Meeresforschung: Trügerische Strandidylle
Traumstrände unter Palmen, glasklares, blaues Meer mit Wassertemperaturen zwischen 28 und 30 Grad, Sonnenschein satt, dazu das Great-Barrier-Riff als eines der größten und schönsten Naturwunder dieser Welt. Touristen aber, die zwischen November und April ihre schönste Zeit des Jahres in dem australischen Urlaubsparadies zwischen Cairns und Port Douglas verbringen, können sich nicht einfach in die Fluten stürzen. Warum, verraten große Warnschilder: Quallengefahr!
Jedes Jahr zur Sommerzeit auf der Südhalbkugel finden sich in den Gewässern des australischen Bundesstaats Queensland ganze Heerscharen von Quallen ein. "Chironex fleckeri ist das giftigste Tier der Welt, giftiger als die giftigste Schlangen", warnt Jamie Seymour. Der renommierte Quallenforscher an der James-Cook-Universität in Cairns fügt hinzu: "Sie kann einen Menschen in zwei Minuten töten. Das Gift einer Qualle reicht für sechzig bis siebzig Menschen aus."
Komplexe Monster
Die in den tropischen Gewässern Australiens beheimatete Chironex fleckeri ist so ganz anders als die Quallen, die Nordseeurlauber kennen. Der Körper dieser Tiere aus der Gruppe der Würfelquallen kann so groß wie ein Männerkopf werden. Von dem würfelförmigen Leib hängen bis zu sechzig Tentakel herab, die zusammen gut 180 Meter Länge ergeben können.
Auf jedem dieser Arme sitzen Milliarden von Giftzellen. Anders als andere Artgenossen können Würfelquallen auch sehen.
Was aber geht in den vier Gehirnen der Seewespe vor? Wozu braucht sie 24 Augen? Warum ist sie so extrem giftig? "Würde das Gift nicht auf der Stelle töten, dann würde der Fisch davon schwimmen, und die langsame Qualle hätte das Nachsehen", vermutet Seymour.
Antworten auf die anderen Fragen gibt es jedoch noch nicht, wie auch über den Alltag der Nesseltiere wenig bekannt ist. Seymour glaubt, dass die Quallen nachts gar schlafen: "Wenn sie ihre Beute nicht mehr sehen können, senken sie ihren Energielevel und werden inaktiv."
Quallen im Computer
Die Küste von Nordqueensland ist allerdings nicht gleichermaßen von Quallen betroffen. Seymour weiß: "Einige Strände hier in der Gegend sind immer quallenfrei. Wir haben keine Ahnung, warum das so ist. Von einigen Stränden wissen wir, dass da seit mindestens achtzig Jahren keine Quallen gewesen sind."
Vorher aber liegt die maritime Feldforschung: Seymour hat im vergangenen Jahr begonnen, mit einem Superkleber Sensoren an Quallen zu befestigen, die dann Daten über die Bewegungen des Tiers an einen Computer an Land senden.
Quallen gelten als integraler Bestandteil der Nahrungskette in den Gewässern vor Nordqueensland. Sie selbst ernähren sich von Plankton und kleinen Fischen. Trotz ihrer Giftigkeit werden Quallen ihrerseits als Leckerei anderer Spezies geschätzt.
In einigen Regionen Asiens stehen Quallen gar auf dem menschlichen Speiseplan. Seymour weiß aus Erfahrung: "Sie schmecken langweilig und sind zäh wie Kaugummi. Geschmack kommt erst durch Chili- oder Sojasaucen."
Alles Essig
Die Wissenschaftler wissen aber so einiges über die Wirkungsweise des Giftes. Es gelangt direkt in die Blutbahn und greift in Minutenschnelle das Herz an. Die Herztätigkeit wird unregelmäßig, und bei genügend Gift kommt es gar zum Stillstand. Allein in dieser Sommersaison sind in Nordqueensland zwei Menschen an Stichen von Chironex fleckeri gestorben. Hunderte, vielleicht sogar Tausende seien in den vergangenen Jahrzehnten durch solche Quallenkontakte ums Leben gekommen sein, schätzt Seymour.
