Direkt zum Inhalt

Ukraine-Krieg und Düngermangel: Bolsonaros Vernichtungspaket

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro will unter dem Vorwand des Ukraine-Kriegs und wegen vorgeblichen Rohstoffmangels die indigenen Territorien für den Bergbau öffnen. Das gefährdet nicht nur diese Völker, sondern auch das Ökosystem Amazonasregenwald und den Klimaschutz.
Immer weder protestieren Indigene in Brasilien für ihren besseren Schutz (Archivbild vom 17. April 2017))

»In Anbetracht des Krieges in Osteuropa besteht die Gefahr, dass es zu einer Verknappung von Kalium oder einem Preisanstieg kommt«, twitterte Brasiliens Präsident Jaír Bolsonaro am 2. März 2022. Und vom Kalium hänge Brasiliens Ernährungssicherheit ab. Viele Düngemittel werden aus dem Rohstoff hergestellt. Kalium ist notwendig für den Sojaanbau, aber auch für Mais und Kaffee des Agrarriesen Brasilien, der bisher 25 Prozent seines kaliumhaltigen Düngers aus Russland bezog. Nun sei es Bolsonaro zufolge notwendig, die Abhängigkeit von Importen zu verringern, zumal Brasilien selbst Kalium besäße.

Bei dieser Gelegenheit griff er auf einen seiner Gesetzesentwürfe zurück, die er seit zwei Jahren in der Schublade liegen hat. Der Gesetzentwurf 191 war am 6. Februar 2020 vom damaligen Justizminister Sérgio Moro und von Bento Albuquerque, dem Ministerium für Bergbau und Energie, vorgelegt worden. Nach intensiven Protesten durch die Indigenen und ihre Unterstützer beschloss der damalige Präsident der Abgeordnetenkammer, Rodrigo Maia, das Projekt auf Eis zu legen. Doch der derzeitige Präsident Arthur Lira, Anwalt, Viehzüchter, Unternehmer und Politiker der Rechtspartei Progressistas, setzte den Entwurf erneut auf die Agenda.

»Unser Gesetzentwurf 191 erlaubt die Ausbeutung von Mineralen, Wasser und organischen Ressourcen auf indigenem Land«, sagte der Präsident, sobald er genehmigt sei, würde sich das Kaliumproblem lösen.

Unter der derzeitigen Rechtslage muss der Bergbau in indigenen Gebieten dagegen durch den Kongress autorisiert werden. PL 191, das auch als Bergbaugesetz bekannt ist, zielt nun darauf ab, verschiedene Paragrafen der Verfassung zu regeln, um spezifische Bedingungen für die Erforschung und den Abbau von Bodenschätzen und Kohlenstoffen sowie für die Nutzung von Wasserressourcen zur Stromerzeugung auf indigenem Land festzulegen. Im Entwurf sind auch Entschädigungen aufgeführt, und die Indigenen müssen informiert werden, doch ist für sie kein Vetorecht vorgesehen.

Eilige Entscheidung

Die Betroffenen hatten kaum Zeit, um gegen dieses Vorhaben zu protestieren. Am 8. März traf eine Delegation von etwa 150 Indigenen aus Bahia im Repräsentantenhaus von Brasilia ein. Sie wurden von den Abgeordneten der Opposition, Joênia Wapichana, der einzigen indigenen Abgeordneten, und Rodrigo Agostinho, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Umwelt und nachhaltige Entwicklung der Abgeordnetenkammer, empfangen. Versprechen konnten diese jedoch auch nicht mehr, als dass sie gegen das Vorhaben protestieren werden.
Indigener Protest gegen illegale Goldschürfer | Diese Frau nahm an einer Demonstration für den Schutz indigener Reservate und gegen den illegalen Goldbergbau auf ihrem Land teil. Die Proteste fanden im April 2021 in Brasilia statt.

Für den 9. März hatte der brasilianische Megastar Caetano Veloso tausende Menschen vor dem Kongress in Brasilia zusammengetrommelt, um mit dem Konzert «Ato pela Terra« (Aktion für die Erde) gegen die Zerstörung Amazoniens aufzurütteln. Gemeinsam mit anderen Artisten und Künstlerinnen, wie Daniela Mercury und dem Rapper Emicida, vielen sozialen Bewegungen und indigenen Repräsentanten rief er dazu auf, das »Vernichtungspaket« der Regierung Bolsonaro zu verhindern.

