Marsmissionen: Übertriebener Schutz
Das Office of Planetary Protection der NASA soll Bestandteile des Sonnensystems – neben Planeten auch Monde, Kometen und Asteroiden – vor Verunreinigungen durch lebende Organismen von der Erde bewahren. Und umgekehrt: Entsprechende Bestimmungen sollen verhindern, dass außerirdisches Leben auf die Erde gelangt. Um diese Ziele zu erreichen, steht der Abteilung ein vergleichsweise mageres Budget zur Verfügung, wenn man den Gesamthaushalt der NASA betrachtet. Das Budget für eine bestimmte Marsmission kann jedoch immens wachsen, wenn der Landeplatz einer Marsmission vom Office of Planetary Protection als eine Region von potenziell astrobiologischem Interesse eingestuft wird – einer "special region" – in der, theoretisch, Marsleben existieren oder Leben von der Erde überdauern könnte [1]. Andere Raumfahrtorganisationen haben ähnliche teure Strategien entwickelt, um den Mars vor terrestrischen Mikroorganismen zu schützen, die von Raumsonden eingeschleppt werden könnten.
Aus astrobiologischer Sicht sind die interessantesten Missionen natürlich jene, die nach außerirdischem Leben fahnden. Astrobiologische Missionen sollten daher genau diese "special regions" unter die Lupe nehmen. Dafür müssen sie sich aber den peniblen Schutzvorschriften der NASA beugen und sich eingehenden und teuren Sterilisierungsmaßnahmen unterziehen, um den interplanetaren Transport von Mikroorganismen zu verhindern. Das macht sie letztendlich unrentabel. Deshalb hatten wir seit Jahrzehnten keine einzige Mission, deren ausgesprochenes Ziel die Suche nach Leben vor Ort auf dem Mars gewesen wäre. Wir sind daher der Ansicht, dass die Vorschriften und Strategien zum Schutz der Planeten überarbeitet werden müssen, da sie die Erforschung des Mars unnötig behindern.
Von Planet zu Planet
Inzwischen lassen sich die Überlebenschancen terrestrischer Mikroorganismen für die verschiedenen Stadien einer Panspermie, bei der Leben von einem Planeten zum anderen übertragen wird, recht gut quantifizieren. Die Organismen müssen das Herausschleudern in Folge eines Einschlags überleben, danach den Mikrolebensraum im Gesteinsinneren auf der interplanetaren Reise und den Absturz durch eine fremde Atmosphäre, um auf einem anderen Planeten zu landen. Es besteht allgemeiner Konsens, dass so etwas nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich ist. Terrestrische Mikroorganismen wären durchaus in der Lage, ihrem Mutterplaneten entrissen zu werden und die harschen Reisebedingungen zu überstehen, um schließlich auf einem anderen Planeten abzustürzen [2]. Das gilt insbesondere für den Transfer von der Erde zum Mars, da sich die Überlebenschancen beim Eintritt in eine dünnere Atmosphäre wie die des Mars erhöhen.
Angesichts dessen postulieren wir, dass Leben von der Erde den Mars wahrscheinlich längst erreicht hat. Das Leben auf der Erde existiert seit mindestens 3,8 Milliarden Jahren [3], reichlich genug Zeit, um den Transfer auf rein natürlichem Weg im Rahmen von Impakten geschehen zu lassen. Außerdem waren Einschläge früher weit häufiger als heute [4]. Selbst wenn man die schwierige Dynamik eines Transports von der Erde zum Mars entgegen der Anziehungskraft der Sonne berücksichtigt [5], können wir davon ausgehen, dass bereits Materie von der Erde den Mars erreicht hat. Die zufällige Verteilung der Einschlagsorte auf der Marsoberfläche lässt auch vermuten, dass die "special regions" von womöglich Leben enthaltenden Brocken nicht ausgespart wurden – früher wie heute. Wir sollten auch nicht vergessen, dass nach Viking, die als erste Sonde erfolgreich auf dem Mars landete, eine ganze Reihe von Marssonden überhaupt nicht sterilisiert wurden, da man von einem unbelebten Planeten ausging. Zudem sind die Sterilisationsmaßnahmen – sofern es sie überhaupt gab – russischer Raumsonden zum Mars nicht bekannt [6].
