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Festkörperphysik: Überflüssige Mauerblümchen

Finden Fermionen keinen Partner, um zur Supraleitung oder zur Bildung einer Supraflüssigkeit beizutragen, halten sie sich bedeckt am Rande.
Quantenmix
Quantenmechanische Systeme sind wahre Tänzer – ständig sind sie irgendwie in Bewegung. Und oft drehen sie obendrein Pirouetten. Doch dabei wirbeln sie nicht einfach nach Belieben, nein: Ob linksherum oder rechtsherum, immer halten sie sich an einen fest vorgegebenen Rhythmus. Da sind sie sehr eigen! Außerdem teilen sie sich strikt in zwei Lager: Da gibt es Ballerinen, die einen ganzzahligen Takt bevorzugen – wir nennen sie hier der Einfachheit halber Bosonen –, sowie andere, die eine halbzahlige Schlagzahl bevorzugen. Die nennen wir Fermionen. Als echte Einzelgänger gehen sie ihresgleichen normalerweise konsequent aus dem Weg. Derweil sind Bosonen sehr gesellig: Sie haben nichts dagegen, selbst in großen Mengen auf engstem Raum miteinander zu schwofen. Aber eins ist für die Fachwelt klar: Ob Boson oder Fermion, jedes dieser Sensibelchen für sich ist höchst merkwürdig.

Doch tut man den Fermionen unrecht: Eigentlich tanzen sie ganz gern mit einem Partner zusammen. Dazu muss aber wie so oft die Umgebung stimmen. So darf es im Ballsaal nicht zu unruhig werden – wenn ihnen das Parkett unter den Füßen brennt, werden sie ungehalten. Fermionen lieben es eher ganz cool – erst wenn es so richtig eisig ist, finden sie sich zu Pärchen zusammen. Ein Herz und eine Seele, dreht sich ein Partner linksherum, der andere im Gegensinn.

Gemeinsam führen sie einen Reigen auf, den die Welt noch nicht gesehen hat. Selbst wenn sie eine gleiche elektrische Ladung tragen, stößt sie das nicht ab. Ohne erkennbaren Widerstand zwängen sie sich sogar durch engste Kristallgitter. Materialien, bei denen das passiert, nennen Kenner Supraleiter. Ungeladene Fermionen dagegen fließen einfach so dahin und lassen sich durch nichts aufhalten. Manche steigen sogar die Wände hoch. Auch dafür haben die Experten einen Namen: Suprafluidität.

Über all diese Phänomene konnte die Fachwelt in den vergangenen Jahren staunen. Doch sind längst nicht alle Fragen zu diesem überaus seltsamen Treiben geklärt. Nun haben sich Guthrie Partridge und Randall Hulet von der Rice-Universität im texanischen Houston [1] sowie Martin Zwierlein vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge [2] näher mit den besonderen Reigen beschäftigt. Zusammen mit Kollegen, zu denen auch der deutsche Physiknobelpreisträger Wolfgang Ketterle gehört, haben sie untersucht, was denn diese wählerischen Fermionen machen, wenn zwar die Bedingungen stimmen, aber nicht genug geeignete Tanzpartner vorhanden sind. Dieses Problem kennt wahrscheinlich jeder, der schon einmal in der Tanzschule war. Und jeder löste es auf seine Weise. Wie also stellen sich diese Mimöschen der Situation?

Zumindest sind sie keine Spielverderber, stellten die Wissenschaftler fest. Sie kühlten fermionische Lithium-Atome, die sie in einem Käfig aus Laserstrahlen gefangen hielten, auf wenige Millionstel Grad über den absoluten Temperaturnullpunkt. Das ist weitaus kälter als in den Tiefen des Weltalls. Mit Hilfe von Magnetfeldern kontrollierten die Experimentatoren zudem die Drehrichtung der Teilchen und erzeugten gleichzeitig einen Überschuss an Partnern, die in eine gewisse Richtung rotieren. Weil Fermionen einen Pas de deux aber nur mit einem Partner aufs Parkett legen können, der sich entgegengesetzt dreht, fehlt einem Teil von ihnen jetzt die bessere Hälfte.

Zur Überraschung der Forscher schienen die Zurückgebliebenen aber keinen Streit vom Zaune zu brechen: So lange die einsamen Herzen in der Minderzahl waren, störte das die Glücklichen, die einen Tanzpartner gefunden hatten, überhaupt nicht. Im Gegenteil.

Die Mauerblümchen verhielten sich sogar äußerst höflich. Wenn sie merken, dass es zu viele von ihnen gibt – mehr als zehn Prozent, wie die Wissenschaftler beobachteten – dann zogen sich die Einzelgänger von der Tanzfläche zurück und überließen es den Pärchen. Sie selbst versammelten sich am Rand, als schauten sie dem Treiben zu. Wenn Vereinzelte sich durch die Tanzenden schlängeln, behindert das kaum.

Dieses Verhalten war wahrlich nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Hulet spricht daher von einer neuen Form von Supraflüssigkeit. Dieses Gebaren mag auch die bislang unverstandenen Phänomene unorthodoxer Supraleiter erklären helfen, die Strom bereits bei verhältnismäßig hohen Temperaturen verlustfrei transportieren können. Die Wissenschaftler vermuten ebenso, dass gewaltige Neutronensterne – so genannte Quark-Sterne – eine Bühne für ähnliche Tanzeinlagen sind. Diese stellaren Objekte verdichteten sich durch ihre eigene Gravitationswirkung so stark, dass sich in ihrem Inneren eine supraflüssige Suppe aus Quarks gebildet haben könnte. Vermutlich weist sie ebenfalls eine ungleiche Zahl an Partnern auf.

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