Damit bezieht er sich auf fünf Gesetzesvorschläge, die kurz vor ihrer Verabschiedung stehen und die als äußerst umweltschädlich sowie sozial unverträglich gelten. Neben dem Bergbaugesetz gehört dazu das so genannte Landraubgesetz 2633/2020. Es würde die illegale Besetzung von öffentlichem Land und das Abholzen des Regenwaldes im Nachhinein legalisieren. Dazu gehört der ebenfalls umkämpfte Vorschlag 490/2007, der die Demarkierung von indigenem Land verhindert und ursprünglich indigenes Land der Zerstörung preisgibt sowie das »Giftpaket«, der Gesetzentwurf 6299/02, der die Zahl der erlaubten Pestizide noch einmal in die Höhe treiben wird. Ihre Anzahl hat sich während der Amtszeit Bolsonaros ohnehin bereits verdoppelt.

Verfassungswidrig und räuberisch

Dieses Paket legalisiert zukünftige Aktivitäten mit starken sozialen und ökologischen Auswirkungen wie Bergbau und Wasserkraftwerke. Es trete die Verfassung mit Füßen und »berücksichtigt weder soziale, kulturelle oder gesundheitliche Bedürfnisse«, kritisieren die Spezialisten in Umwelt- und indigenem Recht Juliana Batista und Márcio Santilli der Nichtregierungsorganisation des Instituto Socioambiental (ISA).

Die Exploration, also die Suche oder die Erschließung von Lagerstätten und Rohstoffvorkommen in Regionen, in denen nicht kontaktierte indigene Völker leben, könnte überdies deren Überleben gefährden. Der Entwurf sei nicht nur verfassungswidrig, sondern auch äußerst räuberisch. Denn er ermögliche – zudem ohne Zustimmung der Gemeinden – den extensiven Bergbau, den Bau von Straßen, Wasserkraftwerken und das Pflanzen von transgenem Saatgut auf indigenen Ländern. Der Bergbau auf indigenem Land verletze nicht zuletzt die Rechte der Frauen, hebt die indigene Aktivistin Samêhy Pataxó hervor. Vergewaltigung, sexueller Missbrauch und beeinträchtigte Gesundheit seien Begleiterscheinungen des Bergbaus in der Region.

Auch die UNO reagierte mit einer Warnung und deutlicher Kritik. Eine eventuelle Verabschiedung des Gesetzentwurfs würde dem Land unwiederbringlichen Schaden zufügen, nicht nur für die Indigenen, sondern auch für das Ansehen Brasiliens als Staat, der seinen internationalen Verpflichtungen in Bezug auf die Menschenrechte nicht nachkomme, kritisierte Jan Jarab, der südamerikanische Vertreter des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen in einem Schreiben.

Bei dem Dokument, das der Zeitung »UOL« vorliegt, handelt es sich um ein Antwortschreiben Jarabs an den Abgeordneten Carlos Veras, den Vorsitzenden der Kommission für Menschenrechte und Minderheiten der Abgeordnetenkammer. Darin hob der Sonderbotschafter das völkerrechtlich anerkannte Selbstbestimmungsrecht der indigenen Völker hervor, das eng mit der Nutzung und Aufteilung von Land und Territorien verbunden sei. Daraus ergäbe sich für die Staaten die Verpflichtung, das Recht auf Gemeineigentum anzuerkennen, zu schützen und zu gewährleisten.

Bolsonaros Plan geht bislang auf

Ungeachtet dieser Kritik, Proteste und Bitten wurde das Bergbaugesetz in der vergangenen Woche unter dem Vorwand eines möglichen Düngemittelmangels durch den Ukraine-Krieg erneut aufgegriffen. Und Bolsonaros Plan ging auf: Im Eilverfahren genehmigte die Abgeordnetenkammer am 9. März den Dringlichkeitsantrag mit 279 zu 108 Stimmen und drei Enthaltungen – ohne, dass er zuvor in einer Fach- oder Sonderkommission erörtert worden wäre. Der Vorschlag 191/2020 wird nun in einer Arbeitsgruppe begutachtet und geht danach ins Plenum, was wegen der beantragten Dringlichkeit schon bald geschehen könnte.

Dabei hängt die Lösung des Düngemittelproblems nicht von der Ausbeutung der Vorkommen in den indigenen Gebieten ab. Eine Studie der Bundesuniversität von Minas Gerais (UFMG) zeigte bereits 2019, dass sich die meisten Kaliumvorkommen außerhalb der Reservate befinden.

