Grenzen: Trumps Mauer gefährdet die Natur
An einem ruhigen Spätfrühlingsmorgen im Norden des mexikanischen Bundesstaats Sonora werkelt ein Biber an einem Teich in der Größe eines Fußballfelds herum. Ein gewundener, etwa 1,50 Meter hoher Damm begrenzt den südlichen Rand des Gewässers. Frösche quaken inmitten der abgenagten Baumstümpfe, und die Luft wimmelt von Vögeln und umherfliegenden Insekten.
»Dies ist alles ganz neu, letzte Woche gab es das hier noch nicht«, stellt Landwirtschaftstechniker Daniel Toyo von der gemeinnützigen mexikanischen Umweltorganisation Naturalia fest. »Die Tiere benötigen drei Tage, um so etwas zu bauen.« Wir befinden uns an der Rancho Los Fresnos, dem von Naturalia verwalteten, 39 Quadratkilometer umfassenden Gelände einer ehemaligen Rinderfarm, das heute als Demonstrationsobjekt für nachhaltige Methoden der Viehwirtschaft und zur Naturschutzbildung dient.
Auf dem Areal von Los Fresnos sind die größten im Wassereinzugsgebiet des San Pedro River noch verbliebenen »ciénegas« zu finden – ein System von Feuchtgebieten mitten in der Wüstenlandschaft. Von Mexiko aus fließt der San Pedro River in nördlicher Richtung nach Arizona und mündet dort östlich der Stadt Phoenix in den Gila River. Ackerbau, Viehzucht und städtische Entwicklung haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass ein Großteil der für die Region charakteristischen Wüsten-Feuchtgebiete stark dezimiert oder sogar völlig zerstört wurde.
Unvermittelt hört der Biber (Castor canadensis) auf, einen dahintreibenden Zweig zu beknabbern. Schwimmend steuert er eine Höhle an, die er in die nahe gelegene Uferböschung gegraben hat, lässt hinter sich eine Welle zurück, die sich über die gesamte Wasseroberfläche ausbreitet, und ist ganz plötzlich verschwunden. Nur die im Wind raschelnden Blätter der Pappeln und der vereinzelte Gesang eines Vogels sind noch zu hören.
Beim Betrachten dieser friedlichen Szene ist es kaum zu glauben, dass eine der umstrittensten internationalen Grenzen des amerikanischen Kontinents in unmittelbarer Nähe liegt. Gerade einmal fünf Minuten fährt man mit dem Auto auf staubigen Straßen in nördlicher Richtung, um an die Grenze des US-Bundestaats Arizona zu gelangen. Gerardo Carreón, Leiter des Bereiches Naturschutz bei Naturalia, geht ein kleines Stück stromaufwärts und weist auf verrostete Konservendosen, Socken und Stücke von Sackleinen, die zwischen den Felsen hängen. »Die Grenzgänger lassen häufig Müll zurück«, berichtet Carreón. »Drogenschmuggler umwickeln ihre Füße mit Jutesäcken, um ihre Fußabdrücke unkenntlich zu machen. Manchmal erreicht uns die Nachricht: ›Haltet euch nach Einbruch der Dunkelheit nicht auf dem Gelände auf.‹«
Gefährliche Grenze
Der Mexikaner deutet auf blitzende Lichter in den Ausläufern der Huachuca Mountains auf der amerikanischen Seite der Grenze – die in der Sonne glänzenden Windschutzscheiben von Lastwagen der U.S. Customs and Border Protection (CBP), der Zoll- und Grenzschutzbehörde der Vereinigten Staaten. Ein winziges, weißes, ovales Gebilde, das in großer Höhe über den Fahrzeugen zu hängen scheint, entpuppt sich als das 61 Meter lange, mit Helium gefüllte Luftschiff der CBP, ausgestattet mit einem Radarsystem, das die niedrig fliegenden Flugzeuge der Drogenschmuggler auf eine Entfernung von etwa 320 Kilometern erkennen kann. »Ich glaube nicht, dass sie jemals irgendetwas erwischt haben«, bemerkt Carreón und fügt hinzu, dies liege zum Teil auch daran, dass die Schmuggler ihre Geschäfte auf festen Boden verlagert hätten.
Von all diesen Aktivitäten unbeeinflusst haben sich die Biber vermutlich watschelnd oder paddelnd aus Arizona, wo man ihre Vorfahren im Jahr 1999 wieder angesiedelt hatte, auf den Weg nach Süden in Richtung Mexiko gemacht – schließlich besteht die nördliche Grenze der Rancho Los Fresnos lediglich aus einem leicht zu überwindenden Stacheldrahtzaun. Doch dies könnte sich ändern, wenn Präsident Trump sein Wahlkampfversprechen, eine »große, schöne Mauer« zwischen den USA und Mexiko zu bauen, tatsächlich in die Tat umsetzt. Laut Warnungen von Naturschützern würde dies einen verheerenden Schaden unter den bereits gestressten Ökosystemen und Organismen entlang des rund 3200 Kilometer umfassenden Grenzstreifens anrichten. Und während sich Präsident und Kongress noch wegen der Finanzierung dieses Großprojekts herumstreiten, holen Staatsbeamte bereits Angebote hinsichtlich der Gestaltung der Grenzmauer ein und lassen entscheidende Lebensräume bedrohter Wildtiere auf staatseigenen und privaten Ländereien vorsorglich mit Bulldozern niederwalzen.
Wissenschaftler der Universidad Nacional Autónoma de México kamen im Rahmen einer Studie zu dem Ergebnis, dass 882 Wirbeltierarten – von Geckos bis Gabelböcken (Antilocapra americana) – von der neuen Mauer betroffen wären, denn das geplante Bauwerk würde die Populationen wild lebender Tiere aufspalten und entscheidende Wanderungsrouten blockieren. Schätzungen des U.S. Fish and Wildlife Service zufolge könnte der Bau der Grenzmauer Auswirkungen auf 98 gefährdete Spezies und 108 Zugvogelarten haben.
