen die Trübeströme eine Rolle im Kohlenstoffkreislauf der Erde. Bislang weiß man jedoch noch nicht, wie viel Kohlenstoff die Unterwasserlawinen wirklich transportieren: »Wir waren nicht in der Lage, Informationen über diese massiven Ströme zu sammeln – teils deshalb, weil sie selten und unvorhersehbar sind«, erläutert Hodgson, »und teils, weil sie unsere Ausrüstung zerstören.«

Abgetrennte Ozeanschluchten

Ein kleiner Teil der etwa 9000 bekannten Unterwasser-Canyons ist noch mit Flussmündungen an der Küste verbunden. Etwa drei Viertel wurden jedoch von ihren Flüssen getrennt, als der Meeresspiegel nach der letzten Eiszeit anstieg. Heute liegen diese verwaisten Schluchten weit draußen im Meer. Etwa 300 Kilometer südwestlich des britischen Cornwall befindet sich etwa der Whittard Canyon, ein Netz von Kanälen in der Größe des Grand Canyon, das in den Nordatlantik hineinragt. Da es sich um die einzige Unterwasserschlucht handelt, die teilweise in britischen Gewässern liegt, beantragte Mike Clare, Fachmann für marine Geosysteme am National Oceanography Centre in Southampton Mittel für dessen Erforschung.

»Um ehrlich zu sein, war ich anfangs wenig begeistert«, räumt er ein. »Die vorherrschende Meinung war, dass es keinen einleuchtenden Mechanismus gibt, der in einem abgelösten Canyon Trübeströme auslösen könnte. Entsprechend dachte ich, dass es langweilig werden würde.« Dennoch installierten Clare und sein Team im Juni 2019 zwei Tiefseeverankerungen im Canyon. In der Hoffnung, vielleicht doch eine Unterwasserlawine zu entdecken, brachten sie daran Instrumente zur Überwachung der Sedimentbewegung an. Außerdem platzierten sie an einer Verankerung eine Rosette mit Sedimentfallen zehn Meter über dem Meeresboden, um Schwebeteilchen aufzufangen. Dann warteten sie. Zu ihrer Überraschung ertappten sie schon innerhalb von drei Wochen einen Suspensionsstrom auf frischer Tat.

Im darauf folgenden Jahr zeichneten sie sechs dieser Lawinen auf, die jeweils mehrere Stunden andauerten. »Wir dachten, dieser Canyon wäre tot, daher war es eine echte Überraschung, eine solche Aktivität zu sehen«, sagt Clare. Mehr als 1000 der auf der Erde vorhandenen unterseeischen Schluchten weisen eine Umgebung auf, die dem Whittard Canyon sehr ähnelt. »Wir müssen unsere Ansichten über die Funktionsweise und Aktivität dieser Canyons neu bewerten«, sagt Clare. Ein Rätsel war etwa der Zeitpunkt der Ereignisse: »Wenn überhaupt, dann hätten wir eine Aktivität im Herbst und Winter erwartet, wenn Stürme den Bestand an Gletschersedimenten aufwirbeln«, führt Clare aus. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass die meisten Trübeströme im Frühjahr und Sommer auftreten.

»Wir müssen unsere Ansichten über die Funktionsweise und Aktivität dieser Canyons neu bewerten«Mike Clare, Meeresgeologe am National Oceanography Centre in Southampton

Einen Hinweis auf den Grund für diese Beobachtung lieferte das mit den Flaschen eingesammelte Sediment, das voll frischer organischer Kohlenstoffverbindungen war. Clare vermutet, »dass die Trübeströme durch Algenblüten am küstennahen Ende des Canyons gespeist werden.« An vielen Meeresschluchten weltweit herrscht ein Auftrieb durch Oberflächenströmungen, die kühles, nährstoffreiches Wasser aus der Tiefe nach oben ziehen und so einen Ort voller Leben schaffen. »Deshalb befinden sich in der Nähe eines Schluchteneingangs oftmals Wale«, sagt Clare. Regionen wie diese entfernen viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre, indem sie es in organisches Material umwandeln. Damit dieser Kohlenstoff aber für lange Zeit gebunden bleibt, muss er schnell in tiefere Bereiche gelangen, bevor er wieder zu CO2 oxidiert werden kann. Canyons wie Whittard könnten daher für den marinen Kohlenstoff einen extrem schnellen Transportweg zum Meeresboden darstellen, der bislang unbekannt war.

