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Sozialpsychologie: Twitternutzer übertreiben's mit den Stereotypen

Psychologische Analysen mit Computerhilfe zeigen: Vorurteile helfen, unser Gegenüber in sozialen Medien ganz gut einzuschätzen. Gleichzeitig sorgen sie für drastische Fehler.
Symbole weiblich / männlich

Menschen machen sich von unbekannten Gesprächspartnern in sozialen Medien automatisch ein ungefähres Bild, auch ohne verlässliche Informationen über diese zu haben: Eine Reihe von Bewertungsstereotypen entscheidet bei einer Analyse des Gesagten darüber, ob wir meinen, es mit Jung oder Alt, Mann oder Frau beziehungsweise Menschen mit fortschrittlichen oder konservativen Ansichten zu tun zu haben. Dabei liegen die meisten User mit ihrer Einschätzung in der Tendenz zwar oft richtig – sie übertreiben es aber noch häufiger mit den unbewusst einfließenden Vorurteilen, berichten Linguisten nach einer computergestützten Auswertung von Twitterinteraktionen.

Gender-Floskelwolke | Diese Beispiele in den Floskelwolken sammeln die von Freiwilligen im Twittervokabular als "typisch weiblich" und "typische männlich" eingestuften Begriffe. Im Wesentlichen stimmt es dabei tatsächlich, dass Frauen häufiger etwa "cute" twittern als Männer – allerdings werden wegen einer Überinterpretation der zu Grunde liegenden Vorurteile dann fast alle Frauen für Männer gehalten, wenn sie naturwissenschaftlichen Jargon einstreuen.

Die Wissenschaftler hatten Freiwillige gebeten, Geschlecht, Alter und politische Präferenz der Verfasser von Tweets nur anhand des in den Mitteilungen verwendeten Vokabulars zu raten. Aus den Antworten destillierten sie dann charakteristische Worthäufigkeitswolken, die zum Beispiel besonders oft mit konservativen oder weiblichen Nutzern assoziiert werden. So erhielten die Forscher am Ende ein relativ zutreffendes Abbild der Stereotype ihrer Testteilnehmer, das zudem kaum durch psychologische Effekte verzerrt war – etwa durch schamhaftes Verschweigen von als nicht erwünscht angenommenen Vorurteilen.

Ein Vergleich mit zuvor erhobenen Auswertungen zeigt, dass die so gesammelten Assoziationswolken sich im Durchschnitt als ziemlich zutreffend entpuppen: Tatsächlich nutzten Frauen zum Beispiel in ihren Tweets etwas häufiger Begriffe wie "Liebe" oder "shopping" sowie beschreibende Adjektive ("süß"), Männer dagegen eher technologische und naturwissenschaftliche Begriffe. Dies führt aber auch zu vielen falschen Schlussfolgerungen, wenn eine solche Durchschnittsbetrachtung an den Einzelfall angelegt wird, warnen die Wissenschaftler. Sehr oft stuften die Befragten ihr Gegenüber falsch ein, wenn es in der Wortwahl gegen das gefühlte Stereotyp verstieß. Demzufolge wurden fast alle Frauen, die zum Beispiel technische Begriffe einstreuten, für Männer gehalten. Insgesamt, so fassen die Forscher zusammen, sorgt die unbewusste Überinterpretation vage zutreffender stereotyper Regeln in vielen Fällen für eine falsche Einschätzung.

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