Selbst wenn Trumps Projekt nie verwirklicht werden sollte, hindern die bestehenden Grenzbarrieren schon jetzt Säugetiere, Vögel und sogar Reptilien und Fische daran, neue Lebensräume zu besiedeln, Partner zu finden und weiterhin den jahrhundertealten, grenzüberschreitenden Pfaden zu folgen, die vom Pazifischen Ozean bis in den Golf von Mexiko reichen. Und auch wenn es sich nur um eine leere Drohung handelt, wirft Trumps Versprechen doch ein Schlaglicht auf eine Region, die schon seit Längerem ernsthaften Umweltproblemen gegenübersteht, denen man hier aber auch mit unglaublichem Engagement zu begegnen versucht. Ganz besonders trifft dies auf das trockene, felsige Gebiet der Sky Islands im südlichen Arizona und nördlichen Sonora zu, wo die Menschen intensiv darum bemüht sind, das Land zu beiden Seiten der Grenze (und zuweilen auch darüber hinweg) zu schützen.
Inseln in der Wüste
Nur schwer kann man sich eine Landschaft vorstellen, die auf derartig vielfältige Weise fragmentiert ist wie die Region der Sky Islands. In dieser Gegend treffen die südlichen Rocky Mountains und der Nordrand der Sierra Madre Occidental aufeinander und formen eine Reihe isolierter Bergketten, die von riesigen Wüsten – der Sonora-Wüste im Westen und der Chihuahua-Wüste im Osten – umgeben sind. Die gesamte Ökoregion erstreckt sich über vier Bundesstaaten (Arizona, New Mexico, Sonora und Chihuahua) zweier Länder und besteht aus einer komplexen Mischung aus geschützten und ungeschützten Ländereien in Staats- oder Privatbesitz.
Das Zusammentreffen von Gebirge und Wüste hat einen Ort verblüffender ökologischer Diversität geschaffen, dessen Habitate von mit Riesenkakteen übersäten Ebenen bis hin zu Fichten-Tannen-Wäldern in Höhen von mehr als 3000 Metern reichen. Das Gebiet der Sky Islands stellt den biologisch vielfältigsten Grenzabschnitt zwischen den USA und Mexiko dar; die Hälfte aller nordamerikanischen Vogelarten ist hier, zumindest für einen Teil des Jahres, zu Hause. Der Coronado National Forest, zu dem viele der auf der amerikanischen Seite gelegenen Höhenzüge gehören, weist die größte Biodiversität aller amerikanischen Staatsforsten und die höchste Zahl gefährdeter und vom Aussterben bedrohter Arten auf, darunter auch Jaguare (Panthera onca), Ozelots (Leopardus pardalis) und Mexikanische Fleckenkäuze (Strix occidentalis lucida).
»Die Menschen stellen sich die Grenze immer als eine öde Gegend vor, eine Art Kriegsgebiet«, meint Valer Clark, die weite Areale beiderseits der Grenze für die Naturschutzorganisation Cuenca de Los Ojos Foundation verwaltet. »Aber das stimmt überhaupt nicht. Dies ist eine unglaublich reichhaltige Landschaft – ein Gebiet, das wir unbedingt erhalten müssen.«
Doch mit zunehmendem Bevölkerungswachstum steigt auch die Gefährdung der Region durch die urbane Entwicklung. Bereits in der Vergangenheit haben Staudämme, Bergwerke, Ranches und Farmen zu einer Zerstückelung und Beeinträchtigung natürlicher Habitate geführt, und als Konsequenz sind die einst ausgedehnten, für Zugvögel und andere heimische Arten lebenswichtigen Feuchtgebiete nahezu vollständig verschwunden. Und zu allem Überfluss zeichnet sich auch das Schreckgespenst des Klimawandels drohend über der ariden Landschaft ab, indem es die üblichen Niederschlagsmuster durcheinanderbringt sowie häufigere und heftigere Waldbrände begünstigt. Rechnet man die illegale Einwanderung in die USA und den blühenden grenzüberschreitenden Drogenhandel hinzu, ergibt sich ein sowohl politisch als auch ökologisch äußerst vielschichtiges Gebiet.
Zäune und Mauern
Und mitten durch all dies zieht sich die internationale Grenze wie der Handlungsfaden einer komplizierten Geschichte. Etwa ein Drittel der Strecke ist schon jetzt mit diversen Barrieren versehen, die von Stacheldrahtzäunen über hohe Metallwände bis zum so genannten »normandy fencing« reichen, einer aus X-förmigen Stahlgebilden bestehenden Einzäunung, die aussieht, als stamme sie von einem Strand aus dem Zweiten Weltkrieg. Die meisten dieser Hindernisse befinden sich in der Nähe größerer Städte sowie an Stellen, an denen illegale Grenzüberquerungen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Somit verbleiben die in entlegeneren und raueren Gegenden verlaufenden Grenzabschnitte noch ohne Einzäunung – zumindest bis jetzt.
Die Auswirkungen der bestehenden Grenzbefestigungen auf die Umwelt sind größtenteils unbekannt; dies ist weitestgehend dem Umstand geschuldet, dass sie erst vor und innerhalb kurzer Zeit errichtet wurden. Als das Ministerium für Innere Sicherheit der Vereinigten Staaten zu Beginn des neuen Jahrtausends in einer Phase verstärkter Grenzsicherung die meisten dieser Barrieren erbaute, wurde auf den Erlass von Umweltgesetzen verzichtet. Wissenschaftlern blieb daher keine Möglichkeit zur Durchführung grundlegender Untersuchungen, die es ihnen erlaubt hätten, die Wanderungen von Tieren sowie den allgemeinen Gesundheitszustand der Ökosysteme vor und nach Errichtung der Hindernisse zu vergleichen. Im Zuge der Bauarbeiten mussten zudem viele hundert Kilometer Zufahrtsstraßen angelegt werden, von denen man weiß, dass sie die Bewegungsfreiheit von Wildtieren beeinträchtigen und zur Aufspaltung von Populationen – insbesondere großer Fleisch- und Pflanzenfresser – führen können. Laut einer Studie zu den Auswirkungen der Grenzinfrastruktur, die 2014 in vier Schutzgebieten Arizonas durchgeführt wurde, schränkten Grenzbarrieren tatsächlich die Mobilität von Säugetieren wie Pumas (Puma concolor) und Nasenbären (Nasua narica) ein; sie zeigten jedoch keinerlei nennenswerte Wirkung auf Menschen, die auf illegalem Weg die Grenze zu überqueren versuchten.