Im Oktober 2019 machten sich Peter Talling von der Durham University in England und sein Team daran, eine weitere Unterwasserlawine zu dokumentieren. Ihr Zielobjekt war allerdings noch mit einem Fluss verbunden. Die Forscher platzierten zwölf Verankerungen auf dem Boden des Kongo-Canyons, die jeweils mit Sendern ausgestattet waren. Den ersten setzten sie nahe dem Eingang der Schlucht vor der Küste Westafrikas an der Flussmündung des Kongo. Den Rest verteilten sie im gesamten Canyon-System. Die letzte Verankerung brachten sie etwa 1200 Kilometer vor der Küste in einer Tiefe von fast 5000 Metern an.

Die Anker inklusive der Instrumente, die die Wassersäule und die Sedimentströme unter ihnen überwachten, sollten eigentlich ein Jahr lang an Ort und Stelle verharren. Doch nur wenige Monate später, im Januar 2020, geschah etwas Merkwürdiges. Die Forscher erhielten Warnmeldungen, dass die Elemente an der Oberfläche aufgetaucht seien. »Zuerst dachten wir, dass vielleicht eine oder zwei der Verankerungen durch Fischerboote abgelöst worden waren«, erzählt Megan Baker von der Durham University, die an dem Projekt beteiligt war. Aber ein Sender nach dem anderen teilte mit einer automatischen E-Mail mit, dass er aufgetaucht war. »Wir fingen an zu glauben, dass etwas Großes passiert sein muss«, sagt Baker.

Die Kongo-Canyon-Lawine

Sie hatten Recht. An der Mündung des Kongo war eine Sedimentlawine entstanden. Sie hatte auf bis zu 30 Kilometer pro Stunde beschleunigt und sich in einen Unterwasserstrom verwandelt, der sich über mehr als 1130 Kilometer ausbreitetet. Damit war es der längste jemals gemessene Trübestrom. Er transportierte eine riesige Menge an Sedimenten und entlud diese auf der Tiefseeebene des Südatlantiks in einer Tiefe von mehr als 5000 Metern. Am Meeresboden kappte die Strömung zwei wichtige Telekommunikationskabel, was die Internetverbindungen in weiten Teilen Afrikas – von Nigeria bis Südafrika – erheblich störte.

Tsunami-Auslöser

Vor etwa 8000 Jahren brach ein riesiger Teil des norwegischen Festlandsockels ab. Dieses als Storegga-Rutsch bekannte Ereignis ließ etwa 3200 Kubikkilometer Sediment auf den Meeresboden stürzen. Der dadurch ausgelöste Tsunami erreichte Grönland und Kanada, und an den Küsten der Shetlandinseln in Großbritannien brachen mehr als 20 Meter hohe Wellen. Einige vermuten, dass dabei ein Gebiet namens Doggerland versunken ist, das einst über dem Meeresspiegel lag, jetzt aber von der Nordsee überflutet ist und das Vereinigte Königreich von Europa trennt. Im Gegensatz zu einem Trübestrom verschieben unterseeische Erdrutsche einen zusammenhängenden Sedimentklumpen in einer einzigen dramatischen Bewegung. Aber wie Suspensionsströme wurden auch Erdrutsche im Meer bis vor Kurzem nicht aufgezeichnet.

