Genetik: Überall Regler im Schrott
Nicht jede biologische Hypothese wird einmal zur ehernen Weisheit, eher im Gegenteil. Jetzt erwischt es die Ansicht, unser Erbgut bestehe zum größten Teil aus unbrauchbarem Schrott: Ein penibler Blick auf die menschliche DNA verfrachtet den Glauben an Massen unbenutzer Junk-DNA erst einmal auf den Müllhaufen überholter Anschauungen.
Genom, meint John Greally, ist eigentlich ein völlig falsches Wort für die gesammelte DNA-Masse in unseren Zellen. Genom, das klingt schließlich so, als ob in diesen Erbgutstrang-Knäueln Gene, Gene und nochmals Gene stecken, jedenfalls nicht viel anderes. Und das ist ziemlicher Quatsch.
Unter anderem aus diesem Grund war der bejubelte Abschluss des Humangenomprojektes – die "vollständige Sequenzierung des menschlichen Erbguts" – für viele Forscher erst der Anfang einer womöglich noch wichtigeren Fitzel-Arbeit: der Analyse, welchen Sinn und Zweck die ganzen ACGT- oder CTGA-Folgen innerhalb und außerhalb der bekannten Gene in lebend-dynamischen Zellkernen funktional wirklich spielen. Dieser Fragestellung widmet sich das ENCODE-Projekt-Konsortium, für das sich eine lange Liste von Wissenschaftlern aus rund 80 Instituten weltweit engagierte. Nun präsentiert die geballte Genomforschergruppe ihr erstes Ergebnis: eine vergleichende Funktionsanalyse von einem Prozent Gesamtsequenz des menschlichen Erbguts.
Die ENCODE-Forscher (das Kürzel steht für Encyclopaedia of DNA Elements) durchleuchteten insgesamt 30 Megabasen lange, möglichst repräsentativ ausgewählte Abschnitte mit Hilfe verschiedenster Techniken auf alle "funktionalen Elemente". Sie bestimmten dabei zum Beispiel, welche DNA-Abschnitte in RNA transkribiert werden, welche regulatorischen Bereiche auf den Transkriptionsstart Einfluss hatten oder welche Regulationsfaktoren wo auf den Histon-Verpackungsspindeln binden, um die dort herumgewickelte, inaktive DNA ablesebereit zu machen.
Das prominenteste von vielen einzelnen, in insgesamt 29 Publikationen vorgestellten Resultaten bestätigt die Meinung des oben zitierten Biomediziners Greally vom Albert Einstein College in New York, der einen kommentierenden ENCODE-Überblick für Nature versucht: Das drei Milliarden Basenpaare umfassende menschliche Genom ist wirklich viel mehr als seine mickrigen 22 000 Gene, die zusammen mit ihren Regulatoren ja auch höchstens fünf Prozent aller Basenpaare ausmachen. Wie viel mehr Aktivität ENCODE offenbart, überrascht dann aber doch. Denn offenbar wird fast überhaupt kein Abschnitt der DNA nicht irgendwann einmal transkribiert, also in RNA umgeschrieben.
Regulatorische Sequenzen außerhalb der echten Gene sind außerdem teilweise besser getarnt als vermutet: Zwar sind gerade sehr stark konservierten Abschnitte, die sich zwischen verschiedenen, nicht nah verwandten Arten im Laufe der Evolution wenig auseinanderentwickelt haben, ein verräterischer Hinweis auf eine regulatorisch wichtige Stelle im Erbgut. Viele Regulatoren waren aber offenbar bisher unbekannt, weil sie diesem Schema überhaupt nicht folgen. Gerade beim Menschen sorgen nicht konservierte Bereiche für eine hohe Transkriptionsaktivität und für Massen von teilweise in bekannte Genbereiche hineinlappende RNAs mit völlig unbekannter Funktion – ein offenbar unterschätzter erbgutabhängiger Grund für die Unterschiede zwischen Arten.
Die Regulation von Transkription ist also weitaus komplexer als bisher angenommen; und im Genom findet sich kaum offensichtlich brachliegender DNA-Schrott, sondern im Gegenteil fast keine ungenutzte Basensequenz – die zwei vielleicht wichtigsten Informationen, die aus dem ersten genauen Blick auf ein Prozent Menschenerbgut folgten. Schon dieser erste Eindruck verlangte aber vier Jahre intensive internationale Forschungskooperation. Und nicht nur Kommentator Greally fragt sich, ob überhaupt irgendwann einmal die ganze Geschichte erzählt sein wird: Um einmal wirklich alle regulatorischen Elemente in den nicht kodierenden Bereichen der DNA zu enttarnen, muss mit ähnlichem Aufwand nun nicht nur der 99-prozentige Rest des Genoms untersucht werden – sondern dieser Rest auch noch vergleichend aus allen bekannten Zelltypen in allen denkbaren regulatorischen Zeitpunkten.
Das könnte sich allerdings durchaus einmal lohnen, denn immerhin werden immer mehr individuelle minimale Veränderungen, so genannte single nucleotid polymorphisms (SNPs), anhand derer bei einzelnen Menschen das Risiko bestimmter Krankheiten abgeschätzt werden können, oft gerade in den nicht kodierenden Bereichen des Erbguts gefunden. Ohne genau zu wissen, was in dem bisher vernachlässigten Bereichen zwischen den Genen eigentlich geschieht, werden wir aber wohl über die kausalen Folgen solcher SNPs im Zellmechanismus nie etwas sagen können. Das ENCODE-Projekt wird also mit gutem Grund dafür sorgen, dass noch ein paar Jahre genug Arbeit auf die Genforscher zukommt. Beziehungsweise auf die Nichtgen-Forscher.