Der Stacheldrahtzaun an der Rancho de Los Fresnos stellte eindeutig kein Hindernis für die Biber dar. Wahrscheinlich waren die Tiere dem Lauf des Wassers gefolgt, das aus den Huachuca Mountains südwärts über die Grenze nach Mexiko fließt und sich dort in einer eigentümlichen hydrologischen Ironie mit den bei Los Fresnos entspringenden Quellen vereinigt, in den San Pedro River mündet und schließlich wieder in Richtung Norden nach Arizona zurückfließt – also innerhalb weniger Kilometer zweimal die internationale Grenze passiert.
Der San Pedro River ist der längste frei fließende Fluss im Südwesten der USA und erhielt einst den Spitznamen »Biberfluss«, da es früher an seinen Ufern von diesen Tieren nur so wimmelte. Doch Jäger und Fallensteller auf der Suche nach Pelzen und die (angesichts der Vorliebe von Bibern, kostbares Wasser umzuleiten) zunehmend frustrierten Rancher und Farmer hatten die Nager bis zum Jahr 1900 vollständig ausgerottet.
Im Jahr 1999 begann das Bureau of Land Management (BLM) mit der Wiederansiedlung von Bibern im südlichen Arizona. Ein Ziel dieser Maßnahme war die Verbesserung der Landschaft, denn Biberdämme unterstützen die Rückhaltung von Wasser während der Trockenzeit und begünstigen somit die Entwicklung von Uferzonen einschließlich der dort lebenden, vom Wasser abhängigen Pflanzen und Wildtiere. Das Projekt entwickelte sich zu einem vollen Erfolg, und Hunderte von Biberteichen entstanden in Richtung Norden bis zum Gila River und im Süden bis weit über die Grenze nach Mexiko. In Los Fresnos seien die ersten Biber nach einer Reihe schwerer Stürme im Jahr 2008 aufgetaucht, erinnert sich Carreón. »Hier war alles überflutet, und dann sahen wir auf einmal abgenagte Baumstümpfe.« Heute leben etwa drei Biberfamilien mit jeweils vier bis fünf Individuen auf dem Gelände, schätzt der Mexikaner.
Biber ohne Grenzen
Wissenschaftler des U.S. Geological Survey und der University of Arizona fanden heraus, dass die Tätigkeit der Biber als Umweltingenieure bereits nachweisliche Wirkungen am Oberlauf des San Pedro River zeigt. Die von den im Wasser lebenden Nagern besiedelten Stellen, darunter auch einige auf dem Areal von Los Fresnos, wiesen eine weitaus größere Zahl und Vielfalt an Vögeln auf; dazu zählen gefährdete und vom Aussterben bedrohte Arten wie etwa der südwestliche Weidentyrann (Empidonax traillii extimus). Das Entfernen großer Bäume durch die Biber sowie die Schaffung von Teichen und Sumpfgebieten begünstigt das Wachstum neuer Baum- und Buschvegetation am Ufersaum, die ihrerseits Insekten und sich von diesen ernährende Vögel anlockt. Eine solche Umgestaltung der Landschaft ist entlang des San Pedro River von besonderer Bedeutung, denn mehr als 300 Vogelarten nutzen das Gebiet als Zwischenstation auf ihren Zugrouten zwischen Nord- und Südamerika. Hätte es allerdings eine unpassierbare Mauer entlang der Grenze gegeben, wären die Biber in ihrer nordamerikanischen Heimat geblieben, und eine solche Veränderung der Landschaft wäre niemals möglich gewesen.
Eine weitere Tierart, deren Grenzüberquerungen unlängst für Neuigkeiten sorgte, ist der Jaguar. Einst reichte das Verbreitungsgebiet der größten Katze der westlichen Hemisphäre von Patagonien bis zum Grand Canyon. In den 1960er Jahren waren diese Raubtiere jedoch größtenteils aus den USA verschwunden – getötet von Jägern sowie von Viehzüchtern, die ihre Herden zu schützen versuchten. Die nächstgelegene Population sich fortpflanzender Jaguare war eine kleine Gruppe von Individuen in der nördlichen Sonora.
1971 und 1986 wurden einzelne männliche Jaguare von Jägern in Arizona geschossen. 1996 befand sich der Viehzüchter Warner Glenn auf Pumajagd in den Peloncillo Mountains in New Mexico, als seine Hunde einen Jaguar aufspürten. Doch Glenn entschied sich gegen das Gewehr, schoss stattdessen mit seiner Kamera ein Foto von der Großkatze und war somit seit Jahrzehnten der Erste, der einen Jaguar auf US-amerikanischem Boden am Leben ließ.
Seitdem sind mehrere dieser Raubkatzen auf der amerikanischen Seite der Grenze gesichtet worden, wo man sie mit ausgesprochen gemischten Gefühlen willkommen hieß. Im Jahr 2009 fing ein Biologe des Arizona Game and Fish Department südlich von Tucson einen männlichen Jaguar, »Macho B« genannt. Dieses Tier, dessen Alter man auf etwa 16 Jahre schätzte, war der älteste bekannte wild lebende Jaguar und hatte in den vergangenen fünf Jahren die Grenze zwischen den USA und Mexiko mehrmals in beide Richtungen überquert, wie Aufzeichnungen von Freilandkameras bestätigten.