Wenyuan Fan, Seismologe am Scripps Institution of Oceanography in Kalifornien, war nicht auf der Suche nach Erdrutschen, als er mit der Analyse seismischer Messwerte aus dem Golf von Mexiko begann. »Ich war auf der Suche nach Erdbeben«, sagt er. »Aber dann wurde ich auf viele seltsame seismische Signale aufmerksam, die im Golf von Mexiko auftraten.« Weil es sich hierbei nicht um ein aktives tektonisches Gebiet handelt, sei dies überraschend gewesen. Fan und seine Kollegen identifizierten zwischen 2008 und 2015 insgesamt 85 bisher unbekannte unterseeische Erdrutsche im Golf von Mexiko. 75 davon wurden durch Wellen ausgelöst, die wiederum durch Erdbeben in einer Entfernung von bis zu 1500 Kilometern und mit nur einer Stärke von 5 entstanden waren. »Wir waren noch nie in der Lage, diese Ereignisse über eine so große Entfernung miteinander in Verbindung zu bringen«, sagt Fan. Noch ist aber unklar, ob der Golf von Mexiko – wo die Sedimente geleeartig sind – ein Sonderfall ist oder ob auch in anderen Teilen der Welt Erdrutsche im Meer durch weit entfernte Erdbeben ausgelöst werden können.

Dass die Verankerungen in einen so riesigen Suspensionsstrom geraten waren, war zwar aufregend, doch es gab ein Problem: Die Messgeräte waren durch die starke Strömung beschädigt worden und mussten erst geborgen werden, bevor die Arbeitsgruppe ihre Daten auslesen konnte. Die Sonden sind allerdings nur dreimal so groß wie ein Fußball. Und ausgerechnet als gerade die Covid-19-Pandemie ausgebrochen war, gingen sie im Atlantik verloren. Erschwerend kam hinzu, dass die Batterien in den Sendern nur drei Monate lang hielten. »Ich hätte nie erwartet, auch nur eine davon zurückzubekommen«, sagt Talling.

Zum Glück gab es Hinweise. »Eine automatisch gesendete E-Mail teilte uns mit, wann die jeweilige Verankerung die Meeresoberfläche erreichte. Das gab uns eine ungefähre Vorstellung davon, wo sie sich befinden könnte«, sagt Talling. Die Boote wurden zu denjenigen Stellen gelotst, an denen die ersten Teile aufgetaucht waren. Ein Schiff, das zur Reparatur der Internetkabel losgeschickt worden war, war eines der ersten, das dieses Gebiet erreichte. Es beteiligte sich an der Suche und konnte tatsächlich fünf Sensoren bergen, bevor sie zu weit abgedriftet oder die Batterien leer geworden waren. Insgesamt ließen sich schließlich neun der zwölf Verankerungen retten.

Im Juli 2022 veröffentlichte das Team seine Ergebnisse. Man wusste bereits, dass Erdbeben Unterwasserlawinen auslösen können, die eine komplette Megaschlucht durchspülen – wie beim eingangs erwähnten Grand-Banks-Ereignis. Der beobachtet Kongo-Trübestrom offenbarte aber nun, dass auch Flussüberschwemmungen eine Ursache sein können. Drei Wochen zuvor hatte der Kongo das größte Hochwasser seit mehr als 50 Jahren erlebt. »Die Flut wird eine Menge Sediment in die Mündung des Kongo und in den oberen Teil des Canyons gespült haben«, sagt Talling. »Aber dies hat nicht sofort einen Strom ausgelöst. Stattdessen sammelten sich die Sedimente einige Wochen lang an, bevor sie abrutschten.« Das sei eine Überraschung gewesen. Was genau zum Abrutschen der Sedimente geführt hat, ist noch nicht klar. Aber offenbar beginnen die Ströme eher bei Niedrigwasser, wenn sich die im Sediment eingeschlossenen Gasblasen ausdehnen und dadurch die Sedimentstruktur schwächen.

Ereignisse öfter als gedacht

Solche riesigen, canyonweiten Unterwasserströme könnten also weitaus häufiger auftreten als bisher angenommen – zumindest im Kongo-Canyon. Denn nur etwa alle 100 bis 300 Jahre würden schwere Erdbeben ein derartiges Ereignis auslösen. Doch der Fluss Kongo erlebt alle 20 bis 50 Jahre ein bedeutendes Hochwasser. Außerdem scheinen kleinere Ströme, die Sedimente über eine Strecke von etwa 200 Kilometern transportieren, ebenfalls recht häufig zu sein. Es hat sich gezeigt, dass die Oberläufe des Canyons etwa ein Drittel der Zeit aktiv sind.