Den schlimmsten Auswirkungen einer Quallenbegegnung kann vorbeugt werden, wenn die betroffene Körperstelle sofort mit einem einfachen Hausmittel gewaschen wird: "Zwanzig Prozent der Zellen feuern ihre Giftladung sofort ab, die weiteren achtzig Prozent erst in den nächsten drei bis acht Minuten. Das aber kann durch Essig gestoppt werden. Dann gelangt weniger Gift in den Kreislauf, und die Chance auf Rettung durch einen Arzt steigt."
Es gibt bereits ein Gegenmittel, bei dem spekuliert wurde, es Sonnencremes beizumengen. "Technisch ist das möglich", meint Seymour und fügt hinzu: "Das Problem ist aber: Wie stellt man fest, dass die Wirkung nachlässt? Deshalb denken wir, dass es besser ist, das Mittel zunächst nicht auf den Markt zu bringen."
Miniquallen mit großer Wirkung
Neben Chironex fleckeri genießt auch Carukia barnesi oder die Irukandji-Qualle – benannt nach einem Stamm der Aborigines – keinen guten Ruf. Diese winzige, nur millimetergroße Würfelquallen-Spezies – über den noch weniger bekannt ist als über die mörderische Seewespe – zeichnet sich ebenfalls durch ausgeprägte Killerqualitäten aus, die selbst Menschen gefährlich werden können. Ärzte in Cairns haben gelernt, das Irukandji-Syndrom, wie Erbrechen, Krämpfe oder Angstzustände, zu behandeln – wenn der Patient rechtzeitig eingeliefert wird. Aber ein Gegenmittel zu dem Gift gibt es noch nicht. Seymour weiß aus eigener Erfahrung: "Auf einer Schmerzskala von 1 bis 10 rangiert ein Irukandji-Stich zwischen 15 und 20."
Der Wissenschaftlerin Lisa-ann Gershwin vom Campus der James-Cook-Universität in Townsville war es vor zwei Jahren erstmalig gelungen, Irukandjis im Labor zu züchten.
Die junge Disziplin der Quallenforschung existiert gerade einmal etwas mehr als zehn Jahre. Seymour glaubt, dass bei der jetzigen Forschungsgeschwindigkeit noch etwa zwanzig Jahre ins Land gehen werden, bis Leben und Liebe der Quallen kein Geheimnis mehr sind. Hilfreich wären regelmäßige Konferenzen der Quallenforscher zum Austausch von Information und der Diskussion von Projekten und Resultaten. "Ein Quallenkongress wäre mal wieder fällig, aber wir brauchen jemanden, der ihn organisiert", seufzt der Forscher.
Aber selbst wenn es eines Tages eine Creme oder ein Spray zum Schutz vor Quallenstichen gäbe, das Baden an Nordqueensland würde nicht gefahrlos. Salzwasserkrokodile finden die Strände immer wieder unwiderstehlich. Und dann ist da noch das Risiko Kokosnuss ...
Im Gegensatz zu ihren Verwandten, den festsitzenden Korallen, erscheinen Quallen nicht gerade als besonders schön. Sie wirken plump und gelten als Plage. Sie bestehen zu 98 Prozent aus Wasser und sind die größten Planktontiere der Welt. Seymour aber hat große Achtung vor den Medusen: "Quallen sind sehr interessante und hochentwickelte Tiere."
Komplexe Monster
Die in den tropischen Gewässern Australiens beheimatete Chironex fleckeri ist so ganz anders als die Quallen, die Nordseeurlauber kennen. Der Körper dieser Tiere aus der Gruppe der Würfelquallen kann so groß wie ein Männerkopf werden. Von dem würfelförmigen Leib hängen bis zu sechzig Tentakel herab, die zusammen gut 180 Meter Länge ergeben können.
Auf jedem dieser Arme sitzen Milliarden von Giftzellen. Anders als andere Artgenossen können Würfelquallen auch sehen.