Kann der Jaguar zurückkehren?
Macho B wurde betäubt, mit einem Funkhalsband versehen und wieder in die Freiheit entlassen, doch offensichtlich war etwas nicht in Ordnung, so dass der Jaguar erneut eingefangen werden musste. Tierärzte stellten eine Schädigung der Nieren fest, die möglicherweise durch das Betäubungsmittel – ein Wirkstoff, der eigentlich bei Bären eingesetzt wird – hervorgerufen wurde und die so schwer wiegend war, dass Macho B schließlich eingeschläfert werden musste. Die öffentliche Empörung war groß, und der Vorfall entwickelte sich zu einem handfesten Skandal – inklusive Beschuldigungen wegen behördlichen Fehlverhaltens und der Strafverfolgung von internen Hinweisgebern.
2011 tauchte auf Bildern von Überwachungskameras in den Santa Rita Mountains nahe Tucson ein weiteres Jaguarmännchen auf, dem ortsansässige Schulkinder den Spitznamen »El Jefe« (der Chef) gaben. In den folgenden vier Jahren beschäftigte sich der Wildtierbiologe Chris Bugbee eingehend mit der Untersuchung dieses Tiers. Von seinem Zuhause in Tucson aus leitet Bugbee gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Biologin Aletris Neils, Conservation CATalyst, eine kleine, gemeinnützige Organisation, die sich dem Schutz wild lebender Groß- und Kleinkatzen verschrieben hat.
Im Lauf der Zeit lernte der Wildtierbiologe den Jaguar wie kein anderer kennen. Doch manchmal drehte El Jefe den Spieß um. »Ich wusste, dass er mir folgte«, berichtet Bugbee. »Mehr als nur einmal war der Jaguar das erste Tier, das unmittelbar nach mir an einer Kamerafalle auftauchte. Einmal erschien er sogar schon nach 16 Minuten.« Nachdem El Jefe auf Hunderten von Freilandkamerabildern zu sehen gewesen war, verschwand er plötzlich gegen Ende des Jahres 2015. »In der letzten Zeit verhielt sich der Jaguar anders, er zeigte sich sogar am helllichten Tag«, erklärt Bugbee. Er vermutet, dass die Raubkatze nach Mexiko zurückkehrte, um sich dort fortzupflanzen.
Nach Ansicht von Biologen, unter ihnen auch Bugbee und Neils, stammen männliche Einzelgänger wie El Jefe und Macho B aus einer 125 bis 150 Individuen umfassenden Jaguarpopulation im Norden des mexikanischen Bundesstaats Sonora. Auf der Suche nach neuen Territorien und wahrscheinlich auch einer Partnerin an den Rändern ihres Verbreitungsgebiets passieren einige der Tiere die US-amerikanische Grenze. Dies ist einer der Gründe für die außerordentliche Diversität der Region um die Sky Islands, denn die vielen aneinandergrenzenden Habitate führen eine große Zahl von Arten an den Rändern ihrer jeweiligen Lebensräume zusammen – sie stellen sozusagen das biologische Äquivalent der Cantina in »Star Wars« dar. Während die Zunahme an Jaguarsichtungen zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass Wissenschaftler vermehrt Freilandkameras einsetzen und somit Tiere entdecken, die ihnen zuvor entgangen wären, weist Bugbee jedoch darauf hin, dass die Jaguare ganz eindeutig wieder über die Grenze nach Norden zurückdrängten. Zusammen mit Neils und anderen Experten ist er der Ansicht, dass Trumps Mauer das Aus für die Jaguare auf der amerikanischen Seite der Grenze bedeuten würde.
»Für die Jaguare im nördlichen Mexiko ist es lebenswichtig, dass sie in der Lage sind, ihr Verbreitungsgebiet und ihre Individuenzahlen zu vergrößern, um dadurch die Widerstandsfähigkeit der Population zu stärken«, macht Randy Serraglio vom Center for Biological Diversity mit Sitz in Tucson deutlich. »Da sich ihr Lebensraum auf diese kleinräumigen, stark fragmentierten Gebiete beschränkt, sind die Jaguare gegenüber Störungen extrem anfällig.« Jene Tiere hingegen, die in neue Gebiete vordringen würden, könnten sich als äußerst entscheidend für den Fortbestand einer Art erweisen, ergänzt Serraglio. »Sie sind die Pioniere, die neue Fertigkeiten entwickeln und sich an veränderte Habitate anpassen.«
Positive Gefühle – zumindest teilweise
Mit überwältigender Mehrheit befürworte die Öffentlichkeit die Wiederkehr der Großkatzen, berichtet Serraglio. »Ganz Tucson flippte vor Begeisterung aus, als El Jefe zu einer solchen Berühmtheit wurde.« Doch mittlerweile stehen Naturschützer mit Regierungsbehörden und Interessengruppen der Rancher und Farmer in Konflikt, denn einige Viehzüchter zeigen sich angesichts der möglichen Rückkehr eines großen Beutegreifers nicht sonderlich begeistert. Nach dem Debakel um Macho B »hat sich die Wiederansiedlung des Jaguars für den U.S. Fish and Wildlife Service zu einem wahren Albtraum entwickelt«, erzählt Serraglio. Das Center for Biological Diversity hatte in der Vergangenheit bereits die staatliche Behörde verklagen müssen, um die Großkatze auf die Liste der im Rahmen des Endangered Species Act geschützten Tiere setzen zu lassen und um Lebensräume, die für das Überleben und die Bestandserholung dieser Tiere unentbehrlich sind, zu so genannten »critical habitats« erklären zu lassen – wie es das Gesetz verlangt. 1997 wurde der Jaguar schließlich in die Liste der gefährdeten Tierarten aufgenommen.
