Übergewicht: Wer stigmatisiert wird, hat eher Essattacken
Wer schon einmal wegen seines Gewichts diskriminiert wurde, neigt während der Corona-Pandemie eher zu Depressionen und Essattacken. Zu diesem Schluss kommt ein Team um die Psychologin Rebecca Puhl von der University of Connecticut. Für ihre Studie, die im Fachjournal »Annals of Behavioral Medicine« erschienen ist, hatten die Forscher knapp 600 US-Amerikaner mit einem Durchschnittsalter von etwa 25 Jahren befragt.
Die Stichprobe stammte aus der EAT-Studie (Eating and Activity over Time), die in der Region Minneapolis-Saint Paul in den USA durchgeführt wurde. Im Jahr 2018 hatten die mehrheitlich weiblichen Testpersonen Auskunft gegeben, ob sie schon einmal wegen ihres Gewichts diskriminiert worden waren. Insgesamt 43 Prozent hatten dies bejaht. Die Stichprobe hatte im Schnitt einen Body-Mass-Index (BMI) von 28. Die Weltgesundheitsorganisation spricht ab 25 von Übergewicht und ab 30 von Adipositas; ein BMI von 18,5 bis 24,9 gilt als normal.
Zwischen März und Mai 2020 befragten die Forscher die Menschen zu ihrem psychischen Befinden sowie ihrem Essverhalten. Unabhängig von Geschlecht, ethnischer Herkunft und ihrem tatsächlichen Gewicht berichteten diejenigen, die eine gewichtsbedingte Diskriminierung erfahren hatten, deutlich häufiger von Essattacken als die restlichen Probanden. Insgesamt – auch im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie – hatte das Risiko für solche Attacken um den Faktor 2,4 zugenommen. Die diskriminierten Probanden zeigten außerdem vermehrt Symptome einer Depression und gaben an, dass sie Essen als Strategie zur Stressbewältigung nutzten. Als Essattacke (englisch: binge eating) galt, wenn ein Proband folgende zwei Fragen mit Ja beantwortete: »Haben Sie im vergangenen Monat jemals so viel in kurzer Zeit gegessen, dass es Ihnen peinlich wäre, wenn Sie jemand dabei sehen würde?« und: »Hatten Sie dabei das Gefühl, Sie könnten nicht damit aufhören oder nicht kontrollieren, was oder wie viel Sie aßen?«
Übermäßig viel zu essen, um Stress zu bewältigen, ist oft problematisch, weil die damit einhergehende Gewichtszunahme die psychische Belastung steigert. Nicht nur der Faktor Übergewicht, sondern auch das häufig mit ihm verbundene Stigma müsse in künftigen Studien und Gesundheitsprogrammen mehr berücksichtigt werden, fordert das Team um Puhl. Ergebnisse bisheriger Studien legen nahe, dass die psychische Belastung die Gesundheit übergewichtiger Menschen genauso – oder sogar stärker – beeinträchtigt als das Gewicht selbst.
Diese Problematik könnte sich in der aktuellen Situation verschärfen, vermuten die Forscher. Zudem gilt Übergewicht als Risikofaktor für schwere Verläufe von Covid-19. Zwar wurde die Studie ausschließlich in den USA durchgeführt, wo Übergewicht ein weitaus größeres Problem darstellt. Aber laut einer Studie des Nahrungsherstellers nu3, der mehr als 5000 Personen aus Deutschland, Schweiz, Österreich, Frankreich und Italien befragt hat, haben auch die Europäer in der Pandemie merklich zugelegt.
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