Wir sehen daher zwei verschiedene Szenarien, die bei einer Überarbeitung der Schutzprioritäten relevant sind. Beginnen wir mit der Annahme, dass Leben von der Erde den Mars bereits auf natürlichem Weg erreicht hat, dann könnte es dort während früherer feuchterer Zeiten überlebt haben. Vor Milliarden Jahren in eine lebensfreundlichere Marsumwelt transferierte Mikroorganismen hätten sich aber entweder evolutiv verändert, um sich an die dort anderen Bedingungen anzupassen, oder sie wären ausgestorben. Wenn terrestrisches Leben (aus Urzeiten oder rezentes) auf dem heutigen Mars nicht überleben kann, wären jedwede Stämme alten Lebens längst verschwunden, und via Meteoriten reisende Neuankömmlinge würden bei der Ankunft oder kurz danach sterben – das Gleiche gilt für den künstlichen Transportweg mit einer Raumsonde. Daraus schließen wir: Wenn terrestrisches Leben auf dem Mars nicht überleben kann, sind Befürchtungen über Verunreinigungen mit Organismen von der Erde überflüssig. Unser Geld und unsere Arbeitszeit können wir daher besser in andere Aufgaben investieren.
"Unser Geld und unsere Arbeitszeit können wir besser in andere Aufgaben investieren"
Wenn jedoch terrestrische Mikroorganismen auf dem Roten Planeten überleben können [7], dann dürfen wir auch ziemlich sicher davon ausgehen, dass sie auf einem früher feuchteren Mars noch viel erfolgreicher gewesen wären [8]. Bei einer Zeitspanne von etwa vier Milliarden Jahren für den möglichen Transport zu einer potenziell lebensfreundlichen Marsoberfläche, kombiniert mit der früher höheren Zahl von Asteroideneinschlägen, könnte eine große Zahl terrestrischer Mikroorganismen unseren Nachbarplaneten erreicht und sich dort über weite Teile verbreitet haben. In diesem Fall dürfen wir annehmen, dass Leben von der Erde auf dem Mars längst präsent ist. Besondere Schutzvorkehrungen sind daher unnötig.
Im zweiten Szenario wäre Leben auf dem Mars unabhängig vom Leben auf der Erde entstanden. Wenn es bis heute überlebt hat, dann koexistiert es seit Äonen mit Leben, das von der Erde importiert wurde. Mikroorganismen, die mit Raumsonden den Mars erreichen, würden dort nicht anders mit dem vorhandenen Leben interagieren wie früher auf natürlichem Weg dort eintreffende terrestrische Mikroben. Jeglicher Wettkampf zwischen Marsleben und terrestrischem Leben wäre längst ausgefochten. Zukünftige Marsmissionen würden dort nur noch die Sieger dieses natürlichen Selektionsprozesses antreffen, und diese Überlebenden dürften besser an die herrschenden Bedingungen angepasst sein als die Neuankömmlinge von der Erde. Wie groß die Ähnlichkeit zwischen Marsorganismen und terrestrischem Leben auch sein würde, mit Raumsonden dorthin transportierte Mikroorganismen wären jedenfalls nicht verheerend für irgendwelche auf Mars existierenden Organismen – denn diese haben die erste Begegnung schon lange hinter sich.
Lockert die regulativen Fesseln
Wir meinen daher, dass die Schutzbestimmungen für künftige Marsmissionen deutlich gelockert werden könnten. Wenn irdische Mikroorganismen auf dem Mars überdauern können, dann tun sie das mit ziemlicher Sicherheit schon. Wenn nicht, dann ist ihr Transfer kein Problem, da sie nicht überleben würden.
Wir können in unseren derzeitigen Programmen zur Erforschung des Mars keine Bedrohung für eine potenzielle Biosphäre auf dem Roten Planeten erkennen. Wenn wir dort vor Ort nach vorhandenem Leben suchen wollen [9], sollten gewisse Reinigungsmaßnahmen angewendet werden – aber nicht aus Sorge vor Kontaminationen. Der Anlass wäre nur sicherzustellen, dass indigene Marsorganismen (die womöglich mit terrestrischem Leben verwandt sind) von gegebenenfalls an Bord der Raumsonde mitgereisten Mikroorganismen von der Erde zu unterscheiden sind. Für alle anderen Missionen könnten die bisherigen Vorschriften erheblich gelockert werden.
Da die Erforschung von Planeten auf der ganzen Welt drastische Einschnitte in den Budgets hinnehmen muss, sollten unnötige Ausgaben vermieden werden und die begrenzten Steuermittel in Projekte fließen, die den größten Erfolg versprechen. Wir sind der Ansicht, dass die Sterilisationsmaßnahmen für Marssatelliten, die nur in der Umlaufbahn verbleiben, ganz aufzuheben sind – trotz des Risikos eines Absturzes oder eines Wiedereintritts in die Atmosphäre. Ebenso überflüssig sind sie aus unserer Sicht für Missionen mit geologischer Zielsetzung. Bei Missionen zur Suche nach Leben sollten sie von Fall zu Fall überprüft werden.
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