Diese Zahlen mögen beunruhigen, insbesondere im Hinblick auf Kabelbrüche – aber es gibt auch einen positiven Aspekt: Da die Zahl der Überschwemmungen auf Grund des Klimawandels voraussichtlich zunehmen wird, könnte es künftig mehr Unterwasserströme geben, die zusätzlichen Kohlenstoff begraben, sagt Talling. »Früher dachten wir, dass der meiste organische Kohlenstoff, der vom Land ausgewaschen wird, auf dem Festlandsockel landet«, sagt Talling. Das würde bedeuten, dass ein Großteil davon oxidiert und als CO2 in die Atmosphäre gelangt. »Doch die Resultate zeigen, dass Trübeströme über geologische Zeiträume – Tausende von Jahren – ein wichtiger Mechanismus für die Bindung von Kohlenstoff sein könnten, den wir bisher fast ignoriert haben.« Derzeit versuchen Geologen noch zu beziffern, wie viel Kohlenstoff auf diese Weise tatsächlich transportiert wird. Sollten die Suspensionsströme aber wirklich eine bedeutende Kohlenstoffpumpe darstellen – wie die Messungen an den Kongo- und Whittard-Canyons nahelegen – dann müsste man die Modelle des Kohlenstoffkreislaufs ändern.

»Diese Ergebnisse zeigen, dass Trübeströme über geologische Zeiträume ein wichtiger Mechanismus für die Bindung von Kohlenstoff sein könnten«Peter Talling, Meeresgeologe an der Durham University

Leider ist Kohlenstoff nicht das einzige Material, das Unterwasserlawinen zum Meeresboden transportieren. »Auch Pestizide, Arzneimittelrückstände und Kunststoffe werden über diese Ströme in großen Mengen in der Tiefsee landen«, erwartet Hodgson. »Das ist Besorgnis erregend, weil sie an die Basis der Nahrungskette gelangen und wir nicht wissen, welche Auswirkungen sie haben.«

Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass 99 Prozent der acht Millionen Tonnen Plastik, die jedes Jahr in die Ozeane gelangen, anschließend gar nicht mehr erfasst werden. Es wird vermutet, dass ein Großteil davon in der Tiefsee landet. Wie er aber dorthin gelangt, war bisher ein Rätsel. »Es sieht so aus, als wären Suspensionsströme ein wichtiger Mechanismus«, sagt Hodgson.

Die Kongo-Canyon-Studie hat Geologen dazu gebracht, neu zu überdenken, wie monumental diese Ströme sein können. »Unsere Schätzungen deuten darauf hin, dass das Äquivalent von einem Drittel des Sediments, das von allen Flüssen der Welt in einem Jahr erodiert wurde, in einem einzigen, nur ein paar Tage andauerndem Ereignis in diesen Canyon gespült wurde«, bilanziert Talling. Forschungsergebnisse der letzten Jahre legen nahe, dass auch Erdrutsche unter Wasser viel häufiger vorkommen als bisher angenommen (siehe »Tsunami-Auslöser«). Auch sie zählen zu einer Art von Ereignissen im Meer, die die Erde formen. Alles in allem passiert hier offenbar viel mehr, als man bislang vermutet hat.

Nun wollen die Forschenden weitere abgetrennte Canyons untersuchen. Ganz oben auf der Liste steht der Amazonas-Canyon, einer der größten untermeerischen Kanäle der Welt, der etwa 200 Kilometer vor der Küste Brasiliens beginnt und sich über mehr als 1000 Kilometer in den Südatlantik erstreckt. Riesige Mengen an organischem Kohlenstoff werden aus dem Amazonasregenwald zuerst in den Amazonas gespült und lagern sich dann auf dem Festlandsockel an. »Angesichts dessen, was wir sowohl in der Whittard- als auch in der Kongo-Unterwasserschlucht sehen, denke ich, dass wir uns mehr mit dem Schicksal dieses organischen Materials beschäftigen sollten«, sagt Clare.

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