Unter anderem aus diesem Grund war der bejubelte Abschluss des Humangenomprojektes – die "vollständige Sequenzierung des menschlichen Erbguts" – für viele Forscher erst der Anfang einer womöglich noch wichtigeren Fitzel-Arbeit: der Analyse, welchen Sinn und Zweck die ganzen ACGT- oder CTGA-Folgen innerhalb und außerhalb der bekannten Gene in lebend-dynamischen Zellkernen funktional wirklich spielen. Dieser Fragestellung widmet sich das ENCODE-Projekt-Konsortium, für das sich eine lange Liste von Wissenschaftlern aus rund 80 Instituten weltweit engagierte. Nun präsentiert die geballte Genomforschergruppe ihr erstes Ergebnis: eine vergleichende Funktionsanalyse von einem Prozent Gesamtsequenz des menschlichen Erbguts.
Die ENCODE-Forscher (das Kürzel steht für Encyclopaedia of DNA Elements) durchleuchteten insgesamt 30 Megabasen lange, möglichst repräsentativ ausgewählte Abschnitte mit Hilfe verschiedenster Techniken auf alle "funktionalen Elemente". Sie bestimmten dabei zum Beispiel, welche DNA-Abschnitte in RNA transkribiert werden, welche regulatorischen Bereiche auf den Transkriptionsstart Einfluss hatten oder welche Regulationsfaktoren wo auf den Histon-Verpackungsspindeln binden, um die dort herumgewickelte, inaktive DNA ablesebereit zu machen.
Das prominenteste von vielen einzelnen, in insgesamt 29 Publikationen vorgestellten Resultaten bestätigt die Meinung des oben zitierten Biomediziners Greally vom Albert Einstein College in New York, der einen kommentierenden ENCODE-Überblick für Nature versucht: Das drei Milliarden Basenpaare umfassende menschliche Genom ist wirklich viel mehr als seine mickrigen 22 000 Gene, die zusammen mit ihren Regulatoren ja auch höchstens fünf Prozent aller Basenpaare ausmachen. Wie viel mehr Aktivität ENCODE offenbart, überrascht dann aber doch. Denn offenbar wird fast überhaupt kein Abschnitt der DNA nicht irgendwann einmal transkribiert, also in RNA umgeschrieben.
" ... als ob die kollektive Bedeutung aller Gene tatsächlich alles wäre, was man über die DNA einer Zelle wissen muss"
(John Greally)
Passenderweise beginnen die unerwartet häufigen Transkriptionsprozesse an vielen Stellen, die als Startpunkt bislang unverdächtig waren. Einfluss auf den Prozess haben regulatorische Sequenzen, die sowohl (der von Genen bekannte klassische Fall) vor dem transkribierten Bereich liegen können, zudem aber durchaus auch dahinter, was bislang nicht akzeptierte Lehrmeinung ist. (John Greally)
Regulatorische Sequenzen außerhalb der echten Gene sind außerdem teilweise besser getarnt als vermutet: Zwar sind gerade sehr stark konservierten Abschnitte, die sich zwischen verschiedenen, nicht nah verwandten Arten im Laufe der Evolution wenig auseinanderentwickelt haben, ein verräterischer Hinweis auf eine regulatorisch wichtige Stelle im Erbgut. Viele Regulatoren waren aber offenbar bisher unbekannt, weil sie diesem Schema überhaupt nicht folgen. Gerade beim Menschen sorgen nicht konservierte Bereiche für eine hohe Transkriptionsaktivität und für Massen von teilweise in bekannte Genbereiche hineinlappende RNAs mit völlig unbekannter Funktion – ein offenbar unterschätzter erbgutabhängiger Grund für die Unterschiede zwischen Arten.
Die Regulation von Transkription ist also weitaus komplexer als bisher angenommen; und im Genom findet sich kaum offensichtlich brachliegender DNA-Schrott, sondern im Gegenteil fast keine ungenutzte Basensequenz – die zwei vielleicht wichtigsten Informationen, die aus dem ersten genauen Blick auf ein Prozent Menschenerbgut folgten. Schon dieser erste Eindruck verlangte aber vier Jahre intensive internationale Forschungskooperation. Und nicht nur Kommentator Greally fragt sich, ob überhaupt irgendwann einmal die ganze Geschichte erzählt sein wird: Um einmal wirklich alle regulatorischen Elemente in den nicht kodierenden Bereichen der DNA zu enttarnen, muss mit ähnlichem Aufwand nun nicht nur der 99-prozentige Rest des Genoms untersucht werden – sondern dieser Rest auch noch vergleichend aus allen bekannten Zelltypen in allen denkbaren regulatorischen Zeitpunkten.
Das könnte sich allerdings durchaus einmal lohnen, denn immerhin werden immer mehr individuelle minimale Veränderungen, so genannte single nucleotid polymorphisms (SNPs), anhand derer bei einzelnen Menschen das Risiko bestimmter Krankheiten abgeschätzt werden können, oft gerade in den nicht kodierenden Bereichen des Erbguts gefunden. Ohne genau zu wissen, was in dem bisher vernachlässigten Bereichen zwischen den Genen eigentlich geschieht, werden wir aber wohl über die kausalen Folgen solcher SNPs im Zellmechanismus nie etwas sagen können. Das ENCODE-Projekt wird also mit gutem Grund dafür sorgen, dass noch ein paar Jahre genug Arbeit auf die Genforscher zukommt. Beziehungsweise auf die Nichtgen-Forscher.
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