Im März 2014 wies das US-Innenministerium ein 3092 Quadratkilometer umfassendes Gebiet im Süden Arizonas und New Mexicos als einen für das Überleben des Jaguars unentbehrlichen Lebensraum aus. Zwei Mitgliederorganisationen der Landwirte und Viehzüchter, das New Mexico Farm and Livestock Bureau und die New Mexico Cattle Growers' Association erhoben daraufhin Klage gegen diese Entscheidung, die sie als »ungesetzlich, eigenmächtig und willkürlich« bezeichneten. Den Hauptstreitpunkt bildet die Frage, ob das Jaguarhabitat nördlich der Grenze tatsächlich von entscheidender Bedeutung für die Bestandserholung ist. Sowohl der U.S. Fish and Wildlife Service als auch das Arizona Game and Fish Department verneinten dies und schlugen vor, dass man sich stattdessen in Mexiko verstärkt um den Schutz und die Erhaltung des Jaguars bemühen sollte.
Im Dezember 2016 legten der U.S. Fish and Wildlife Service und ein binationales Team zur Wiederansiedlung des Jaguars einen 508-seitigen Entwurf eines Rettungsplans vor, der eine auf 50 Jahre angelegte, 606 Millionen US-Dollar (etwa 516 Millionen Euro) umfassende Strategie vorschlägt, um die Großkatzen in allen 19 Ländern, die sie natürlicherweise bewohnen, wieder heimisch zu machen. Als eine von zwei kritischen Zonen der Bestandserholung wird im Rahmen dieses Plans ein Gebiet festgelegt, das Teile von Arizona, New Mexico und Nordmexiko einschließt (die zweite Zone erstreckt sich von Mexiko bis nach Argentinien); die gezielte Wiedereinführung weiblicher Jaguare im Südwesten der USA ist allerdings nicht vorgesehen. Neils weist jedoch darauf hin, dass gerade die Möglichkeit der Fortpflanzung von entscheidender Bedeutung sei. »Wenn wir hier erst einmal einen weiblichen Jaguar haben, dann glaube ich, dass sich die Raubkatzen dauerhaft bei uns ansiedeln werden.«
Die bereits bestehenden Grenzbefestigungen hätten wahrscheinlich keinen großen Einfluss auf die Wanderungen der Jaguare, vermutet Neils, denn die Tiere bevorzugten höher gelegene Routen, an denen momentan noch keine Barrieren existierten. Ironischerweise würden die Großkatzen bereits ganz von allein damit beginnen, sich in ihrem früheren US-amerikanischen Lebensraum wieder anzusiedeln, fügt die Biologin hinzu, unabhängig von teuren Wiederansiedelungsprojekten, die sich über viele Jahre hinziehen könnten. »Sie lösen gerade das Problem für uns. Wir können sie umsonst zurückholen – einfach, indem wir gar nichts tun!«
El Jefe stammt vermutlich aus einem 223 Quadratkilometer großen Reservat im Norden von Sonora, das dem gemeinnützigen, aus amerikanischen und mexikanischen Naturschützern bestehenden Northern Jaguar Project (NJP) gehört. Neben der Verwaltung des Schutzgebiets hat die Gruppe ein Programm namens »Viviendo con Felinos« (mit Katzen leben) ins Leben gerufen, das benachbarten Landbesitzern für jedes Tier, das von auf ihrem Grund und Boden installierten Geländekameras dokumentiert wird, eine bestimmten Geldsumme zahlt. Ein Jaguar beispielsweise ist 5000 Pesos (etwa 220 Euro) wert; andere Spezies sind weniger einträglich, doch jedes einzelne Tier kann sich durch wiederholte Aufnahmen mehrfach auszahlen. Als Gegenleistung verlangt Viviendo con Felinos von den Projektteilnehmern die Zusicherung, den Wildtieren auf ihren an das Reservat grenzenden Ländereien keinen Schaden zuzufügen.
Das Programm verdeutliche, wie man es erreichen könne, dass Landbesitzer den Jaguar aus einem anderen Blickwinkel betrachteten, erklärt die Vorsitzende des NJP, Diana Hadley. Viehzüchter würden die großen Beutegreifer häufig als eine Gefahr für ihre Herden ansehen, doch seit dem Start von Viviendo con Felinos im Jahr 2003 sei nicht eine einzige Kuh oder ein Kalb auf irgendeiner der mexikanischen Ländereien von einem Jaguar getötet worden, versichert Hadley. Mit mehreren hundert Fotos von über 50 verschiedenen Katzen ist es der Gruppe inzwischen gelungen, die wohl umfangreichste, zusammenhängende Datenbank von Jaguarsichtungen aufzubauen. »Es gibt sogar schon eine Warteliste für das Programm«, berichtet Hadley. »Die Viehzüchter sind begeistert«, sowohl angesichts Bezahlung als auch wegen eines Gefühl des Stolzes, das ihnen die Anwesenheit eines von vielen Menschen so verehrten Lebewesens auf ihrem Land beschert. Zu Weihnachten erhält jeder Rancher ein Fotobuch mit den Bildern »seiner« Tiere.
An einem warmen Abend im Mai 2017 waren einige dieser Fotos als großformatige Projektionen auf den rostigen Metallpfosten des Grenzzauns, der die Stadt Douglas in Arizona von der mexikanischen Stadt Agua Prieta trennt, zu sehen. Ein sechs Meter großer Jaguar wurde von einem Puma abgelöst, es folgte das Bild eines Ozelots (Leopardus pardalis) – einer kleineren gefleckten Katze – und schließlich erschien ein Großohr-Kitfuchs (Vulpes macrotis) mit seinem langen, buschigen Schwanz. Unter den Blicken der Grenzschutzbeamten, die in einem Lastwagen der U.S. Customs and Border Protection mit laufendem Motor saßen, schlenderte eine kleine Menschengruppe auf der amerikanischen Seite im Licht des pastellfarbenen Sonnenuntergangs umher. Durch die schmalen Zwischenräume der Metallpfosten war eine ähnlich große Ansammlung auf der mexikanischen Seite der Grenze zu erkennen. Einige Menschen plauderten miteinander durch die Lücken im Grenzzaun, während andere musizierten oder Reden hielten.
