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Planetenentstehung: TW Hydrae: Zuwachs bei der uns nächsten Planetenkinderstube

Mit Hilfe des ESA-Weltraumteleskops Herschel hat eine Gruppe von Astronomen auf neue Weise die Masse der Planetenkinderstube TW Hydrae bestimmt – in 176 Lichtjahren Entfernung das uns nächste derartige Objekt und damit für Studien zur Planetenentstehung besonders wichtig. Der neue, deutlich genauere Wert für die Masse ist größer als frühere Schätzungen und zeigt, dass in diesem System Planeten ähnlich denen unseres Sonnensystems entstehen können.
Künstlerische Darstellung der Staubscheibe um TW Hydrae

Was den Ägyptologen ihr Stein von Rosette und Genetikern ihre Fruchtfliegen, das ist den Astronomen, die sich mit der Entstehung von Planeten befassen, TW Hydrae: Ein besonders gut zugängliches Schlüsselobjekt, das die Grundlagen eines ganzen Fachgebiets legen kann. TW Hydrae (abgekürzt TW Hya) ist ein junger Stern mit ungefähr der Masse wie die Sonne. Umgeben ist er von einer protoplanetaren Scheibe aus dichtem Gas und Staub, in der kleine Staub- und Eisbröckchen zu immer größeren Gebilden zusammenklumpen, bis am Ende ganze Planeten entstehen. Auf solche Weise ist vor mehr als vier Milliarden Jahren auch unser eigenes Sonnensystem entstanden.

Das Besondere an der Scheibe von TW Hydrae ist ihre astronomisch gesehen geringe Entfernung von nur 176 Lichtjahren – alle weiteren uns bekannten Scheiben sind mehr als zweieinhalb mal soweit von der Erde entfernt. Damit ist die Scheibe von TW Hydrae für Beobachtungen besonders gut zugänglich. Direkte Bilder können die Astronomen davon zwar wegen der Größenverhältnisse nicht anfertigen; durch die Untersuchungen des Lichts des Systems bei unterschiedlichen Wellenlängen (sprich: Untersuchungen des Spektrums) und den Vergleich der dabei gewonnenen Daten mit Modellen lassen sich die Anwesenheit und wichtige Eigenschaften der Scheibe aber gut erschließen.

Entsprechend besitzt TW Hydrae eine der am häufigsten beobachteten und am gründlichsten untersuchten protoplanetaren Scheiben überhaupt. Umso ärgerlicher, dass einer der grundlegenden Parameter der Scheibe bislang nur sehr ungenau bekannt war: die Masse des in der Scheibe enthaltenen Gases aus Wasserstoffmolekülen. Dieser Massenwert ist entscheidend, um abzuschätzen, wieviele und welche Arten von Planeten in der Scheibe entstehen können.

Bisherige Versuche, die Masse zu bestimmen, hingen empfindlich von Modellannahmen ab. Die Werte, die sich dabei ergaben, umfassten entsprechend einen größeren Bereich: die Abschätzungen für die Masse des molekularen Wasserstoffs in der Scheibe variierten zwischen einer halben und mehr als 60 Jupitermassen. Die neuen Messungen nutzen aus, dass es bei den Wasserstoffmolekülen selbst subtile Unterschiede gibt: Einige wenige Moleküle bestehen nicht aus zwei normalen Wasserstoffatomen, sondern enthalten ein Deuteriumatom (während der Atomkern von Wasserstoff nur aus einem einzigen Proton besteht, enthält Deuterium ein zusätzliches Neutron). Wegen dieses feinen Unterschieds ist die Infrarotstrahlung, die mit der Rotation der Moleküle zusammenhängt, bei diesen so genannten Wasserstoffdeuterid-Molekülen ungleich stärker als bei normalen Wasserstoffmolekülen.

Das Weltraumteleskop Herschel bietet im Wellenlängenbereich dieser Strahlung eine sonst unerreichbare Kombination aus Empfindlichkeit einerseits und einer hohen spektralen Auflösung andererseits. Unter diesen Voraussetzungen gelang es den Astronomen, die ungewöhnlichen Moleküle nachzuweisen. Die Auswertung, zehn Mal genauer als alle vorigen Massenbestimmungen, ergaben, dass die Scheibe eine Mindestmasse von rund 52 Jupitermassen haben muss.

Altersabschätzungen für TW Hydrae führen auf Werte zwischen drei und zehn Millionen Jahren, die für Sternsysteme mit Scheibe relativ hoch liegen. Die neuen Massenmessungen zeigen, dass trotz des hohen Alters noch genügend Materie vorhanden ist, um ein Planetensystem größer als unseres entstehen zu lassen. Unser Sonnensystem ging dagegen aus einer deutlich masseärmeren Scheibe hervor.

Auf dieser soliden Grundlage und unter Einbeziehungen weiterer Eigenschaften wie beispielsweise der Temperaturverteilung, die sich aus Folgebeobachtungen mit dem Teleskopverbund ALMA in Chile noch deutlich genauer erschließen lassen sollte, wird es möglich sein, weit realistischere Modelle für die Scheibe von TW Hydrae zu entwickeln als bisher. Der Vergleich dieser Modelle mit den Beobachtungsdaten wiederum wird es erlauben, die gängigen Theorien der Planetenentstehung auf die Probe zu stellen.

Die Beobachtungen sind auch deswegen interessant, weil sie Einblicke bieten, wie Wissenschaft gemacht wird – und wo potenzielle Probleme des Wissenschaftsbetriebs liegen. Thomas Henning erklärt: "Dieses Projekt begann in einem Gespräch zwischen Ted Bergin, Ewine van Dieshoek und mir. Uns wurde klar, dass Herschel unsere einzige Möglichkeit war, um Wasserstoffdeuterid in dieser Scheibe zu beobachten – und damit eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen konnten! Wir haben aber auch gemerkt, dass wir mit diesen Beobachtungen ein Risiko eingehen würden. Eine der Modellrechnungen sagte voraus, dass wir mit Herschel überhaupt nichts sehen würden. Stattdessen waren unsere Beobachtungsdaten am Ende besser, als wir zu hoffen gewagt hatten."

TW Hydrae ist damit ein Lehrstück für Gremien, die Forschungsmittel oder, wie in der Astronomie üblich, Beobachtungszeit an großen Teleskopen vergeben – und die dabei im ungünstigsten Falle so konservativ vorgehen, dass Antragssteller fast garantieren müssen, dass ihr Projekt erfolgreich verlaufen wird. In den Worten von Thomas Henning: "Wenn nicht die geringste Chance besteht, dass ein Projekt schiefgeht, dann dürfte es wissenschaftlich nicht besonders interessant ein. TW Hydrae ist ein Paradebeispiel dafür, wie es sich in der Wissenschaft lohnen kann, ein kalkuliertes Risiko einzugehen."

MPIA / Red.

  • Quellen

Max-Planck-Institut für Astronomie, 30. Januar 2013

Bergin, E. A. et al., Nature 493, S. 644 – 646, 2013. doi:10.1038/nature11805

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