Lediglich elf Prozent der Lagerstätten liegen demnach auf indigenen Gebieten, die noch einen Demarkationsprozess durchlaufen. Diese sind ohnehin bislang nicht als gesetzlich geschütztes indigenes Land anerkannt worden und können deshalb ebenfalls nicht als Vorwand für das Durchdrücken des Bergbaugesetzes gelten. Dieses Kaliumvorkommen im Amazonasgebiet betrifft eine Region am Unterlauf des Rio Madeira, erklärt Marcio Santilli vom ISA, und befindet sich in der Genehmigungsphase. Und selbst, wenn es auf geschützten indigenen Gebieten liegen würde, so wäre auch ein Krieg kein Argument, um die Rechte der Minderheiten auszuhebeln, sagte die 6ª Câmara de Coordenação e Revisão, ein übergeordnetes Organ, das mit der Generalstaatsanwaltschaft verbunden ist.

Krieg als Ablenkungsmanöver

Wem nutzt also dieser umstrittene Gesetzesentwurf? Dem Kaliumabbau jedenfalls nicht. Jene »Farce der Düngermittelknappheit« habe Bolsonaro inszeniert, um die Dringlichkeit der Abstimmung zu erzwingen, sagt Marcio Santilli vom ISA.

Agrar- gegen Indigenenland | Oft sind die Reservate der Indigenen die letzte Barriere gegen die Abholzung. Hier grenzen Sojafelder direkt an das Xingu-Reservat.

Die Regierung übe Druck aus, sagte der Abgeordnete Rodrigo Agostinho vom Ausschuss für Umwelt und nachhaltige Entwicklung. In Wirklichkeit geht es um die wirtschaftliche Ausbeutung indigener Territorien und darum, den bisher illegalen Abbau von Gold, Bauxit, seltenen Erden und Mineralen zu legalisieren. Allein in den Gebieten der Yanomami an der Grenze zu Venezuela wühlen über 20 000 illegale Goldsucher die Erde um, sie greifen die Indigenen tätlich an und vergiften die Flüsse mit Quecksilber. Die Genehmigung des Bergbaugesetzes wäre der bisher härteste Schlag gegen die territoriale Autonomie der indigenen Völker.

»Wer glaubt, dass dies die brasilianische Wirtschaft retten wird, liegt falsch, denn das Image Brasiliens wird dazu führen, dass Finanziers und Investoren die brasilianische Wirtschaft nicht mehr unterstützen werden«, sagt Joênia Wapichana, die einzige indigene Parlamentarierin im Kongress. »Um dieses Düngemittelproblem zu lösen, gibt es andere Möglichkeit als die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im Eilverfahren, mit einem Text, dessen Inhalt wir nicht einmal genau kennen.« Und sie fügt hinzu: »Ich würde sagen, das ist ein tragisches Projekt, das den indigenen Völkern Tod und Zerstörung bringt.«

Auf Twitter kündigte sie an: »Wir werden alles daransetzen, diesen verfassungswidrigen, inakzeptablen und nicht zu rechtfertigenden Vorschlag zu Fall zu bringen. Der Kampf geht weiter!«

Die letzten Bollwerke gegen die Zerstörung

Gegen die Übermacht des Agrobusiness und der Bergbaulobby scheinen die Indigenen auf verlorenem Posten. Doch die brasilianischen Indigenen stellen auch ein letztes Bollwerk gegen die fortschreitende Zerstörung des größten Regenwalds der Erde dar. Auf ihrem Land leben mehr Arten von Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien als in allen nicht indigenen Naturschutzgebieten des Landes zusammen. Ihre Wälder enthalten fast 30 Prozent des in den Wäldern Lateinamerikas gespeicherten Kohlenstoffs und 14 Prozent des Kohlenstoffs in den tropischen Wäldern weltweit. Das ist mehr Kohlenstoff, als alle Wälder in Indonesien oder der Demokratischen Republik Kongo speichern, die beiden Länder mit den größten Tropenwäldern nach Brasilien.

Doch der Druck auf sie wird immer stärker. Obgleich die brasilianische Verfassung das Recht der Indigenen auf ihr Land garantiert, dringen illegale Siedler und Goldsucher mittlerweile fast ungehindert in die Territorien von indigenen Gemeinschaften vor. Seit Bolsonaros Amtsantritt im Jahr 2018 schnellten die illegalen Besetzungen von indigenem Land um 135 Prozent in die Höhe. Über die Hälfte davon befinden sich im Amazonasgebiet. Allein im Jahr 2020 wurden fast 10 900 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt. Das war der heftigste Kahlschlag in Amazonien innerhalb der vergangenen zwölf Jahre, berichtet das Nationale Institut für Weltraumforschung INPE. Im Herbst 2021 wüteten in Amazonien insgesamt fast 90 000 Feuer, und 2022 setzt sich die Entwaldung im Rekordtempo fort.