Bewegungsfreiheit für Katzen
Diana Hadley vom Northern Jaguar Project, die diese grenzübergreifende Veranstaltung organisiert hatte, ergriff das Mikrofon. Sie erklärte den Zuschauern, dass die Bewegungsfreiheit aller während der Projektion gezeigten Tierarten in irgendeiner Weise durch die bestehenden Grenzbefestigungen beeinträchtigt werde. Dann stellte sie Diego Ezrré vor, einen von zwölf mexikanischen Viehzüchtern, die an dem Viviendo-con-Felinos-Programm teilnehmen. »Das Reservat ist ein toller Nachbar«, sagte Ezrré. »Weil es wieder mehr Waldtiere gibt, haben wir weniger Viehverluste durch Jaguare oder Pumas.«
»Dies ist der erste Ort, an dem wir unsere Projektion vorgeführt haben«, fuhr Hadley fort, während am Himmel die ersten Sterne erschienen. »Aber ich hoffe, wir werden sie entlang der gesamten Grenze zeigen können – von Kalifornien bis nach Texas.« – »Bis ins Weiße Haus!«, rief eine Stimme aus der Menge.
Einige der in Arizona gesichteten Jaguare passierten bei ihrer Wanderung nach Norden mit ziemlicher Sicherheit auch die Gelände der Naturschutzorganisation Cuenca de Los Ojos Foundation (CLO), die im oberen Einzugsgebiet des Río Yaqui elf Ranches verwaltet; zwei befinden sich in den Chiricahua Mountains in Arizona und neun im mexikanischen Sonora. Die Ländereien reichen von Graslandschaften über Wüstengebiete bis zu Bergwäldern und bilden die Heimat von mehr als 25 Arten, die in den USA als gefährdet oder vom Aussterben bedroht eingestuft werden.
Während wir in einem schwarzen Pick-up mit getönten Fensterscheiben die Carretera Federal 2 entlangfahren, deutet David Hodges, Leiter des Bereiches Naturschutz bei CLO, auf schlanke weiße Türme, die auffällig aus dem hügeligen Gelände jenseits der Grenze ragen. Sie sind Teil eines neuen Fernüberwachungsnetzes der Amerikaner. »Manchmal kann man hier bei uns auf den Hügeln Späher sehen – so genannte ›puntos‹«, berichtet Hodges. »Mit Ferngläsern und Funkgeräten sitzen sie in ihren Kleintransportern und beobachten im Auftrag der Schmuggler die amerikanische Grenzpatrouille.«
Auf der Fernstraße, die keinen Seitenstreifen aufweist, herrscht ein dichter Verkehr von Sattelschleppern. José Manuel Pérez, der Fahrer unseres Wagens und CLO-Einsatzleiter für Mexiko, nippt an einem großen Becher eines kühlen Erfrischungsgetränks. An der Rancho San Bernardino, etwa 24 Kilometer östlich von Agua Prieta, verlassen wir die Schnellstraße. Ein Audubon-Baumwollschwanzkaninchen flieht vor uns im Zickzack die schmutzige Straße entlang und hinterlässt bei seinen Sprüngen kleine Staubwolken. Die 60 Quadratmeter große Ranch sei in einem furchtbaren Zustand gewesen, als die Stiftung sie im Jahr 2000 erwarb, erinnert sich Hodges. Die vorherigen Besitzer hatten das Gelände durch Ackerbau und Viehzucht völlig heruntergewirtschaftet und tiefe, ausgetrocknete Flussbetten und kahle Hügel zurückgelassen, auf denen sich rasch invasive Unkräuter ausbreiteten.
Früher war die Ciénega San Bernardino das größte Feuchtgebiet der Region – ein bedeutendes Rastgebiet für Zugvögel, das mehrere tausend Hektar Land umfasste. Bis in die 1980er Jahre schrumpfte diese Fläche allerdings auf gerade einmal 20 Hektar.
Das Land restaurieren
Als sich unser Lastwagen einer Gruppe weißer Bienenkästen im Schatten einer Pappel nähert, kurbelt Hodges vorsorglich sein Fenster hoch. »In dieser Jahreszeit sind sie ein wenig aggressiv«, fügt er erklärend hinzu. Mit seinen mehr als 325 Bienen- und 240 Schmetterlingsarten umfasst das Gebiet der Rancho San Bernardino die vielfältigsten Gemeinschaften von Bienen und Schmetterlingen, zumindest in Nordamerika.
Am Silver Creek, einem Nebenfluss des San Bernardino River, hält Pérez das Fahrzeug an, und wir durchqueren ein Dickicht dorniger Mesquitebüsche, um zu dem ausgetrockneten Bachbett zu gelangen. Einige Meter flussabwärts verläuft ein etwa 1,50 Meter hoher, dammartiger Vorsprung quer durch den Sand. Er besteht aus mit Steinen gefüllten, quadratischen Drahtkäfigen, von denen jeder einzelne ungefähr so groß wie eine Geschirrspülmaschine ist.
Vor 25 Jahren begann Valer Clark, eine ehemalige Angehörige der High Society Manhattans und jetzige Naturschützerin, Grundstücke im Südwesten der USA aufzukaufen. Im Rahmen der CLO-Stiftung investierte sie Jahrzehnte harter Arbeit und Millionen US-Dollar in ein Projekt, das darauf abzielte, 607 Quadratkilometer stark geschädigter Landflächen wieder zum Leben zu erwecken. Clark pflanzte natürlicherweise vorkommende Gräser und siedelte heimische Fische, Rotwild und Truthühner an. Doch all diese Lebewesen benötigten Wasser, deshalb stand die Wiederherstellung der natürlichen Fließdynamik von Wasserläufen an oberster Stelle.