"Sie kann einen Menschen in zwei Minuten töten"
(Jamie Seymour)
Wie Monster aus einem Horrorfilm sind sie mit vier separaten Gehirnen und vier Augen-Six-Packs, also mit insgesamt 24 Augen, ausgerüstet. Das lässt sie ihre Unterwasserwelt mit einem Radius von 306 Grad erforschen. (Jamie Seymour)
Das auch als Seewespe bekannte Tier kann sich zudem selbst fortbewegen. Das, zusammen mit ihren anderen Fähigkeiten, macht sie zu einer geschickten Jägerin. Ihre Tentakel schießt Chironex fleckeri mit einer Gewalt auf ihre Opfer, die leicht das 40 000fache der Schwerkraft erreichen kann – mit der schnellsten im Tierreich bekannten Geschwindigkeit. Damit kann Chironex den Panzer einer Krabbe mühelos durchbohren. Ihre Beute löst sich in eine breiige Substanz auf, und die so zersetzten Fische und Krabben werden in Mägen verdaut, die in den Tentakeln sitzen.
Was aber geht in den vier Gehirnen der Seewespe vor? Wozu braucht sie 24 Augen? Warum ist sie so extrem giftig? "Würde das Gift nicht auf der Stelle töten, dann würde der Fisch davon schwimmen, und die langsame Qualle hätte das Nachsehen", vermutet Seymour.
Antworten auf die anderen Fragen gibt es jedoch noch nicht, wie auch über den Alltag der Nesseltiere wenig bekannt ist. Seymour glaubt, dass die Quallen nachts gar schlafen: "Wenn sie ihre Beute nicht mehr sehen können, senken sie ihren Energielevel und werden inaktiv."
Quallen im Computer
Die Küste von Nordqueensland ist allerdings nicht gleichermaßen von Quallen betroffen. Seymour weiß: "Einige Strände hier in der Gegend sind immer quallenfrei. Wir haben keine Ahnung, warum das so ist. Von einigen Stränden wissen wir, dass da seit mindestens achtzig Jahren keine Quallen gewesen sind."
Wieder kennt niemand den Grund hierfür. Unbekannt ist auch, wann genau sie auftauchen, und wann sie wieder verschwinden. Sicher bleibt bloß, dass sie zwischen Ende März und Anfang April in Flussmündungen ihre winzigen Polypen ablegen. "Wir müssen Computermodelle entwickeln, um genaue Vorhersagen treffen zu können."
Vorher aber liegt die maritime Feldforschung: Seymour hat im vergangenen Jahr begonnen, mit einem Superkleber Sensoren an Quallen zu befestigen, die dann Daten über die Bewegungen des Tiers an einen Computer an Land senden.
Quallen gelten als integraler Bestandteil der Nahrungskette in den Gewässern vor Nordqueensland. Sie selbst ernähren sich von Plankton und kleinen Fischen. Trotz ihrer Giftigkeit werden Quallen ihrerseits als Leckerei anderer Spezies geschätzt.
"Sie schmecken langweilig und sind zäh wie Kaugummi"
(Jamie Seymour)
Manche Fische schaffen es, die gefährlichen Tentakel zu vermeiden und sich nur am Körper des Wabbeltieres gütlich zu tun. Schildkröten sind gar immun gegen das Quallengift. "Würde man die unliebsamen Quallen einfach vernichten, würde das zum Kollaps des Ökosystems führen", ist sich Seymour sicher. (Jamie Seymour)
In einigen Regionen Asiens stehen Quallen gar auf dem menschlichen Speiseplan. Seymour weiß aus Erfahrung: "Sie schmecken langweilig und sind zäh wie Kaugummi. Geschmack kommt erst durch Chili- oder Sojasaucen."