Am Rande des Kipppunktes

Das Amazonasbecken mit seinen unzähligen Bäumen ist allerdings für das Wasserrecycling des gesamten südamerikanischen Kontinents grundlegend. Doch stehe der Amazonas kurz vor dem Kollaps, warnte Carlos Nobre, einer der bekanntesten brasilianischen Umweltwissenschaftler und Experte zu Themen der globalen Erwärmung, anlässlich des Marseiller Klimagipfels. »Wir befinden uns am Rande dieses Tipping Points und wir haben wirklich keine Zeit mehr, die Abholzung und die Wildfeuer in ein paar Jahren zu stoppen«, sagt Nobre. »Wir müssen es jetzt tun, wir müssen uns beeilen! Denn wenn wir diesen Punkt einmal überschritten haben, dann geben wir 200 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre ab, und das wird es praktisch unmöglich machen, die globale Erwärmung unter 1,5 Grad zu halten.«

Möglicherweise ist dieser Kipppunkt bereits überschritten. Besonders besorgniserregend sei es, dass im südlichen und östlichen Amazonasbecken, wo stark abgeholzt wurde, schon eine deutliche Verlängerung der Trockenzeit um drei bis vier Wochen zu beobachten ist. »Hier gibt der Wald mehr Kohlendioxid ab, als er aufnimmt. Und extreme Klimaereignisse, die normalerweise alle 15 bis 20 Jahre eintreten, werden schon alle fünf Jahre beobachtet«, sagt Nobre. »Das lässt den Wald austrockenen und macht ihn anfälliger für Feuer.«

Verwandelt sich der Regenwald in eine Savanne?

Das legt eine in der Zeitschrift »Nature Climate Change« erschienene Studie nahe. Sie warnt vor einer Verwandlung des Regenwalds in eine Savanne. »Wir stellen fest, dass die Widerstandsfähigkeit des Regenwalds seit Anfang der 2000er Jahre kontinuierlich abnimmt, aber wir können nicht sagen, wann ein möglicher Übergang vom Regenwald zur Savanne stattfinden könnte«, sagt Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Technischen Universität München, der die Studie gemeinsam mit Forschern der britischen Universität Exeter durchgeführt hat. »Doch wenn das Kippen selbst zu beobachten sein wird, ist es zu spät.«

Das Team hatte hochauflösende Satellitendaten zwischen 1991 und 2016 ausgewertet, auf denen sich Veränderungen der Biomasse und Produktivität im Amazonaswald abbilden ließen. Etwa bei drei Vierteln des Waldes kann man seit den 2000er Jahren den Verlust der Widerstandsfähigkeit feststellen. Sie erholen sich nicht mehr von Dürren oder Bränden.

Diese neuartige Analyse empirischer Daten zeige den Besorgnis erregenden Zustand des Waldes, sagt Tim Lenton, Direktor des Global Systems Institute. »Sie bestätigt, dass eine starke Begrenzung der Abholzung, aber auch der globalen Treibhausgasemissionen notwendig ist, um den Amazonas zu schützen.«

»Wir müssen dieses Abholzungsprogramm stoppen und die fragmentierten Ökosysteme auf etwa 700 000 Quadratkilometern regenerieren«, fordert auch Carlos Nobre. Nur so könne der Wald seine Effizienz als Kohlenstoffsenke wieder erreichen und weiterhin effektiv Wasser recyceln und in andere Teile Südamerikas befördern. Mit dem Bergbaugesetz, das die Öffnung der noch am besten funktionierenden und artenreichsten Gebiete des Amazonas betreibt, würde der Stress auf den Wald und seine Hüter jedoch weiter zunehmen. Eine Studie von One Earth zeigt, dass das Vorhaben nicht nur das Leben von 222 kulturell einzigartigen indigener Gemeinschaften bedroht, sondern ebenso negative Auswirkungen auf die vom Wald erbrachten Ökosystemleistungen haben wird, die mit fünf Milliarden Dollar pro Jahr beziffert werden.

Würde der Gesetzesvorschlag angenommen und umgesetzt, kämen zur bisherigen Zerstörung des Bioms weitere 863 000 Quadratkilometer hinzu, was die Abholzung um 20 Prozent steigern würde. Es wäre tatsächlich ein Schlag gegen das Leben.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.