Die Drahtkäfige – Gabionen genannt – stellten eine technisch einfache und relativ kostengünstige Methode zur Veränderung des Wasserflusses dar, ohne diesen komplett zu blockieren, erklärt Hodges. In Wüstengebieten werden die durch Beweidung und Ackerbau freigelegten Böden während des Sommermonsuns regelrecht weggespült. Das kostbare Wasser fließt dann mit hoher Geschwindigkeit durch tiefe, enge Rinnen ab und dringt kaum in den Boden ein. Künstlich errichtete Vorsprünge sowie Absätze in der Dammböschung – so genannte Bermen – in Form von Gabionen sorgen für eine Verlangsamung der Strömung. Das Wasser fließt gemächlicher, bildet Mäander und lagert Sedimente ab, die zur Verfüllung und Erweiterung der Flussbetten beitragen. Mit genügend Arbeitsaufwand und regelmäßiger Pflege kann es schließlich gelingen, dass Flüsse und Bäche in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden und wieder so aussehen wie früher, bevor menschliche Aktivitäten die Landschaft veränderten.
Inzwischen haben Clark und ihre Mitstreiter Tausende von Gabionen und kleinen Steindämmen, »trincheras« genannt, auf den stiftungseigenen Ländereien errichtet. Zusammen mit der neu angepflanzten Vegetation aus Weiden und Pappeln hat dies dazu geführt, dass in überweideten Gebieten gelegene und von der Dürre stark betroffene Wasserläufe, wie etwa der Silver Creek, wieder zum Leben erweckt werden konnten. »Seit Val mit ihren Renaturierungsmaßnahmen begann, ist dieses Bachbett erneut zu 3,65 Metern mit Sedimenten aufgefüllt worden«, betont Hodges.
Valer Clark lebt auf El Coronado Ranch, einer der in den Chiricahua Mountains in Arizona gelegenen Ländereien der Cuenca de Los Ojos Foundation. Nach jahrelanger Arbeit zur Wiederherstellung der natürlichen Wasserläufe »fließt das Wasser jetzt am Ende der Regenzeit wie früher aus den Bergen«, versichert Clark. Auf den grasbedeckten Hügeln tummeln sich Coues-Weißwedelhirsche, Schwarzbären und Gould-Truthühner.
Wasser ist Leben
»Dies ist allerdings eine eher symbolische Maßnahme«, räumt die Naturschützerin ein. »Wir haben erreicht, dass hier einer von vielen Bächen wieder Wasser führt.« Dennoch ist der Grundwasserspiegel auf dem Gelände von San Bernardino innerhalb der vergangenen acht Jahre um 9,15 Meter gestiegen – im Gegensatz zu nahe gelegenen Regionen, in denen er um weit mehr als 30 Meter sank. Die Feuchtgebiete haben sich ausgedehnt und bieten stetig wachsenden Populationen von Vögeln und Säugetieren einen Lebensraum.
Nur wenige hundert Meter stromaufwärts markiert eine Straßensperre die internationale Grenze, die auf einer Strecke von 56 Kilometern auch den nördlichen Rand des Geländes von San Bernardino bildet. In den letzten Jahren sei die Zahl der illegalen Grenzüberquerungen hier dramatisch zurückgegangen, berichtet Hodges – wegen der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen, aber auch auf Grund der besseren mexikanischen Wirtschaftslage. »Für Tätigkeiten, die früher in den USA mit dem Zehnfachen des mexikanischen Lohnes bezahlt wurden, erhält man heute nur noch das Dreifache«, verdeutlicht Hodges. »Die Grenzmauer hat sowieso nie ihre wahre Funktion erfüllt – im Grunde genommen war sie nur eine Art Temposchwelle.«
Auf der gegenüberliegenden Seite des Grenzzauns befindet sich das San Bernardino National Wildlife Refuge, dessen Hauptaugenmerk dem Schutz bedrohter Wüstenfische wie dem Yaqui chub (Gila purpurea) und dem Yaqui beautiful shiner (Cyprinella formosa) gilt. Das Naturschutzgebiet liegt zwar nur wenige Schritte von uns entfernt, doch um von dort aus auf legalem Weg zur Rancho San Bernardino zu gelangen, muss man zunächst dem Geronimo Trail in westlicher Richtung folgen, in Douglas den Grenzübergang nach Agua Prieta überqueren und dann auf der Carretera Federal 2 wieder zurück nach Osten fahren. Mit etwas Glück legt man die Strecke in einer Stunde zurück.
Die bestehende Grenzmauer sei schon jetzt ein enormes Hindernis für die internationalen Naturschutzbemühungen, stellt Bill Radke, Leiter des San Bernardino National Wildlife Refuge, fest. Wegen der verschärften Bestimmungen wird es für Staatsangestellte zunehmend schwieriger, im Rahmen ihrer Tätigkeit zwischen den USA und Mexiko hin- und herzureisen. »Es gab Zeiten, da konnte man einfach zu Fuß über die Grenze gehen, um irgendeine Messung vorzunehmen. Doch das ist heute anders«, berichtet Radke. »Was früher in einer Stunde erledigt wurde, dauert jetzt einen ganzen Tag.« Dennoch, »wenn man plötzlich einer geteilten, zerstückelten Landschaft voller Hindernisse gegenübersteht, ist man gezwungen, über Möglichkeiten und Partner nachzudenken, die man unter normalen Umständen vielleicht nicht in Betracht gezogen hätte.«
Die Mitarbeiter des San Bernardino Wildlife Refuge und der Cuenca de Los Ojos Foundation haben vereinbart, Daten bezüglich der Erosionskontrolle, des Grundwasserspiegels sowie der Fisch- und Vogelpopulationen miteinander zu teilen. Als im Wildschutzgebiet die Bestände an Pappeln und Weiden aus Sicherheitsgründen ausgeholzt werden mussten, wurden die Bäume mitsamt ihren Wurzeln ausgegraben und über den Grenzzaun hinweg an Arbeiter der San Bernardino Ranch weitergereicht, die sie daraufhin auf ihrem Gelände einpflanzten. Einige Bäume warf man einfach in den Fluss und ließ sie mit dem Wasser an ihren Bestimmungsort jenseits der Grenze treiben.