Alles Essig
Die Wissenschaftler wissen aber so einiges über die Wirkungsweise des Giftes. Es gelangt direkt in die Blutbahn und greift in Minutenschnelle das Herz an. Die Herztätigkeit wird unregelmäßig, und bei genügend Gift kommt es gar zum Stillstand. Allein in dieser Sommersaison sind in Nordqueensland zwei Menschen an Stichen von Chironex fleckeri gestorben. Hunderte, vielleicht sogar Tausende seien in den vergangenen Jahrzehnten durch solche Quallenkontakte ums Leben gekommen sein, schätzt Seymour.
Den schlimmsten Auswirkungen einer Quallenbegegnung kann vorbeugt werden, wenn die betroffene Körperstelle sofort mit einem einfachen Hausmittel gewaschen wird: "Zwanzig Prozent der Zellen feuern ihre Giftladung sofort ab, die weiteren achtzig Prozent erst in den nächsten drei bis acht Minuten. Das aber kann durch Essig gestoppt werden. Dann gelangt weniger Gift in den Kreislauf, und die Chance auf Rettung durch einen Arzt steigt."
Es gibt bereits ein Gegenmittel, bei dem spekuliert wurde, es Sonnencremes beizumengen. "Technisch ist das möglich", meint Seymour und fügt hinzu: "Das Problem ist aber: Wie stellt man fest, dass die Wirkung nachlässt? Deshalb denken wir, dass es besser ist, das Mittel zunächst nicht auf den Markt zu bringen."
Miniquallen mit großer Wirkung
Neben Chironex fleckeri genießt auch Carukia barnesi oder die Irukandji-Qualle – benannt nach einem Stamm der Aborigines – keinen guten Ruf. Diese winzige, nur millimetergroße Würfelquallen-Spezies – über den noch weniger bekannt ist als über die mörderische Seewespe – zeichnet sich ebenfalls durch ausgeprägte Killerqualitäten aus, die selbst Menschen gefährlich werden können. Ärzte in Cairns haben gelernt, das Irukandji-Syndrom, wie Erbrechen, Krämpfe oder Angstzustände, zu behandeln – wenn der Patient rechtzeitig eingeliefert wird. Aber ein Gegenmittel zu dem Gift gibt es noch nicht. Seymour weiß aus eigener Erfahrung: "Auf einer Schmerzskala von 1 bis 10 rangiert ein Irukandji-Stich zwischen 15 und 20."
Der Wissenschaftlerin Lisa-ann Gershwin vom Campus der James-Cook-Universität in Townsville war es vor zwei Jahren erstmalig gelungen, Irukandjis im Labor zu züchten.
"Ein Quallenkongress wäre mal wieder fällig"
(Jamie Seymour)
Dieser Erfolg gilt als Meilenstein für die Entwicklung eines Gegengiftes, für das zwischen 10 000 und einer Millionen Exemplare gebraucht werden. (Jamie Seymour)
Die junge Disziplin der Quallenforschung existiert gerade einmal etwas mehr als zehn Jahre. Seymour glaubt, dass bei der jetzigen Forschungsgeschwindigkeit noch etwa zwanzig Jahre ins Land gehen werden, bis Leben und Liebe der Quallen kein Geheimnis mehr sind. Hilfreich wären regelmäßige Konferenzen der Quallenforscher zum Austausch von Information und der Diskussion von Projekten und Resultaten. "Ein Quallenkongress wäre mal wieder fällig, aber wir brauchen jemanden, der ihn organisiert", seufzt der Forscher.
Die Quallen schaden dem Tourismus von Queensland – insbesondere am Great-Barrier-Riff. Zu Tausenden werden Touristen jeden Tag zum Riff hinausgefahren und müssen sich, bevor es zum Tauchen und Schnorcheln ins Wasser geht, zum Schutz vor Quallen in wenig attraktive "Stinger Suits" zwängen. Seymour betont: "Wir müssen lernen, mit den Quallen zu leben!"
Aber selbst wenn es eines Tages eine Creme oder ein Spray zum Schutz vor Quallenstichen gäbe, das Baden an Nordqueensland würde nicht gefahrlos. Salzwasserkrokodile finden die Strände immer wieder unwiderstehlich. Und dann ist da noch das Risiko Kokosnuss ...
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