Im Herbst 2017 plant CLO den Start der so genannten Great Southwest Corridor Initiative. Mit dieser Maßnahme wollen die Naturschützer sicherstellen, dass die grenzübergreifenden Wanderrouten der Wildtiere im Gebiet der Sky Islands auch in Zukunft unbeeinträchtigt bleiben und weiterhin von den Tieren genutzt werden können. Nach Auskunft von CLO-Naturschützer David Hodges wurde das Programm bereits vor einiger Zeit als Reaktion auf die »längerfristige politische Unsicherheit« hinsichtlich der Grenzsicherung erarbeitet – bevor Präsident Trump seine Idee einer Mauer entlang der Grenze bekannt gab. Zu den potenziellen Partnern der Initiative zählen sowohl Naturschutzorganisationen wie The Nature Conservancy, der Sierra Club und Defenders of Wildlife als auch private US-amerikanische Landbesitzer und Stammesgemeinschaften der amerikanischen Ureinwohner. »Wir befinden uns gerade an einem ganz entscheidenden Punkt«, macht Gerardo Carreón von Naturalia deutlich, einer weiteren CLO-Partnerorganisation. »Auf beiden Seiten der Grenze kommen die Menschen zusammen und sagen: ›Wir müssen etwas tun!‹«
Erste Mauerentwürfe
Dennoch hat das Ministerium für Innere Sicherheit der Vereinigten Staaten im März 2017 damit begonnen, Designprototypen für eine Mauer in Auftrag zu geben, die sowohl »ästhetisch ansprechend« als auch »vom Aussehen her imposant« sein sollten. Präsident Trump selbst befürwortet ein mit Solarmodulen ausgestattetes Bauwerk aus transparentem Material; zudem nahm er von seinem ursprünglichen Versprechen einer fast 3200 Kilometer langen Grenzbefestigung Abstand und schlägt jetzt eine Länge von lediglich 1100 Kilometern vor.
Als Vorbereitung für zukünftige Baumaßnahmen hat das U.S. Army Corps of Engineers bereits in Texas, New Mexico und Kalifornien mit Bohrungsarbeiten und der Entnahme von Bodenproben begonnen. Und für den Bau eines neuen Mauerabschnitts sowie zweier parallel verlaufender Zufahrtsstraßen im Rio Grande Valley südlich von Texas haben von der Customs and Border Protection beauftragte Ingenieure schon erste Landvermessungs- und Erschließungsarbeiten durchgeführt. Da bei diesen Aktivitäten auch private Grundstücke und wichtige Schutzgebiete für Wildtiere durchquert wurden, kam es zu öffentlichen Protesten.
Über die Finanzierung der Grenzmauer wird indes noch heftig diskutiert. Im Juli 2017 stimmte der Haushaltsausschuss des US-Repräsentantenhauses Gesetzentwürfen zu, die Ausgaben von 1,6 Milliarden US-Dollar (etwa 1,35 Milliarden Euro) für die Errichtung zusätzlicher Mauern und Zäune auf einer Strecke von knapp 120 Kilometern entlang der Grenze zu Mexiko umfassen. Allerdings haben die demokratischen US-Senatoren bereits angekündigt, die Bereitstellung von Finanzmitteln zu blockieren, und der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto lehnt die Forderung Trumps, für einen Teil der Kosten des Mauerbaus aufzukommen, bislang vehement ab. Bei einer Veranstaltung vor Anhängern der Republikaner im August 2017 drohte Präsident Trump in seiner Rede mit dem »Government Shutdown«, also einer Stilllegung der US-Regierung, um die Finanzierung der Grenzmauer sicherzustellen.
Unterdessen finden Tiere auch weiterhin ihren Weg über die Grenze. Im März 2017 wurde ein weiblicher Mexikanischer Wolf in der Nähe des Chiricahua National Monuments im südöstlichen Arizona fotografiert. Es handele sich um den ersten Beleg eines aus Mexiko eingewanderten Wolfes seit dem Beginn der dortigen Wiederansiedlung dieser Tiere vor mehr als zwei Jahrzehnten, erklärt Hodges. Und wie die Jaguare sei auch der Wolf von den Ländereien der Cuenca de Los Ojos Foundation gekommen, auf deren Gebiet er vermutlich auch die Grenze überquert habe, fügt der Naturschützer hinzu.
Gegen Ende des Jahres 2016 tauchten zudem zwei neue Jaguare im Süden Arizonas auf. Eines der Tiere, das auf dem Gebiet der US-Militärbasis Fort Huachuca in der Nähe der Stadt Sierra Vista gesichtet wurde, tauften Schulkinder im benachbarten Reservat der Pascua Yaqui auf den Namen »Yo'oko Nashuareo« – die Bezeichnung für Jaguar in der Stammessprache der Yaqui. Die zweite Großkatze wurde in den Dos Cabezas Mountains nahe Wilcox entdeckt, nahezu 160 Kilometer nördlich der mexikanischen Grenze. Seit Jahrzehnten hat sich kein Jaguar so weit in den Norden vorgewagt. Noch weiß es niemand mit Sicherheit, aber es könnte sich eventuell um ein Weibchen handeln.
Der Artikel erschien ursprünglich unter dem Titel »Up against the wall« bei »bioGraphic«, einem digitalen Magazin, das von der »California Academy of Sciences« publiziert wird.
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